Tourismuswelt

Die Touristenmassen kehren zurück - was bisher langsam vonstatten geht, könnte auf den Sommer hin massiv an Fahrt aufnehmen. Bild: AdobeStock

Kommentar Buchungsboom: Im Mai wird ein Ketchup-Effekt erwartet

Jean-Claude Raemy

Immer mehr Reise-Restriktionen fallen. Entlädt sich jetzt der Buchungsstau kurz vor den Sommerferien? Und kann dieser überhaupt bewältigt werden?

Das Osterferiengeschäft 2022 scheint sich auf einem angesichts der Umstände vernünftigen Niveau zu bewegen. Wie Travelnews bereits festhielt, waren die Veranstalter zufrieden und an den Flughäfen zeigte sich vor allem über die Ostertage ein grosser Andrang. Doch für den Sommer wurde immer noch von «Luft nach oben» berichtet, sprich, die Vorausbuchungen waren nicht so berauschend wie vielleicht erwartet.

Die Gründe hierfür sind klar: Zum einen herrscht immer noch Vorsicht wegen den sich verändernden Einreisebestimmungen, zum anderen war der im Februar ausgebrochene Ukraine-Krieg ein Dämpfer. Das erste Quartal des Jahres, üblicherweise der Jahres-Zeitraum mit den meisten Reisebuchungen, war für die Reiseveranstalter demnach eher mau. Doch inzwischen sind Meldungen über Lockerungen der Reisevorschriften an der Tagesordnung. Auch die Schweiz selber lockert. Und die im letzten Herbst einsetzende allmähliche Erholung der Branche wurde durch den Anstieg der Omikron-Fälle erheblich gebremst, doch dieser Effekt ist vorbei. Und der Ukraine-Krieg, so schlimm er auch ist, entwickelt sich aus Sicht der nicht direkt Betroffenen zum «Alltagsgeschehen», zumal er bislang nicht über die Grenzen der Ukraine hinaus geht.

Travelnews berichtete diese Woche auch bereits über die Tatsache, dass selbst bei noch bestehenden Einreise-Restriktionen die Kontrollen immer durchlässiger werden. Im Rahmen einer Blitzumfrage bei der Travelnews-Leserschaft kam heraus, dass über die Hälfte (55%) bei der Ankunft am Zielflughafen keinerlei Kontrollen unterlag, und dass auch die Einforderung der Maskenpflicht selbst dort, wo noch eine solche bestand, nur halbwegs umgesetzt wurde.

Da auch das Wetter wärmer wird und allgemein mit weniger Krankheiten gerechnet wird, ist eigentlich alles angerichtet für einen guten Reisesommer. Die Erwartungen sind demnach hoch: Wie Travelnews diese Woche im Rahmen diverser Gespräche mit Vertretern von Reiseveranstaltern, Airlines und Cruise-Unternehmen hörte, wird mit einem «Ketchup-Effekt» im Mai gerechnet. Wer schon mal die halbe Flasche Ketchup über seine Pommes geleert hat, weiss, was hier gemeint ist: Auf den «Stau» folgt eine explosive Entladung. Sprich: Nach der grossen Buchungszurückhaltung der letzten zwei Jahre folgt nun der grosse Nachhol-Effekt. Wer noch nicht für den Sommer gebucht hat, sich nun aber während der Osterferien davon versichern konnte, dass alles reibungsfrei läuft, wird gleich nach dem Ende der Osterferien seine Sommerferienplanung in Angriff nehmen.

Erste Anzeichen für den Buchungsboom sind da

Diese Annahme ist nicht aus der Luft gegriffen oder reiner Zweckoptimismus einer gebeutelten Branche. Die Zeichen verdichten sich, wonach es steil aufwärts geht.

