Tourismuswelt

Die versteckten Seiten von Grossstädten wie Melbourne, die Locals kennen sie. Bild: visitmelbourne.com

Kommentar In der Seitenstrasse der Flinders Lane

Gregor Waser

Locals sind die besten Tourguides. Das wollen sich auch Google, Airbnb, Booking und Tripadvisor zunutze machen.

Es war der Auslöser, wieso ich für immer dem Reisefieber verfiel, Ende 1988. Nach dem eher langweiligen Besuch von Canberra stellte ich mich an die Strasse mit dem Ziel Melbourne. Keine halbe Stunde später stoppte ein etwa Gleichaltriger, komm rein, ich heisse Ian, nach Melbourne? – ist auch mein Ziel. Die nächsten sieben Stunden plauderten wir ununterbrochen. Ian zwang mich in der Bude mit seinen Kumpels zu übernachten. Und die drei Aussies zeigten mir in den darauffolgenden Tagen die überraschendsten Locations in den Seitenstrassen der Flinders Lane und in den Vororten. Thanks, mates.

Dass Locals unschlagbare Tourguides sind, entdeckt die Reiseindustrie zusehends. Mit Ausflügen, Touren und wirklichen Einblicken in Städte wollen sie nun alle auftrumpfen. Diese Woche häuften sich die Schlagzeilen. Airbnb hat Trip4real übernommen, Lastminute.com kauft Wayn, Tripadvisor baut die Angebote von Viator aus, Booking forciert Booking Experiences via Getyourguide und die App Google Trips da, mit Informationen zu Highlights und versteckten Ecken einer Stadt, basierend auf Reviews und Erfahrungen anderer Reisenden.

Was ist da los? Welches sind die Hintergedanken? Ob Online-Reisebüro, Bettenvermittler oder Suchmaschine, sie alle wollen mittlerweile die gesamte Kette des Online-Reisezyklus abdecken und dabei sein – bei der Inspiration, bei der Suche, bei der Buchung, während der Reise, nach der Reise. Google ist mit grossen Schritten dazu unterwegs, auf allen Stufen eine dominante Stellung einzunehmen. Da wollen Airbnb, Tripadvisor oder Booking nicht zurückstehen und setzen alles daran, auch abseits ihres ursprünglichen Kerngeschäfts bei Reisenden zu punkten, sie abzuholen, ihre Daten zu sammeln und passende Zusatzangebote aufzubereiten.

«Peer-to-Peer verspricht überraschende Reiseerlebnisse abseits von Bettenburgen und vorfabrizierten Rundreisen»

Hinzu kommt: Peer-to-Peer-Netzwerke, wo der «Austausch zwischen Gleichgestellter oder Ebenbürtiger» stattfindet, sind sexy. Der geschätzte Börsenwert von Airbnb, dem Vermittler von Privatwohnungen, beläuft sich auf 25 Milliarden Dollar. Peer-to-Peer verspricht überraschende Reiseerlebnisse, authentische Einblicke, unvergessliche Erfahrungen – abseits von Bettenburgen und vorfabrizierten Rundreisen.

Doch es zeichnen sich Grenzen ab. Dem Online-Kunden eine Vielzahl von Zusatzangeboten anzudrehen, funktioniert nicht. Eventuell lässt sich noch eine Versicherung verkaufen. Doch endlos Ancillaries, Nebenleistungen anzupreisen, kann auch ein Schuss nach hinten sein. Air Baltic etwa hat es jüngst übertrieben, dem Online-Kunden nach der Buchung mehrfach Zusatzangebote anzupreisen, sogar eine Taxifahrt ins Stadtzentrum, bis es nur noch nervt.

Und auch der Peer-to-Peer-Gedanke ist kein Allerheilmittel. Getyourguide etwa ist von den Peers wieder weggekommen. Zu tricky, unzuverlässig und teilweise qualitativ mangelhaft hat sich die Zusammenarbeit mit Privaten erwiesen, die eine Stadtbesichtigung anbieten – oder sie konnten Reisende nicht in Sehenswürdigkeiten wie die Hagia Sofia hineinbegleiten, weil ihnen die Akreditierung als offizieller Guide fehlte. Und bei Aktivitäten wie Canyoning mit einem Privatguide stellen sich Versicherungsfragen, die den Vermittler in die Bredouille bringen können, falls etwas schief läuft. Getyourguide setzt nun wieder auf professionelle Vermittler und Organisationen. Die auch viel kennen  – wenngleich wohl nicht die angesagtesten Konzertbars, die mir Ian und seine Kumpels damals in Melbourne gezeigt haben.