Tourismuswelt
Kommentar Voluntourismus hilft leider noch zu oft nur dem eigenen Image
In den letzten Jahren sind zahlreiche neue Tourismusbegriffe entstanden. Dazu gehört unter anderem «Voluntourismus», also eine Ferienform, bei welcher man «volunteering» betreibt statt an der Sonne zu liegen, also freiwillige und nicht entlöhnte Arbeit bei verschiedenen Hilfswerken. Vor zehn Jahren publizierte der renommierte Verlag Lonely Planet diesbezüglich den Band «Volunteer: A Traveller’s Guide to Making a Difference Around the World», welcher vorletzte Woche in vierter Auflage neu erschienen ist. Darin wird beschrieben, wie der Student, der Banker oder die Hausfrau, welche nicht einfach Selfies schiessen sondern aushelfen möchten, von Kambodscha bis Kolumbien Gutes tun können.
Interessantes Detail: In der Ausgabe 2007 posaunte Lonely Planet, dass auf 192 Seiten 190 Volunteering-Organisationen präsentiert werden. Bei der zweiten Ausgabe 2010 wurden auf 272 Seiten noch 170 Organisationen vorgestellt, bei der dritten Ausgabe 2013 auf ebenfalls 272 Seiten noch 159, und bei der aktuellen Ausgabe mit 320 Seiten noch deren 111.
Zu viele Organisationen – und Teilnehmer! – sind unseriös
Damit hat Lonely Planet ein Kernproblem erkannt: Zu viele Organisationen mischen heute im Volunteering-Business mit, welche nicht auf eigentliche Hilfeleistung aus sind, sondern darauf, altruistische aber unvorsichtige «Voluntouristen» auszubeuten – mit oftmals üblen Konsequenzen für jene, denen man vermeintlich helfen will. Inzwischen wird ja sogar «Honeyteering» angeboten, wieder so ein Neologismus, der «Honeymoon» und «Volunteering» verschmilzt. Jaja, das heutige Hipsterehepaar macht nicht schnöden Honeymoon auf den Malediven, sondern verteilt lieber Malstifte in Laos – auf Instagram wird das Gutmenschentum dann entsprechend in Szene gesetzt.
OK, natürlich sind nicht alle Voluntouristen so. Bei vielen ist der Wille aufrichtig da, zu helfen und das Leiden zu mindern. Das erschwert natürlich eine Kritik. Aber man darf sicher fragen, weshalb eine Reise nicht einfach dem aufrichtigen kulturellen Austausch, der respektvollen Entdeckung und dem gegenseitigen Verständnis dienen soll, sondern zwingend noch den Anstrich der «Hilfe» haben muss. Das «helfen müssen» hat etwas Herablassendes, ja Kolonialistisches, und schafft oftmals neue Abhängigkeiten, statt wirklich «Hilfe zur Selbsthilfe» zu bieten, was viel effektiver wäre.
Irgendwann mal gewöhnen sich die Kinder in Laos daran, dass ein endloser Reigen gutgesinnter Touristen ihnen Essen, Kleider und Utensilien mitbringt. Hilft das wirklich? Werden sie so erzogen, selbständig etwas zu erwerben und zu schaffen? Stellen Sie sich vor, ein Kambodschaner käme in die Schweiz und gibt dem ersten verwahrlosten Kind, das er sieht, einen Sack Reis, spricht ihm gut zu, macht ein Foto und verschwindet wieder…
Hilfe zur Selbsthilfe bieten, statt sein CV aufpeppen
Seit Ende des Krieges in Kambodscha, im Jahr 1979, hat sich die Anzahl Waisenhäuser verdreifacht; statt wie damals 7000 zählt man dort jetzt 47‘000 Waisen. Laut Unicef hat aber die grosse Mehrheit dieser Kinder durchaus Eltern. Da die Kinder aber im Waisenhaus oft gratis Kost und Logis haben und somit fast besser gestellt sind als ihre Eltern, ist das Resultat unter dem Strich, dass sie ihren Eltern quasi entzogen werden. Arm sein ist nicht immer mit Unglück gleich zu setzen…
Manchmal scheint die Hilfe auch völlig eigenen Zielen zu dienen, also nicht wirklich der Hilfe am Zielort. Beispiel: Schaut man auf der Webseite «Projects Abroad Schweiz» nach, steht dort «Durch Freiwilligenarbeit und Praktika in Afrika, Asien, Lateinamerika, Osteuropa und im Südpazifik ermöglicht es Projects Abroad seinen Freiwilligen, sich persönlich und fachlich weiterzuentwickeln. Vorkenntnisse werden für die Teilnahme an den meisten unserer Projekte nicht vorausgesetzt.» Zur Auswahl stehen Medizin- oder Physiotherapieprojekte, Journalismusprojekte, Sport oder Unterricht, ab 1740 Euro für zwei Wochen. Geht es statt der effektiven Hilfe hier nicht eher darum, sein eigenes CV aufzupeppen? Können sich so junge Europäer auch ohne Vorkenntnisse an den armen Kindern in Äthiopien oder Kambodscha in einem Fach üben? Das vermischt den guten Willen der jungen Voluntouristen mit deren Karrierewünschen. Gleichzeitig erweckt es den Eindruck, als ob eine unqualifizierte «Ferien-Krankenschwester» irgendwo in Afrika tatsächlich Besserung schaffen könnte.
Nein, Voluntourismus ist ein Konzept, das an sich löblich ist, welches aber jeder Interessent sauber hinterfragen sollte. Was bietet die Organisation, und in welcher Form? Wer wirklich helfen will, geht mit Hilfe kleiner und spezialisierter Organisationen vor Ort, versucht die Strukturen und Bedürfnisse zu begreifen, und hilft da, wo Hilfe auch explizit benötigt und verlangt wird. Das kann durchaus auch ein sinnvolles Forstprojekt in der Schweiz sein. Wer aber einfach für sein CV oder für sein Gewissen in einem Drittweltland «kurz mal hilft», hilft eben langfristig nicht. Da geht man besser gleich als Tourist ins Land und hinterlässt Devisen.