Tourismuswelt

Auf den Ramblas in Barcelona akzentuiert sich das Problem des Massentourismus. Bild: HO

Kommentar Die Liste der Unzufriedenen wird immer länger

Gregor Waser

Einige Ferienziele bewegen sich am Rand eines Kollapses. Der Massentourismus stösst an Grenzen.

Es wird mehr gereist denn je. Daran ändern auch Terrorangst und erhöhte Sicherheitsvorkehrungen nichts. Zu verlockend ist der Ruf der Ferne, gerade wenn man mit Transatlantikflügen für 80 Franken oder Busreisen nach Hamburg für 15 Franken gelockt wird. Sind Destinationen wie die Türkei oder die Länder Nordafrikas gerade negativ in den Schlagzeilen, wird einfach auf eine andere Destination ausgewichen. Auch dort lässt sich schnell das Hotel online zum Schnäppchenpreis buchen, der Transfer vom Flughafen ins Hotel mit Uber organisieren, die Info zu lokalen Attraktionen gratis im Netz zusammenklauben. Geiz ist geil ist kein Werbespruch mehr, er ist gelebte Realität. Alles ist billig geworden.

Dadurch wurden vielerorts neue Besucher-Rekordzahlen registriert. In Spanien, Portugal oder Kroatien etwa. Die Airlines und Flughäfen vermelden Rekordzahlen. Die OTAs vermelden Rekord-Wachstum. Der Rekord, die Maximierung, die Optimierung – das sind die wichtigsten Währungen in der Konsumwelt. Das ist auch in der Reisebranche so.

Die Touristenanstürme haben ein Ausmass angenommen, dass kaum mehr zu bewältigen ist.

Aber ewig kann das nicht gut gehen. Der Massentourismus stösst an Grenzen, überschreitet diese. Einige Ferienziele bewegen sich am Rand eines Kollapses. In der lokalen Bevölkerung macht sich immer mehr Unmut breit über die Massen, welche die Stadtkerne verstopfen, die kurz Sehenswürdigkeiten von ihrer to-do-Liste streichen und viel mehr Müll als Geld liegen lassen, bevor sie wieder abziehen – nicht selten ohne einen Funken Interesse an lokalen Gegebenheiten und dem Lebensstil der Lokalbevölkerung. Diese Woche hat sich Globetrotter-CEO André Lüthi zu diesem Thema geäussert, währenddessen die Bürgermeisterin von Barcelona den Touristenmassen regelrecht den Kampf angesagt hat.

Die Liste der Unzufriedenen wird immer länger: Barcelona, Mallorca, Venedig, Rom, Dubrovnik, Santorini, Amsterdam, aber auch kleinere Orte wie etwa das norwegische Bergen. Überall machen sich Proteste breit. Die Touristenanstürme haben ein Ausmass angenommen, das kaum mehr zu bewältigen ist. Ein Treiber dieser Entwicklungen sind die gigantischen Cruise Liner, die für wenige Stunden vor Ort ankern und für eine kurzfristige Touristenflut sorgen; ebenso die Airlines, angeführt von den Billigfliegern mit ihren 39 Franken-Tarifen.

Eine absehbare Entwicklung ist die, dass in nächster Zeit Zweitstädte Auftrieb erhalten. Sollten Städte wie Amsterdam, Barcelona oder Venedig dem Massentourismus vermehrt mit Hürden entgegentreten, dürften Städtereisende – die viele Metropolen schon abgehakt haben – vermehrt Zweitstädte ins Visier nehmen, ob Rotterdam, San Sebastian oder Ravenna. Klar, die Anreise dürfte in Richtung Zweitstädte einige Franken teurer sein, doch der Erlebnisfaktor ist oft mindestens so gross. Die Verteilung der Touristenströme auf sekundäre Ziele ist nicht nur notwendig, sondern kann dem Tourismus auch wieder eine positive Funktion geben, nämlich als wirtschaftlicher Motor für Destinationen, statt als Irritation und Störfaktor.