Tourismuswelt

Die Reiseindustrie tut gut daran, die speziellen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen vermehrt in ihre Überlegungen und Angebote mit einzubeziehen. Bild: Bomel

Die Reisebranche stellt sich immer besser auf Menschen mit Behinderung ein

Ben West

«Accessible Travel» zu bieten, ist zwar aufwändig. Das Potenzial ist aber gross.

Bis vor Kurzem war das, was Anbieter von Reisedienstleistungen für Menschen mit Behinderung leisteten, ziemlich simpel: Hier mal einen Zugang verbreitern, dort mal eine Zugangsrampe installieren, ein paar spezielle Zimmer im Hotel bereithalten und ein paar Betreuungspersonen zur Hand haben für den Flug. Das ist insofern verständlich, als dass die Reisebranche extrem kompetitiv ist und der Preisdruck so stark, dass das Ausarbeiten von Angeboten für Menschen mit Behinderung nicht nur ein logistisches Problem darstellt, sondern eben auch einen Kostenfaktor. Notwendige Investments werden oft nur widerwillig getätigt.

Allerdings beginnen manche Player der Tourismusbranche nun auch zu verstehen, dass etwas mehr Berücksichtigung von Menschen mit Behinderung ein durchaus lohnenswertes Zeit- und Geld-Investment sein kann. Gibt man Menschen mit Behinderung mehr Möglichkeiten, werden diese solche nutzen. Und so etwas lässt sich natürlich auch imageseitig vermarkten.

Dabei muss man sich eine imposante Zahl vor Augen führen: Laut Eurostat hat alleine in Europa eine von sieben Personen eine Mobilitätseinschränkung – das muss nicht immer gleich eine schwerwiegende Behinderung sein. Sich dafür einzusetzen, dass die Bedürfnisse solcher Menschen im Reiseprozess besser berücksichtigt werden, ist nicht nur altruistisch, es kann auch zu Umsatzsteigerungen führen. Denn viele Menschen mit Einschränkungen haben durchaus genügend Geld für Ferien. Kommt hinzu, dass manchmal eine ganze Familie ihre Ferienpläne anpassen muss, weil ein Familienmitglied eine Einschränkung hat. Kann man dieser Person «Barrierefreiheit» oder eben neudeutsch «accessibility» garantieren, hat man unter Umständen eine ganze Familie als (Neu-)Kunden.

Eine Studie des britischen Heimpflege-Unternehmens Helping Hands hat belegt, dass 58 Prozent der befragten Personen mit Mobilitätseinschränkungen attestieren, dass die Reiseindustrie in jüngster Zeit ihren Bedürfnissen immer besser entgegenkommt. Satte 38 Prozent der Befragten gaben an, heute viel öfter als früher Ferien zu machen, weil sich das Angebot und die Zugänglichkeit verbessert haben. Letztlich gibt die Möglichkeit zu reisen auch ein Gefühl von Freiheit, welches gerade Menschen mit Einschränkungen noch zu oft vermissen.

Induktionsschleifen und «Touch Tours»

Wobei «Behinderung» oft noch mit einer rein motorischen Behinderung gleichgestellt wird. Es geht aber nicht nur darum, alle Einrichtungen für Rollstühle zugänglich zu machen. Es geht darum, auch andere Formen von Behinderung wie Blindheit, Taubheit oder Demenz zu berücksichtigen. Solche Einschränkungen nehmen bei vielen Personen im Alter zu – und bekanntlich wird der prozentuale Anteil an Senioren in der Gesamtbevölkerung immer grösser. Da liegt also durchaus auch Potenzial brach.

Es gibt viele Wege, mit denen die Reiseindustrie das Leben für Menschen mit Behinderungen einfacher machen kann. Am Flughafen London-Gatwick beispielsweise wurden vor einem Jahr spezielle Bändel für Passagiere mit versteckten Behinderungen eingeführt. Wer – freiwillig – einen solchen Bändel trägt, signalisiert somit dem Bodenabfertigungspersonal auf diskrete Art, dass Hilfe benötigt wird.