Zum Beispiel vermeldete Apollo, das Kuoni-Schwesterunternehmen aus Skandinavien, dass dort die Woche nach den Osterferien (welche im Norden bereits vorbei sind) mit Abstand die meisten Buchungen seit 2019 eingebracht hat und das Niveau von damals gar übertrifft. Auch der World Travel & Tourism Council (WTTC) sowie das Research-Unternehmen ForwardKeys prognostizieren einen starken Anstieg der weltweiten Buchungen für internationale Flüge, da der internationale Reiseverkehr wieder anzieht. Laut einer Studie sei etwa die Nachfrage für Costa Rica, Aruba, die Dominikanische Republik oder Jamaika Reiseziele bereits auf einem Niveau, welches dasjenige vor der Pandemie übertrifft.

Den Daten zufolge zeigen die Zahlen für das erste und zweite Quartal dieses Jahres ein dreistelliges Wachstum bei den Buchungen von Inbound-Flügen in der ganzen Welt, einschliesslich Nord- und Südamerika, Europa und Asien, im Vergleich zum letzten Jahr. Die Reisenden sind bereit, nach der Lockerung der Beschränkungen mehr Geld für Reisen auszugeben, und die Nachfrage nach Premium-Kabinenklassen im Jahr 2022 ist gestiegen. Zu den weiteren Trends gehören verstärkte Last-Minute-Buchungen. Ein weiterer Beleg für das Wiederaufleben der Reisetätigkeit sind die Ankünfte in Europa mit einem massiven Anstieg der internationalen Ankünfte im ersten Quartal 2022 um 350% im Vergleich zum letzten Jahr.

Auch die asiatisch-pazifischen Länder verzeichneten im ersten Quartal dieses Jahres einen Anstieg der Ankünfte im Vergleich zu 2021, wobei die Buchungen für die Region um 275% zunahmen. Auch hier zeigen die Lockerungen der Covid-Massnahmen sofortige Effekte. Im zweiten Quartal dürfte sich der anhaltende Aufschwung bei den internationalen Buchungen, die im Vergleich zum Vorjahr um 264% gestiegen sind, weiter beschleunigen. In Europa zeigen Reiseziele wie Island, Griechenland, Portugal, Spanien und Frankreich einen starken Aufschwung, wobei die Reisebuchungen nur leicht hinter dem Niveau vor der Pandemie zurückbleiben.

Alles paletti also? Nun ja, eine Garantie gibt es nicht, und die Tourismusbranche ist und bleibt volatil. Aber es liegt nahe, dass weitere Länder ihre Reisehürden im Hinblick auf die Sommerferien weiter reduzieren oder gar ganz abbauen werden. Ausserdem: Wer grossen Wert auf Sicherheit legt, kann Ferien buchen, bei denen bis kurz vor der Abreise storniert oder umgebucht werden kann. Viele Reiseveranstalter und auch Kreuzfahrtunternehmen bieten solche Sorglos-Lösungen an. Und auch die Reiseversicherer haben das ihre getan, um die Sicherheit beim Konsumenten zu fördern.

Der bevorstehende Boom bereitet auch Sorgen

Kommt es im Mai tatsächlich zum grossen Reise-Boom für den Sommer 2022, wird aber nicht eitel Sonnenschein in der Reisebranche herrschen. Viele befürchten sogar diesen Zustand, weil die in den letzten zwei Jahren vor allem auf Personalseite heruntergefahrenen Kapazitäten einen Ansturm der Nachfrage gar nicht vertragen könnten. Die Liste der Stellenangebote (zuunterst in jedem Travelnews-Newsletter) wird immer länger, die Rekrutierung gestaltet sich schwierig, und offenbar gibt es ein deutlich geringeres Interesse an einer Tätigkeit im Tourismus - vor allem beim Branchen-Nachwuchs - als auch schon.

Kann die Nachfrage nicht bewältigt werden, bzw. ist der damit verbundene Service infolge Personalnot nicht gut, wird die Reisebranche nicht voll vom «Upturn» der Reisenachfrage profitieren können. Kurz: Jetzt wäre wohl ein vernünftiger Zeitpunkt, um sicherzustellen, dass die Bedürfnisse einer bald wieder stark wachsenden Reise-Kundschaft befriedigt werden können. Jetzt müssen die Chancen nach der Krise genutzt werden. Good luck allerseits.