Tourismuswelt

Die italienische Jugend verlässt die Bergdörfer. Wachgeküsst werden die Orte immer öfters von Touristen. Bilder: SRT

Touristen retten verlassene Dörfer

Hans-Werner Rodrian

Ohne Zukunft, aber wunderschön: Italiens Bergdörfer werden immer leerer, die Jugend zieht in die Städte. Die Rettung dieser Orte: Die Touristen.

Schön wie gemalt: Eine Katze streunt herum, Bougainvillea rankt die verlassenen Balkone hoch. Aber wohnen wollen immer weniger Menschen in Tausenden bildhübscher Orte im Bergland hinter der Mittelmeerküste. Was lässt sich anfangen mit diesen historischen Dörfern, die zwar wunderschön sind, aus denen aber die Menschen weggezogen sind, weil es keine Arbeit mehr für die Jungen gibt? Immer öfter werden sie heute wachgeküsst - von Touristen. Wir stellen fünf solche Beispiele vor.

Portico di Romagna: Einchecken im Kloster

Blumen blühen vor den Fensterläden, Menschen lachen am Picknicktisch vor einem uralten Steinhaus, Kinder spielen Fangen. Ganz klar: Portico di Romagna auf halbem Weg zwischen Florenz und Rimini ist ganz eindeutig ein lebendiges Dorf. Das war nicht immer so. Noch vor wenigen Jahren waren viele Fensterläden verschlossen. Doch dann hatten die Bewohner eine Idee, um den Ort wieder mit Leben zu füllen: Sie boten einfach Touristen an, Ferien in ihrer Mitte zu machen und die Gäste teilhaben zu lassen am Dorfalltag. Seitdem entwickelt sich auch das Gemeinschaftsleben wieder trefflich: Es gibt einen Geigenbauer, dem man bei der Arbeit zusehen kann, einen Schmied und einen Trüffelsucher, der die Gäste mitnimmt auf die schmackhafte Suche. Herz des etwas anderen Feriendorfs ist der Vecchio Convento, ein ehemaliges Kloster, das heute gleichzeitig Restaurant ist und Rezeption für ein Hotel, dessen Zimmer quer durchs Dorf verteilt sind.

Alberghi Diffusi: Dorfhotel mit verstreuten Zimmern

Gäste wohnen zwischen Einheimischen und haben trotzdem Hotelservice. Das ist die Idee der Alberghi Diffusi (wörtlich: verstreute Hotels). So heissen solche charmanten Ferienquartiere in Italien. Inzwischen gibt es mehr als 50 von ihnen. Sie alle verfolgen das gleiche Ziel: Dörfer wieder lebendig zu machen und Touristen etwas vom Alltag und Lebensstil vor Ort mitzugeben. Gastfreundschaft wird ganz neu definiert. In den 1990er-Jahren angestosen, sind heute die restaurierten Höhlen in den berühmten «Sassi» von Matera genauso darunter wie die Trulli, steinerne Zipfelmützendörfer in Apulien. Mittlerweile gibt es auch eine Vereinigung dieser Dörfer, die «Associazione degli Alberghi Diffusi». Sie wacht streng über die gemeinsamen Regeln – deren Wichtigste lautet: Es muss noch ein historischer Kern und eine Dorfgemeinschaft vorhanden sein.

Graniti: Olivenhändler ist zurück in der Heimat

Aber was tun, wenn das Dorf bereits verlassen ist? Diese Frage stellte sich der Sizilianer Salvatore Romano, als er nach einem erfolgreichen Berufsleben zurückkam in seinen Geburtsort Graniti im grünen Alcantaratal. Nach und nach begann er mit seiner deutschen Frau Karin Meier die verlassenen Dorfhäuser 20 Kilometer landeinwärts von Taormina im originalen Stil zu renovieren und an Feriengäste zu vermieten. So sind die alten Gassen zumindest während der Ferienmonate belebt. Mehr noch: Das kunstsinnige Paar lädt regelmässig Künstler ein, eine Weile bei ihnen zu leben und zu arbeiten. Und wenn im Oktober die Olivenbäume reif für die Ernte sind, finden sich immer häufiger auch Feriengäste, die an einem ganz speziellen Pauschalangebot teilnehmen: eine Woche lang täglich von acht bis 14 Uhr die Bäume wie früher von Hand zu pflücken.

Montegridolfo: Designerin verliebt sich in Bergdorf

Ohne Sponsoren geht es oft nicht. Das gilt auch für das pittoreske Dörfchen Montegridolfo, eine halbe Autostunde landeinwärts der Strände von Cattolica. In den 1990ern suchte die Modedesignerin Alberta Ferretti eigentlich nur ein Ferienhaus und verliebte sich gleich in das ganze dahinbröckelnde Dörfchen. Längst hat sie es mit Hilfe einiger solventer Freunde komplett restauriert - samt Stadtmauer, Kirche und dem stilvollen Hotel Palazzo Viviani. Dessen Zimmer sind bis auf wenige in klassischer Albergo-Diffuso-Art durch den ganzen Ort verstreut. Und wer dann von der stimmungsvollen Taverne nach einer himmlischen Portion Tagliatelle al Raguù zur schick restaurierten «eigenen» Wohnung heimkehrt und vorbei läuft an Granatapfelbäumen, hübschen kleinen Läden und sogar einer Eisdiele, der darf sich fast selbst wie ein Retter des italienischen Landlebens fühlen.

Castelfalfi: Reisekonzern rettet Langobardenburg

Landleben deluxe: Längst hat auch die Reiseindustrie Gefallen gefunden am Reiz des Echten, Wahren, Historischen. So kaufte der Touristikkonzern Tui vor zehn Jahren das Dorf Castelfalfi im Herzen der hügeligen Toskana zwischen San Gimignano und Pisa. Ein paar Leute lebten dort noch, die insgesamt 26 Bauernhäuser waren aber zu Ruinen verfallen. Nur wenige trauten dem Ferienkonzern damals den nötigen langen Atem zu. Aber er hielt durch und investierte mehr als hundert Millionen Euro. Das Ergebnis ist natürlich kein echtes Dorf mehr, aber es kann sich sehen lassen: In der ehemaligen Tabakfabrik entstand ein typisch toskanisches Landhotel. Im Borgo, dem alten Ortskern mit den Wohnungen der Tabakarbeiter, sind edle Apartments entstanden. Von der 800 Jahre alten Burg blickt man in eine bukolische Landschaft und auf einen der anspruchsvollsten Golfplätze Italiens. Und selbst das frisch eröffnete Fünfsternehotel gliedert sich ein: Es grenzt direkt ans (ebenfalls von Tui betriebene) öffentliche Freibad, das längst auch die Schulkinder von weit und fern entdeckt haben. Und so hört man denn auf der schicken Terrasse mit Hunderttausendollarblick und einem Glas gutseigenem Chianti Riserva in der Hand bisweilen auch fröhliches Kindergeschrei - man befindet sich schliesslich in einem lebendigen Dorf.

Der Blick von der Restaurantterrasse im TUI Blue Castelfalfi lässt nichts zu wünschen übrig.