Tourismuswelt
«Die Unterstützung der Kuoni-und-Hugentobler-Stiftung war für uns absolut entscheidend»
Klaus OegerliHerr Karkaria, was machen Sie heute eigentlich?
Heute ist wieder ein typischer, arbeitsreicher Tag am Hauptsitz von VFS Global in Dubai, wo ich nun schon seit vielen Jahren auch wohne. Es gibt viel zu tun, da das aktuelle Jahr meiner Meinung nach für die Reise- und Tourismusbranche weltweit vielversprechender sein wird als die beiden vergangenen, schwierigen Jahre.
Sie wurden als «Global Game Changer» ausgezeichnet und sind ein echter Weltbürger. Dabei ist die Schweiz in gewisser Weise eine zweite Heimat, nicht?
Die Schweiz wird immer einen besonderen Platz in meinem Herzen haben, auch wenn ich heute nicht mehr so oft in der Schweiz bin, wie ich es gerne wäre.
Was gefällt Ihnen an der Schweiz besonders? Haben Sie ein Lieblingsgericht oder einen Lieblingsort?
Ich geniesse die Schweizer Küche sehr, wobei Fondue und Raclette meine Favoriten sind. Es ist erstaunlich, dass die kleine Schweiz eine so grosse Auswahl an lokalen Gerichten bietet. Hinsichtlich der Lieblingsorte, nun, da gibt es viele, von sehr malerischen Städten wie Luzern und Bern bis hin zu den majestätischen Bergen wie dem Jungfraujoch und dem Titlis, die eine spektakuläre Aussicht auf die Alpen bieten.
Wie blicken Sie auf Ihre Zeit als Kuoni-CEO zurück?
Reisen ist meine Leidenschaft, und Kuoni hat meine Träume beflügelt! Die Erfahrungen, die ich in meinen Jahren bei Kuoni Indien gesammelt habe, waren von unschätzbarem Wert. Wir entwickelten damals die Firma zum grössten Reiseunternehmen Indiens. Die Kuoni-Gruppe ermöglichte auch die Gründung von VFS Global, das heute zu den weltweit führenden Unternehmen in der Visa-Dienstleistungsbranche gehört.
Haben Sie noch Berührungspunkte mit Kuoni?
Da die Kuoni- und Hugentobler-Stiftung weiterhin Aktionärin von VFS Global ist, stehe ich in engem Kontakt mit dem Präsidenten des Stiftungsrates, Dr. Karl Hofstetter, der einer der ersten Unterstützer von VFS Global war und der weiterhin zur Entwicklung des Unternehmens beiträgt. Ich stehe auch mit den anderen Mitgliedern des Stiftungsrates in Kontakt.
«Reisen ist meine Leidenschaft, und Kuoni hat meine Träume beflügelt!»
VFS Global wurde vor mehr als 20 Jahren ins Leben gerufen. Wie fassen Sie diese zwei Jahrzehnte aus Ihrer Sicht zusammen?
Das Erreichen von 20 Jahren Geschäftstätigkeit war in der Tat ein entscheidender Meilenstein für das Unternehmen und für mich persönlich. Das Konzept des Outsourcings von Visa-Anträgen war Neuland, als VFS Global im Jahr 2001 seine Tätigkeit aufnahm. Wir haben damals alle Grundsätze des traditionellen Visumantragsprozesses in Frage gestellt, um diesen zu revolutionieren und einen massiven Anstieg der weltweiten, sicher und effizient bearbeiteten Visumanträge zu ermöglichen. Wir sind sehr stolz auf unsere Leistung, aber wir sind auch demütig, denn ohne das Vertrauen, die Unterstützung und die Zusammenarbeit mit unseren Kunden und Regierungen wäre dies nicht möglich gewesen. Letztlich ist es auch eine Anerkennung für meine Kollegen und Teammitglieder, die sich voll und ganz für unsere Vision einsetzen.
Für mich ist die wichtigste Erkenntnis dieser Reise, wie aus einer visionären Idee ein Sektor entstanden ist, der das Wachstum von Handel, Tourismus und grenzüberschreitender Mobilität massgeblich vorantreibt.
