Tourismuswelt

Morgens an der Playa d'en Bossa auf Ibiza: freie Liegen sind ein knappes Gut. Bild: TN

Einwurf Natürliche Feinde

Felix Frei

Das Reisen könnte so viel Freude bereiten, wäre da nicht der andere Tourist, schreibt Autor Felix Frei.

Der natürliche Feind des Touristen ist der Tourist. Wir kennen ihn. Er steht in der Check-in-Schlange vor uns, und wenn er endlich drankommt, beginnt er umständlich Etiketten für seine drei Koffer zu beschriften. Sollte er zufällig hinter uns stehen, dann wird er sicherlich drängeln, auf dass sein Rollkoffer alle paar Minuten unsere Fersen rammt. Unnötig zu sagen, dass er im Flugzeug eine Ewigkeit braucht, um sein überdimensioniertes Handgepäck in der Ablage zu verstauen, nur um dann noch eine Weile siegesgewiss in die Kolonne der nachfolgenden Passagiere zu schauen, bevor er sich gemütlich in den Sitz zwängt.

In der Hotelanlage nutzt er den frühmorgendlichen Harndrang, um rasch drei Liegestühle am Strand mit Handtüchern vorzureservieren: einen für sich, einen für seine Frau und einen für alle Fälle. Gegen Mittag wird er dann, nach nochmaligem Schläfchen und erfolgreich geschlagener Schlacht am Frühstücks-Buffet mit feldherrlicher Siegesgewissheit zum Strand kommen und Loser wie unsereinen bei der vergeblichen Suche nach einem Plätzchen belächeln.

Dass er – vor was auch immer – primär sich selbst fotografiert, kann man ja verstehen. Denn diese Art von Ego braucht eine fortwährende Selbstvergewisserung.

Ach, das Reisen könnte so viel Freude bereiten, wenn der Tourist nicht da wäre. Der andere, natürlich. Man könnte mit den Einheimischen ein Pläuschchen haben, man sähe die Sehenswürdigkeiten original und nicht versteckt hinter einer Armada von Bäuchen, Rucksäcken und Selfiesticks. Man hätte zuhause etwas zu erzählen, was alle anderen neidisch machte. Es wäre das Paradies.

Gratis ist das Paradies nicht

Leider, das müssen wir zugeben, würde der Grossteil der fürs Reisen nützlichen Infrastruktur dann fehlen: viele Transportmöglichkeiten und Unterkünfte, manche Verpflegungsstätte und wohl auch die bereitgestellten Liegestühle. Unwahrscheinlich, dass man das alles nur für uns alleine aufbauen würde. Unser Preis sind offenbar die anderen Touristen – gratis ist das Paradies halt nicht.

Kommt dazu, dass diese grossgewachsene braunhaarige Auch-Touristin in den letzten Ferien ja wirklich sehr attraktiv, wenn leider auch ein wenig unnahbar war. Aber den Frühstücksraum aufgehellt hat ihre Präsenz allemal. Und selbst die Schweizer, die wir vor zwei Jahren auf der Safari kennenlernten, gehören mittlerweile ja zu unserem engeren Freundeskreis. Es gibt halt eben schon Touristen und Touristen. Nur zu viel ist zu viel.

Mass statt Masse! Grad so viele andere Touristen, dass sich Angebote für sie lohnen – ohne aber Dichtestress zu erzeugen. Mengenbeschränkung – auch bei der Weinherstellung ist dies das Erfolgsrezept für Qualität. Nur dass es im Tourismus (von wenigen exklusiven Destinationen abgesehen) eben keinen «Weinbauern» gibt, der die Mengenbeschränkung durchführt. Abgesehen davon, dass die Sache natürlich völlig daneben wäre, wenn ausgerechnet wir der Beschränkung zum Opfer fielen.

Die elf Gebote

Früher liess sich das Problem ja noch durch Ausweichen auf unbekannte, noch wenig entdeckte Orte lösen. Diese Zeiten sind vorbei. Was immer wo auch immer sehenswert ist, wurde entdeckt – vom Touristen und für ihn. Dem anderen, der immer schon dort ist, wenn man ankommt.

Vielleicht sollten wir eine allgemeine Visumspflicht einführen im Tourismus. Für alle Länder. Einschliesslich des eigenen, wenn man da reist. Ein Visum erhält, wer die folgenden elf Gebote aus dem Friedensabkommen zwischen den Touristen aller Länder unterzeichnet und zu beherzigen gelobt:

  1. Sei freundlich.
  2. Sei auch da höflich, wo du auf dein Recht bestehen musst.
  3. Sei interessiert, oder bleibe zuhause.
  4. Lass nichts zurück ausser Geld.
  5. Verdirb anderen Touristen nicht die Ferien.
  6. Benimm dich wie ein Gast, der gerne wieder eingeladen würde.
  7. Reise nie ohne Kinderstube.
  8. Freu dich nicht an Schnäppchen, freu dich darüber, was du dir leisten kannst.
  9. Blockiere keinen Liegestuhl, den du gar nicht brauchst.
  10. Ramme mir nie deinen Rollkoffer in die Fersen.
  11. Mach deine Augen auf, nicht deine Selfie-App.