Tourismuswelt

Touristen? Das sind immer die anderen

Gottlieb F. Höpli

Was nervt Touristen am meisten, wenn sie unterwegs sind? Dass die Wirklichkeit nicht mit den Angaben im Katalog übereinstimmt? Dass das Hotelzimmer nicht sauber, der Stau unerträglich, das Essen und das Wetter schlecht sind?

Zum Glück gibt es die Wissenschaft, die derlei Fragen zu beantworten versucht. Zum Beispiel den Soziologen Robert Schäfer von der Universität Fribourg, der Reiseblogs im Internet daraufhin untersucht hat, was Touristen nicht mögen. Und auf eine alte Erkenntnis gestossen ist, die schon der amerikanische Forscher Dean Mac Cannell vor 40 Jahren auf den Punkt gebracht hat: "Tourists dislike Tourists."Touristen mögen keine Touristen. Gäbe es die nicht, dann, erst dann wäre das Reise-Erlebnis authentisch, echt, unverfälscht.

Denn echt authentisch muss sein, was wertvoll ist: Der Basar in der Kasbah, der Fischermarkt in Gambia, das Berberzelt, in dem man übernachtet, oder  neuerdings das Bett, das man in Barcelona via AirBnB gebucht hat — das alles soll uns das Gefühl  vermitteln, dass wir endlich den Alltagstrott hinter uns gelassen haben. Es muss, sagt der Soziologe, das "Erlebnis der Ausseralltäglichkeit" vermitteln. Und dazu gehören die anderen Touristen definitiv nicht: Die stören nur, vor dem Schiefen Turm von Pisa, vor den Pyramiden, der Golden Gate Bridge. Vor allem stören sie auf den Fotos. Was zählt, das bin nur ich vor dem Eiffelturm, und höchstens noch meine Familie. Alles andere sind Touristen, und zu denen geht man auf Distanz. Sogar wenn sie zur eigenen Reisegruppe gehören. Touristen, das sind immer die Anderen. Nur so lässt sich der Schein der Authentizität aufrecht erhalten.

«Je erfolgreicher für Authenzität geworben wird, desto eher ist sie dahin»

Denn die anderen Touristen erinnern uns ständig daran, dass man eigentlich Teil einer Inszenierung ist, einer "organisierten Ausseralltäglichkeit". Gerade darum wimmeln die Prospekte und Kataloge ja vom "Charme unberührter Landschaften", von der "echten Trattoria", dem authentischen Markterlebnis. Je erfolgreicher für derlei Authenzität geworben wird, desto eher ist sie dahin, hat der Tourist eigentlich zerstört, was er sucht.

Trost für Reisende und Tourismusveranstalter: Es gibt auch eine fundierte Kritik der Tourismuskritik. Hans Magnus Enzensberger kritisierte letztere in seiner vor über 40 Jahren geschriebenen "Theorie des Tourismus"  als "Reaktion elitärer Reisender", die eigentlich auch nur wieder die Authentizität für sich bewahren wollen. Denn jeder Eskapismus, jede Flucht in die inszenierten Welten des Tourismus sei ja eigentlich eine Kritik an dem, wovon man sich abwende. Und somit auch berechtigt: Sie ist Kritik am manchmal unerträglichen Alltag, an tristen Lebensumständen. Den Kritikern entgegnete Enzensberger einmal: "Eskapismus, ruft Ihr mir zu, vorwurfsvoll? Was denn sonst, antworte ich, bei diesem Sauwetter!"

(Robert Schäfer, Tourismus und Authentizität. Zur gesellschaftlichen Organisation von Ausseralltäglichkeit. transcript, 2015)