Was war der Auslöser für die Gründung von VFS Global?
Als Teil eines weltweit führenden Reiseunternehmens, eben der Kuoni-Gruppe, waren wir uns durchaus bewusst, mit welchen Herausforderungen Reisende damals bei der Beantragung von Visa konfrontiert waren, insbesondere in meinem Heimatland Indien, und mit welcher Belastung die Botschaften konfrontiert waren. Da der internationale Reiseverkehr in einigen grossen Schwellenländern zu boomen begann, konnten wir klar einen Bedarf an spezialisierten Dienstleistungen für Regierungen und Visakunden weltweit voraussehen. Dies veranlasste uns dazu, eine Win-Win-Lösung zu konzipieren, bei der wir uns um alle administrativen Aspekte der Visabearbeitung kümmern, was den Botschaft oder den Konsulaten die Möglichkeit gab, ihre Ressourcen ausschliesslich auf die Entscheidung über Erteilung oder Verweigerung eines Visums zu konzentrieren.
Gibt es rückblickend etwas, das Sie anders gemacht hätten?
Natürlich kann man im Nachhinein immer diverse Verbesserungsmöglichkeiten identifizieren. Aber wir konnten nicht alles voraussehen, als wir unseren Kurs festlegten und unser Unternehmen, um nicht zu sagen diese Branche, aufbauten. Es gibt folglich nichts zu bereuen!
«Es gibt nichts zu bereuen!»
Wie hat sich VFS Global in der Pandemie geschlagen?
Zunächst möchte ich die entscheidende Rolle hervorheben, welche unsere Anteilseigner EQT und die Kuoni-und-Hugentobler-Stiftung dabei gespielt haben, dass wir in der Lage waren, unser Unternehmen durch diese unglaublich schwierige Zeit zu führen. Deren Unterstützung war für uns absolut entscheidend.
Hilfreich war auch, dass wir Anfang 2020 sehr schnell einige sehr mutige Schritte unternommen haben, welche es uns ermöglichten, die negativen Auswirkungen der Pandemie zu einem gewissen Grad abzumildern. Wichtige Massnahmen waren etwa die Umstrukturierung unserer globalen Teams, die Rationalisierung der Büroräume und die Einführung von Home-Office-Richtlinien. Wir haben die Covid-Sicherheitscheckliste im Einklang mit den WHO-Vorschriften und den Richtlinien der lokalen Behörden rasch in unsere Arbeitsabläufe integriert. Das hat dazu geführt, dass wir bis Dezember 2020 den Betrieb in rund 1600 Visumantragszentren - also in mehr als der Hälfte unseres globalen Netzwerks - wieder aufnehmen konnten. Das war extrem wichtig, wir waren zu diesem Zeitpunkt für über 50 Regierungskunden in 129 Ländern tätig. Unsere Fähigkeit, die vorübergehende Schliessung mehrerer Zentren zu managen und sie dann zügig und nahtlos wieder in Betrieb zu nehmen, hat das Vertrauen der mit uns arbeitenden Regierungen in die Dienstleistungsstandards von VFS Global gestärkt.
Man hörte aber auch von Umstrukturierungen und neuen Strategien.
Überzeugt von den soliden langfristigen Aussichten unseres Unternehmens, nutzten wir die Gelegenheit, unser Geschäftsmodell umzugestalten, um es durch den verstärkten Einsatz von Technologie widerstandsfähiger und effizienter zu machen. Unser Kerngeschäft ist die Beantragung von Visa, aber wir erweitern auch unser Portfolio mit Pass- und Konsulardienstleistungen, um unsere Regierungskunden bei neuen Passänträgen für deren im Ausland lebenden Bürger zu unterstützen. Wir haben zudem die vermehrt zur Selbstreflexion vorhandene Zeit genutzt, um unsere Mitarbeitenden mittels Weiterbildung und beruflicher Weiterentwicklung zu unterstützen. Während der Pandemie wurden im Rahmen unseres Programms «Learn from home» - allein im Jahr 2020 - 215 virtuelle Schulungskurse angeboten, welche mehr als 111'000 Anmeldungen verzeichneten. Im Jahr 2021 wurden immer noch mehr als 43'000 Anmeldungen für E-Learning-Kurse und 8370 Teilnehmeranmeldungen für Webinare verzeichnet. Wir haben auch global unsere Bemühungen für das Wohlbefinden unserer Mitarbeitenden verstärkt. So führten unsere HR-Teams in Europa ein umfassendes «Well Being Programme» ein, das sich auf die sechs Kernbereiche eines Menschen konzentriert: Geist, Arbeit, Leben, Schlaf, Aktivität und Ernährung.