Die weltberühmte St. Paul’s Cathedral in London bietet längst auch schon «Touch Tours» für Personen mit Sehbehinderung an. Solche geführten Touren kosten kein Extra (über den normalen Eintritt hinaus) und werden sehr rege genutzt, ja haben sogar zu generell erhöhtem Besucheraufkommen geführt, wie die Betreiber der Kathedrale bekannt geben.

Für Menschen mit Hörbehinderung werden immer öfter Induktionsschleifen installiert, also induktive Höranlagen, womit Hörgeräteträger drahtlos Signale, Musik oder auch Wortbeiträge empfangen können. Für Menschen mit Sehbehinderungen können Restaurants beispielsweise spezielle Menüs mit extra grosser Schrift oder gar Brailleschrift bieten und klar festhalten, dass Führerhunde erlaubt sind – das könnte die Anzahl Gäste schlagartig erhöhen.

Für Reiseveranstalter und Reisebüros gilt es, das eigene bzw. das angebotene Produkte so weit zu kennen, dass man Kunden mit Behinderung kompetente Auskunft geben kann über spezielle Einrichtungen. Wer Bescheid darüber weiss, welche Attraktionen rollstuhlgängig sind oder wo es für Hör- oder Sehbehinderte spezifische Einrichtungen gibt, wird solche Kundschaft langfristig für sich gewinnen.

Unsicherheiten beim richtigen Umgang mit Behinderungen

Rund 29 Prozent der Befragten in oben genannter Studie gaben an, dass die Reise trotz allem sehr anstrengend gewesen sei, weil viele in die Reise involvierte Unternehmen keine Ahnung hatten, wie sie auf die jeweilige Behinderung eingehen sollen und was zu tun sei, um Abhilfe zu schaffen.

Interessanterweise gab es aber auch geschlechterspezifische Unterschiede bei der Lagebeurteilung. So sagten 43 Prozent der Frauen, dass es nicht genügend Informationen rund um das Thema «Reisen mit Behinderung» gebe; bei den Männern betrug dieser Anteil nur 22 Prozent. Überdies gaben 30 Prozent der Frauen an, dass sie keine Ferien mehr verbringen, aus Angst vor Komplikationen aufgrund ihrer Behinderung; bei den Männern liegt dieser Wert bei 19 Prozent.

Hier finden Menschen mit Behinderung gute Reise-Infos

  • Die Schweiz ist vorbildlich im Umgang mit Menschen mit Behinderung. Auf der Webseite von Schweiz Tourismus gibt es eine spezielle Seite «Reisen mit Behinderung» mit vielerlei nützlichen Informationen. Viele nützliche Informationen bietet natürlich auch der Schweizerische Invaliden-Verband Procap - in Bezug auf Reisen unter diesem Link.
  • Deutschland ist ebenfalls schon lange gut auf Reisende mit Behinderung eingestellt. Auch die Webseite der Deutschen Zentrale für Tourismus hat eine eigene Seite namens «Discover Germany Barrier-Free». Die aktuelle Marketingstrategie Deutschlands inkludiert explizit spezielle «Zugänglichkeits-Initiativen» für Menschen mit Behinderung.
  • Chester (Grossbritannien), Rotterdam (Niederlande) und Jurmala (Lettland) waren, in dieser Reihenfolge, die Top-3-Städte im Ranking der «EU Access City of the Year». Hierbei wird berücksichtigt, wie stark sich die Städte für Zugänglichkeit einsetzen und wie viel bereits für Besucher mit Behinderung gemacht wird.
  • Washington (USA) hat sogar ein Gesetz, welches die Einrichtung von Behindertenparkplätzen vor Attraktionen vorschreibt sowie das Vermieten von Rollstühlen in diesen Attraktionen. In den Weltklasse-Museen der Stadt gibt es zudem zahlreiche «tactile displays», also Exponate, die man ertasten kann.
  • Barcelona (Spanien) ist zwar alles andere als ein Geheimtipp, aber viele wissen nicht, dass die katalonische Stadt sehr gut auf Besucher mit Behinderung eingestellt ist. Auch hier gibt es eine spezielle Webseite für Reisende mit Behinderung.