Tourismuswelt

Die Vielfalt an Angeboten und Angebotsformen schafft auch eine Vielfalt an Jobmöglichkeiten. Bild: Fotolia

Kommentar Der Einstieg in die Reisebranche lohnt sich

Jean-Claude Raemy

Vielfältig, faszinierend, zukunftsgerichtet, aber auch komplex und aufreibend: Ein Plädoyer für das Arbeiten in der Reisebranche – und für mehr Unterstützung durch die Politik.

Die Reisebranche ist, global betrachtet, eine der grössten Industrien weltweit – und eine, die sich in einem konstanten Wandel befindet. Laut Zahlen der International Labour Organization dürfte sie bis zu 10% der globalen Arbeitsplätze kreieren, auch rund 10% zum globalen Bruttosozialprodukt beitragen und gerade im Dienstleistungssektor bis zu 30% aller Stellen ausmachen. Sie ist wesentlich für viele Weltregionen im Kampf gegen Armut, sie ist immer wieder gefordert in Bezug auf ökologische Themen, sie ist ein Geschäftstreiber in unzähligen Varianten. Dennoch ist sie gerade bei vielen Regierungen nicht ein Kernfokus – Banken, Versicherungen, Schwerindustrie werden immer noch als «wichtigere» Branchen wahrgenommen.

In der Schweiz hat man zuletzt vor allem über die «Gesundschrumpfung» oder Konsolidierung der Reisebranche diskutiert. Gewiss, die Anzahl Reisebüros und Reiseveranstalter hat markant abgenommen. Doch die Branche befindet sich global, und auch in der Schweiz, im Wachstum. Im Onlinesektor entstehen zahlreiche neue Möglichkeiten, Reisen an den Kunden zu bringen. Das Reisen als beliebte Form der Freizeitgestaltung ist angesichts der enormen Möglichkeiten im Transportbereich und dank anhaltend tiefer Preise beliebt wie nie. Bei Passagier- oder Einreisezahlen überschlagen sich die Rekorde. Die Nachfrage ist also da. Wer bedient sie?

Welche andere Branche bietet eine derartige Vielfalt an Jobprofilen und Möglichkeiten?

Beim Mailinghouse Flühmann – der besten «Adressdatenbank» für die Schweizer Reisebranche – nachgefragt, ergibt sich folgendes Bild (wobei die Zahlen mit Vorsicht zu geniessen sind aufgrund der stetigen Veränderungen im Markt): Als Arbeitgeber kommen für ausgebildete Reiseprofis sowie für interessierte Quereinsteiger allein in der Schweiz 1732 Reisebüros, 272 Reiseveranstalter, 75 Fluggesellschaften, 18 Kreuzfahrtgesellschaften, elf Autovermietungsgesellschaften, 254 Busreiseunternehmen und 62 Tauchshops in Frage. Und das ist nur der Outgoing-Tourismus – im Incoming ist die Auswahl um ein Vielfaches grösser. Die neuen Branchenplayer aus dem Onlinesektor, von der OTA über den Metasearcher bis zu kleinen, reinen Online-Reisebüros, sind ebenfalls präsent und am rekrutieren. Es finden Verschiebungen der Jobprofile und –inhalte statt, aber die Reiseindustrie per se wächst.

Die Reisebranche bietet schliesslich enorme Vielfalt: Sie umfasst alle Transportarten, Unternehmungsarten und Reisen von den Familien-Strandferien über Kulturreisen und Abenteuertrips und Ökotourismus bis hin zu Konferenz- und Incentivereisen. Hinzu kommen nochmals alle «Ancillary Services» aus IT, Finanzen, Marketing etc.

In der Reisebranche zu arbeiten ist sowohl Kunst als auch Wissenschaft.

Fast die Hälfte der Bewerbungen, welche aktuell auf «einfachere» Stellen in der Reisebranche – also solche, wo nicht jahrelange Ausbildung und Erfahrung zwingend notwendig sind – eingehen, kommen von Quereinsteigern. Das widerspiegelt die Faszination, welche von dieser Branche weiterhin ausgeht. Aber Achtung: Das Lohnniveau ist vergleichsweise tief, der geforderte Arbeitseinsatz hoch. Und das Know-how erarbeitet man sich nicht husch husch. Das verhindert vielen den Einstieg oder vergrault vorweg die Lust an der Bewerbung.

Es lohnt sich aber, in die Reisebranche einzusteigen; ob von der Pike auf mit einer schulischen Ausbildung/Lehre, oder auch als Quereinsteiger. In der Reisebranche zu arbeiten ist sowohl Kunst als auch Wissenschaft. Die Kunst ist es, schöne Produkte zu kreieren, lustvoll zu bewerben und genüsslich-professionell zu verkaufen. Die Wissenschaft ist, das Geschäft clever, innovativ und fortschrittlich – und damit gewinnbringend – zu betreiben. Dieser Spagat kann schwer sein, aber es gibt wohl auch kaum Branchen mit grösserem Befriedigungsfaktor.

Ja, die Absprungrate bei Jobs auf tieferer Erfahrungsstufe ist weiterhin hoch. Viele bleiben aber auch ein Leben lang in der Reisebranche - oder trauern ihr nach, wenn sie diese (manchmal unfreiwillig) verlassen. Unsere facettenreiche und wandlungsfrohe Branche braucht stetigen neuen Input auf Arbeitgeber- wie auf Arbeitnehmerseite. Und sie muss klar mehr Unterstützung auch von Behördenseite erhalten. Denn es ist nicht nur eine beliebte Branche: Sie ist in der (Schweizer) Arbeitswelt wesentlich.