Tourismuswelt
Wie Blinde dank Smartphones auf Wanderschaft gehen
Vanessa Bay«Übrigens, die Schramme an meiner Stirn stammt nicht von einem Spaziergang auf einem hindernisfreien Weg – die habe ich mir zuhause in der Wohnung geholt. Dort laufe ich in der Regel ohne MyWay», erzählt Urs Kaiser und sorgt gleich zum Start der Kurzwanderung mit Journalisten und Interessierten für Lacher. Der Gründer und heutige Ehrenpräsident der Apfelschule, der Organisation, die sehbehinderte Menschen im Umgang mit Smartphones schult, ist seit 30 Jahren blind und begeisterter Wanderer.
Begeistert ist «der Digitalisierungs-Papst im Blindewesen», wie er in Insider-Kreisen bezeichnet wird, auch von der neuen App «MyWay Pro», die rechtzeitig auf den Frühling lanciert wurde. «Die App bietet genau das, was ich als blinder Wanderer unterwegs brauche: Wohin geht mein Weg, woran kann ich mich orientieren, um auf dem Weg zu bleiben und vor welchen Gefahren muss ich mich in Acht nehmen», sagt Kaiser und läuft schnellen Schrittes den Waldweg am Üetliberg hoch, Kurven entlang und an Baumstrünken vorbei.
Spätestens bei der ersten steilen Böschung hält man als sehende Person den Atem an. «Wir haben schon ein bisschen gezittert, ob das geht und sie den Weg auch wirklich finden», gesteht Helena Bigler. Sie leitet das Ressort Reisen und Sport bei Procap Schweiz, der grössten Mitgliederorganisation von und für Menschen mit Handicap. In Zusammenarbeit mit Schweiz Mobil, dem Netz für Langsamverkehr und dem Schweizerischen Blinden- und Sehbehindertenverband haben sie und ihr Team das Projekt realisiert. Für die Schulung zeichnet die Apfelschule verantwortlich.
Und die ist nicht ohne, wie Selbstversuche zeigen. Ist die App aber installiert und die Sprachführung der entsprechenden Route geladen, stehen 78 der schweizweit schönsten und hindernisfreien Wanderwege für blinde und sehbehinderte Personen zur Verfügung. Das Smartphone liegt horizontal in der Handfläche und vibriert, wenn man in die richtige Richtung läuft – wie ein Leitstrahl, dem man folgen kann. Bei jedem besonderen und im System hinterlegten Punkt gibt es sprachliche Infos. So zum Beispiel: «Folge der Grasnarbe rechts» oder «Es kommen Stufen».
Zusammenarbeit mit Porsche
MyWay Pro ist derzeit die einzige App am Markt, die das kann. Es versteht sich aber von selber, dass ein solches Angebot nur funktioniert kann, wenn es auch regelmässig «analog» kontrolliert wird, was von Procap im zweijährlichen Rhythmus gemacht wird. Nicht minder wichtig ist aber, dass diese Dienstleistung auch genutzt wird, wie Bigler mehrfach betont, nachdem die Truppe am Ziel beim Restaurant Uto Staffel angelangt ist und die Sehenden sich an der grandiosen Aussicht erfreut haben. Das soll künftig auch für die Blinden und Sehbehinderten möglich sein. Darum liegt ein ebenso essentieller Fokus von Procap darauf, entlang den Wegen Mehrwerte zu schaffen und die Funktionalitäten der App stetig weiterzuentwickeln. Ermöglicht werden soll dies unter anderem durch eine neue Zusammenarbeit mit Porsche. Der Automobilhersteller ist per Zufall auf das Projekt gestossen, hat es zum Sozialprojekt erklärt und will die weitere Entwicklung finanziell unterstützen – und künftig in anderen Ländern multiplizieren.
Visionär blickt auch Bigler in die Zukunft. «Mein Traum wäre es, eine Plattform zu schaffen, mittels der sich Menschen zusammenfinden und gemeinsam unterwegs sein können.» Einen ersten Schritt dazu haben Bigler und ihre Kooperationspartner mit der erfolgreichen Lancierung und der Testwanderung auf den Üetliberg geschafft – ganz ohne Schrammen.