Tourismuswelt

Es war einmal ein Gedränge vor dem Reisebüro... davon können Reisebüros heute nur noch träumen. Bild: Pixabay

«Die Leute standen vor dem Reisebüro Schlange»

Wovon Reisebüros heute nur noch träumen können, war vor 20 Jahren Alltag. Eine langjährige Reisebüromitarbeiterin erzählt aus der Vergangenheit.

Ein Reisebüroalltag ohne Galileo, Amadeus, CETS und anderen Buchungssystemen ist für die Reisebüro-Auszubildenden von heute undenkbar. Dass Flüge nicht kommissioniert werden und die Kunden sich die Reise auch gerne mal selber im Internet zusammenstellen, weiss jeder Reisebüro-Neuling spätestens nach wenigen Tagen.

Dem war aber nicht immer so. «Als ich meine Lehre im Jahr 1998 begann, gab es noch kein CETS. Wir hatten ein System namens TURBO, da musste man Bestätigungen und Reiseprogramme manuell für den jeweiligen Kunden anpassen. Das Ganze war sehr kryptisch aufgebaut: Ich musste oft die Befehle F4 oder F5 verwenden», erzählt Sabrina E. (Name der Redaktion bekannt), die auch heute noch in der Reisebranche tätig ist.

Während Sabrinas Lehrzeit gab es aber immerhin schon das Flugbuchungssystem. «Wir arbeiteten auf Galileo. Allerdings gab es zu dieser Zeit noch nicht wie heute zig Buchungsklassen. Nebst dem Business- und First-Class-Tarif unterschieden wir die Tarife Super-Apex, Apex, Super-Pex, Pex und Excursion.»

Easyjet, Eurowings und andere Billig-Airlines waren damals noch in weiter Ferne. «Für die Kunden war es normal, für einen Flug von Zürich nach London 700 Franken zu bezahlen», erzählt die gelernte Reisebüro-Kauffrau. Ein Business-Class-Flug unter 6000 Franken? Ein Ding der Unmöglichkeit. «Als die Flugpreise günstiger wurden, echauffierte sich das ältere Publikum darüber, dass plötzlich Hinz und Kunz mitfliegt», sagt die langjährige Branchenkennerin schmunzelnd.

«Wir überdruckten das alte Ticket einfach»

Die Flugpreise waren zwar deutlich teurer, dafür konnte bei Umbuchungen ein wenig getrickst und so den Kunden teure Umbuchungsgebühren erspart werden. «Mit der Zeit wurde jedes Reisebüro meines damaligen Arbeitgebers mit einem Ticketprinter ausgestattet. Hatten wir eine Umbuchung, nahmen wir diese im Galileo vor, legten das bereits gedruckte Ticket in den Printer und druckten das neue Ticket einfach darüber. Zusätzlich hatten wir diese kleinen gelben Sticker, die konnte man von Hand ausfüllen und damit war das Ticket dann gültig», verrät Sabrina die in ihrem Betrieb damals gängige, aber wohl nicht ganz so legale Praxis.

Aber die Reisebranche florierte zu dieser Zeit, die Airlines nahmen es mit den Kontrollen von Umbuchungen nicht so genau. «Erst in den 2000-Jahren begannen die Airlines, die zurückliegenden Jahre zu analysieren. Da flatterten plötzlich Agent Debit Memos (ADM) von mehreren Hunderttausend Franken wegen nicht bezahlter Umbuchungsgebühren rein», erzählt Sabrina.

Zu Ihrer Anfangszeit standen die Kunden Schlange, um sich beraten zu lassen. Auch Nur-Flugbuchungen waren lukrativ: Bezahlten die Airlines damals doch noch sieben bis zehn Prozent Kommission – zusätzliche Einnahmen, die sich positiv im Jahresergebnis niederschlugen.

11. September und Swissair-Grounding

Der erste grosse Einbruch erfolgte mit dem 11. September 2001: Nach dem tragischen Terroranschlug auf das World Trade Center in New York waren die Reisenden verunsichert. Nur gerade knapp drei Wochen später kam das Swissair-Grounding. «Die Reisebüros waren wie leergefegt», erinnert sich Sabrina.

Seitdem habe sich vieles verändert – zum Positiven wie auch zum Negativen: Die Buchungssysteme wurden weiterentwickelt und vereinfacht, die Flugbuchungsklassen bei den Airlines erweitert, die Kommissionen auf Flugbuchungen für Reisebüros gestrichen und Reiseerlebnisse dank VR-Brillen bereits bei der Beratung erlebbar gemacht. Aber dass Kunden Schlange stehen für eine Beratung, das wird der Auszubildende von heute wohl nicht mehr erleben.

(LVE)