Tourismuswelt

Lebensmut. Bild: Jenny Sturm/Fotolia

Amadeus Blog Wenn Reisen von Fussgängern geplant werden

Die Reisebranche und der öffentliche Sektor werden den Bedürfnissen behinderter Menschen meist nicht vollständig gerecht – das hat die Amadeus Studie «Voyage of Discovery» klargestellt. Daniela Link von Amadeus Germany berichtet, wie das in der Praxis aussieht.

«Barrierefreies Reisen ist für Millionen von Reisenden noch längst keine Realität», bilanziert «Voyage of Discovery». Wie wahr. Eine Reise für einen Rollstuhlfahrer zu planen und zu buchen ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Reise mit Behinderung. Hier ist man nicht behindert, sondern wird behindert.

Mein Mann ist auf den Rollstuhl angewiesen. Wir reisen seit fast 20 Jahren zusammen. In dieser Zeit hat sich nicht viel verändert. Allenfalls die Recherche im Internet ist besser geworden. Pauschalreisen für Behinderte zum Beispiel sind nicht buchbar, da es so gut wie keine Angaben zu rollstuhlgerechten Zimmern gibt. Die Reisebüros geben sich grosse Mühe, um von den Veranstaltern Informationen zu bekommen, leider meistens ohne Erfolg. Ja, es gibt einige wenige spezielle Veranstalter/Reisebüros für Reisen mit Behinderung. Sie bieten in der Regel Gruppenreisen an, aber nur wenige individuelle Reisen. Und die sind auch eher teuer.

Für Flüge muss die Airline separat angerufen werden, um einen Rollstuhlfahrer anzumelden. Dabei werden die Angaben oft fehlerhaft eingetragen und müssen später während des Check-ins korrigiert werden. Immerhin gibt es in jedem Flugzeug Plätze für Rollstuhlfahrer. Sie liegen aber – warum auch immer – in der Mitte des Fliegers oder ganz hinten. Rollstuhlfahrer müssen also durch das ganze Flugzeug transportiert werden. Das ist erstens mühsam. Zweitens sind die Plätze oft schon anderweitig vergeben, und wir werden irgendwo hingesetzt, und zwar fast immer weit hinten. Warum checken wir dann nicht frühzeitig online ein? Weil das nicht geht. Es gibt keine Angaben dazu, ob ein Transport in das Flugzeug nötig ist.

Während des Fluges ist ein Besuch auf der Toilette nicht möglich, da die Maschinen dafür nicht ausgestattet sind. Auf der Langstrecke ist das eine Herausforderung, wie sich jeder vorstellen kann. Es gibt zwar in einigen Flugzeugen die Möglichkeit, die Toilette zu vergrössern, und auch einen speziellen Stuhl. Das wird aber nur selten angeboten, oder das Personal ist nicht geschult, um mit dieser Situation umzugehen.

Mit der Landung sind die Schwierigkeiten noch nicht vorbei. Falls wir umsteigen, ist unser eigener Rollstuhl nicht verfügbar, da im Gepäck. Die Rollstühle der Flughäfen sind leider oft eine Zumutung. Und wenn wir den Rollstuhl aus der Gepäckabfertigung holen, müssen wir immer wieder feststellen, dass leider nicht sehr sorgsam damit umgegangen wurde. Schäden sind keine Seltenheit. Was dann am Ferienort ein grösseres Problem darstellen kann. Generell geben sich die Fluggesellschaften aber grosse Mühe, um Rollstuhlfahrern die Reise angenehm zu gestalten. Auch das fliegende Personal ist sehr zuvorkommend. Die geschilderten Probleme sind eher systemischer Natur.

Probleme auch im Hotel...

Das gilt auch für Hotels. Es gibt keinen einheitlichen Standard für Zimmer. Oft sind sie mit einer Badewanne ausgestattet – aber wie soll ein Rollstuhlfahrer in die Badewanne und wieder herauskommen? Wenn es Duschen mit Duschsitz gibt, erweisen sie sich meistens als so klein, dass wir sie nicht nutzen können. Die Toiletten sind meistens so hoch gebaut, dass ein Rollstuhlfahrer in der Luft hängt – nicht sehr vorteilhaft, wenn man keine Bauchmuskeln hat und sich nicht gut halten kann.

Oft finden wir in Hotelzimmern Queensize-Betten vor, was für zwei Personen eine Katastrophe ist, da mein Mann sich mit seiner körperlichen Behinderung nicht auf der Stelle drehen kann. Auch die Betten sind in der Regel zu hoch, so dass Behinderte ohne fremde Hilfe nicht hinein und heraus können.

Überhaupt sind Hotelzimmer von «Fussgängern» gestaltet. Wir sind uns sicher, dass Menschen mit Behinderung dabei nicht mitgewirkt haben. Das zeigt sich auch an Aussagen wie «es ist keine Stufe vorhanden». Darauf kann man sich einfach nicht verlassen, da «Fussgänger» eine Stufe oft gar nicht wahrnehmen.

Dazu kommt: Nicht behinderte Personen reservieren oft rollstuhlgerechte Zimmer, da diese grösser sind, und blockieren sie damit für Gäste, die den Platz wirklich brauchen. Oft aber gibt es bei der Buchung erst gar keine Auswahl rollstuhlgerechter Zimmer, oder sie werden nicht garantiert. Eher schwierig, wenn man darauf angewiesen ist.

... oder im Zug

Auch die Reise mit der Bahn ist nicht einfach. In der Regel sind weder die Züge noch die Bahnhöfe für Rollstuhlfahrer geeignet. Informationen sind nur schwer zu finden. Zugfahren allein ist unmöglich, zu zweit eine Herausforderung.

Für die Reiseplanung brauchen wir also stets viel Zeit, weil wir unsere Reisen individuell zusammenstellen wollen und da man vorher genau schauen muss, welche Hotels rollstuhlgerechte Zimmer bieten und welche nicht. Die Erfahrung zeigt, dass ein Telefonat oft der einfachste Weg ist, um an Informationen zu kommen. Wenn es rollstuhlgerechte Zimmer gibt, sind wir wieder bei der Frage der Ausstattung. Für Rundreisen ist das eine wochenendfüllende Aufgabe. Da wir sehr viel reisen, habe ich inzwischen die nötige Erfahrung und kann mir gut helfen. Für Personen, die neu mit einer solchen Situation umgehen müssen, ist es sicher schwierig.

Menschen mit Beeinträchtigung reisen genauso gerne wie Menschen ohne Beeinträchtigung, müssen aber leider viele Hindernisse aus dem Weg räumen, bis sie eine Reise geniessen können. Wir würden uns wünschen, dass hier mehr getan wird und die Erfahrungen behinderter Menschen genutzt werden –  denn davon gibt es genug: Laut «Voyage of Discovery» sind mehr als zwei Milliarden Menschen auf der ganzen Welt aufgrund einer Behinderung oder ihres Alters auf Barrierefreiheit angewiesen.

(TN)