Tourismuswelt

Felix Frei befürchtet, dass die Party fünf Minuten nach Krisenschluss weitergeht wie gehabt, der Ballermann wieder hochgefahren wird, der Overtourism mit 30 Zentimeter Distanz zwischen Touristennase und Touristennase wieder da ist, als ob nichts war. Bild: TN

Einwurf Nix gelernt ...

Felix Frei

Wird die Welt eine andere sein nach der Corona-Krise? Autor Felix Frei hatte in seinem Einwurf vor drei Jahren seine Zweifel – und die haben sich bewahrheitet.

Es häufen sich in den Medien die Beiträge, die Mut machen wollen. «Never let a good crisis go to waste», wie Winston Churchill gesagt haben soll. Die Welt werde eine andere sein, wenn diese Corona-Krise vorüber sei – man werde weitreichende Lehren ziehen, so wird argumentiert. Und die Beispiele reichen vom Rückbau der Globalisierung über die Verstärkung der nationalen Autarkie bis hin zu künftig viel mehr Nachbarschaftshilfe und einer wiedererstandenen Fähigkeit, einen Abend auch gemütlich zu Hause, ohne jegliches Remmidemmi verbringen zu können.

Allein, mir fehlt der Glaube. Werden wir wirklich lernen? Meine Befürchtung ist, dass die Party fünf Minuten nach Krisenschluss weitergeht wie gehabt, der Ballermann wieder hochgefahren wird, der Overtourism mit 30 Zentimeter Distanz zwischen Touristennase und Touristennase wieder da ist, als ob nichts war. Zumindest dann, wenn die Krise zu einem klaren Schluss kommt und überzeugend Entwarnung gegeben werden kann. Diese Klarheit ist aber eher ein frommer Wunsch. Realistischer ist es, dass uns die Krise noch lange beschäftigt und wir nur sehr mühselig und peu à peu in «Normalität» zurückfinden werden. In diesem Fall geht die Party zwar nicht einfach so weiter, aber es wird so zermürbend sein, dass man erst recht nicht bereit ist, kluge Lehren zu ziehen. Vielmehr wird man dann umso verzweifelter darauf hoffen, dass alles wieder «wie früher» werde.

Das Problem liegt meines Erachtens darin, dass es das im Titel angesprochene «Wir» als Akteur gar nicht gibt. Natürlich ist es beeindruckend – und vielleicht historisch erstmalig –, dass absolut weltumspannend, entlang aller politischer Kräfte (von ignoranten Selbstdarstellern einmal abgesehen) das einhellige Bewusstsein besteht: Wir müssen handeln, und zwar rasch. Und dass man (anders als beim Klima etwa) auch tatsächlich rigoros handelt! Aber das gilt nur auf einer epidemiologisch-pragmatischen sowie volkswirtschaftlichen Ebene. Denn da geben die Experten den Takt vor. Für die Ebene der gesellschaftlichen Werte und Prioriäten hingegen gibt es das nicht.

Das System wird weiter ausgereizt

Dass die Experten aus der Krise lernen werden, davon bin ich überzeugt. Aber eben nur sie (und man wird in der nächsten Krise deshalb trotzdem nicht viel früher auf sie hören, leider). Die Experten haben Gremien und Medien, in denen der Diskurs geführt werden kann, und sie haben vergleichsweise häufig geteilte Erfolgskriterien.

Doch auf der Ebene der Gesellschaft fehlt das. Es gibt nicht «die» Politik – zumindest nicht als ein Akteur. «Die» Politik ist die Bühne, auf der verschiedenste Akteure agieren – und sie verfolgen ihre ganz und gar eigenen Ziele. Und sobald der sie im Moment gerade einigende gemeinsame Feind namens Sars-CoV-2 besiegt sein wird, dann wird es auch mit der Einigkeit vorbei sein, und alle Akteure werden wieder ihr je eigenes Süppchen kochen.

Noch viel gravierender ist die Absenz eines handlungsfähigen «Wir» auf der Ebene des Wirtschaftssystems. Es gibt keinen gigantischen Runden Tisch, an dem darüber beraten würde, ob man künftig weiter auf die uferlose Globalisierung setzen will oder nicht. Ob man die Finanzwirtschaft weiterhin komplett enthemmt ihren Kasinokapitalismus spielen lassen will oder nicht. Ob man weiterhin alle Gewinne privatisieren und alle Verluste sozialisieren will oder nicht. Also bleibt das System das System, und es bewegt sich nach seiner inneren Logik weiter. Und da dabei – wie üblich – auch viele «Kriegs»-Gewinnler auftauchen und das System weiter ausreizen und beschleunigen werden, wird das System nicht nur sehr rasch seine alten Stärken wieder zeigen, sondern eben auch alle seine fundamentalen Konstruktionsfehler behalten.

Hoffnung für den Tourismus

Bleiben wir Individuen als «Wir». Natürlich wäre es jeder und jedem von uns unbenommen, aus der Krise zu lernen. Und manche werden das auch tun. Aber der Effekt wird bescheiden bleiben, solange für System und politische Akteure das oben Gesagte gilt. Denn Individuen bewegen sich zwangsläufig auch in der Logik des sie umgebenden Systems. Und die vielleicht einzige reale Form von «Herdenimmunität» existiert nicht gegenüber Viren, sondern gegenüber all den weisen Lehren, die man noch mitten in der Krise für zwingend gehalten hatte …

Man könnte im Pessimismus erlahmen.

Vielleicht jedoch gibt es etwas mehr Hoffnung, wenn man sein Auge nicht aufs Globale richtet, sondern auf eine sehr viel engere Welt. Schuster, bleib bei deinen Leisten. In unserem Fall bei der Tourismus- und Reisewelt. Wir haben den Vorteil, dass wir professionelle Gremien haben, die wie die oben angesprochenen Experten tatsächlich lernen können (und hoffentlich werden) – wie UNWTO, IATA, ECTAA, CLIA, SRV, you name it. Wir werden nicht übersteuert von politischen Kräften (obwohl uns von da natürlich schon bessere oder schlechtere Rahmenbedingungen gesetzt werden). Aber wir haben die Kanäle und Plattformen, um mit den reisenden Individuen den Diskurs darüber zu führen, was wir aus der Krise lernen können. Das einzelne Reisebüro oder Hotel (um pars pro toto zu sprechen) ist nicht so unendlich weit weg von der Branche wie das beispielsweise der kleine Bankkunde vom globalen Finanzsystem ist. Wenn die Branche – auch nur schon auf nationaler Ebene – eine überzeugende Diskussion über den Tourismus und das Reisen der Zukunft in Gang bringt, dann kann und wird ihre Kundschaft sich auch bewegen lassen. Dann hätten «wir» tatsächlich etwas gelernt.

Mindestens so viel Zuversicht muss sein.


Dieser Text erschien am 23. März 2020 auf travelnews.ch.