Was ist der aktuelle Stand des Übernahmeprozesses von VFS Global, der zwischen EQT und Blackstone ausgetragen wird?
Es wurde eine verbindliche Vereinbarung hinsichtlich der Veräusserung einer Mehrheitsbeteiligung unterzeichnet. Verschiedene Formalitäten stehen kurz vor dem Abschluss der Transaktion, die wir innerhalb der nächsten Monate erwarten.
«Wir beabsichtigen, unseren Horizont in der nächsten Wachstumsphase, insbesondere mit den neuen Eigentümern, zu erweitern.»
Die Erlangung eines Visums ist manchmal aber immer noch ein mühsamer Prozess. Sind weitere Innovationen in Sicht?
Wir suchen immer wieder nach Innovationen, um den Prozess der Visumbeantragung effizienter und einfacher zu gestalten. Unser Terminverwaltungssystem («appointment management system», AMS) hat die herkömmliche papierbasierte und physische Interaktion abgelöst und ermöglicht es den Kunden, ihr bevorzugtes Visumantragszentrum («visa application center», VAC), die Besuchszeit und die entsprechenden Dienstleistungen zu finden. Als Nächstes kamen personalisierte Dienstleistungen wie «Visa At Your Doorstep» (VAYD) hinzu, bei denen die Kunden den gesamten Visumsprozess, einschliesslich der biometrischen Erfassung, bequem von zu Hause aus oder im Büro durchführen können
Die ortsunabhängige Dokumentenverarbeitung («Location Independent Document Processing», LIDPro) war für die mit uns arbeitenden Regierungen ein entscheidender Fortschritt. Damit lassen sich Visa von einem entfernten Standort aus bearbeiten, manchmal sogar von einem anderen Land aus, was für die diplomatischen Vertretungen vor Ort erhebliche Zeit- und Ressourceneinsparungen bedeutet. In Anbetracht des Aufkommens biometrischer Technologien ist unsere hauseigene, von der britischen Regierung zugelassene «Multi-Mission Model»-Lösung (MMM) so konzipiert, dass sie die Anforderungen mehrerer Missionen von einer einzigen biometrischen Workstation aus bedienen kann.
Ich möchte hier betonen, dass wir auch weiterhin Innovationen im Bereich der «nicht wertenden» Dienstleistungen und Lösungen vornehmen werden. Das heisst, dass wir weiterhin keine Rolle bei der Beurteilung bzw. Entscheidung über einen Visumantrag spielen werden. Letzteres liegt immer noch ganz klar im Ermessen der jeweiligen Regierungen.
Sie sind im Herzen ein Unternehmer. Sehen Sie sich derzeit andere Projekte an?
Unternehmertum ist einer der Kernwerte von VFS Global und liegt in unserer DNA. Wir prüfen ständig neue Ideen, um globale Geschäfte zu entwickeln und den Unternehmenswert zu steigern.
Wir beabsichtigen, unseren Horizont in der nächsten Wachstumsphase, insbesondere mit den neuen Eigentümern, zu erweitern. Natürlich bleiben die zentralen Geschäftsziele bestehen, also unsere Präsenz zu erweitern und unser Portfolio zu diversifizieren. Unser Absicht ist es aber auch, Mehrwert für die verschiedenen Stakeholder durch Innovation zu schaffen. Um eine nahtlosere grenzüberschreitende Mobilität mitgestalten zu können, streben wir danach, bei Regierungen, Konsumenten, Mitarbeitenden, Investoren und Gemeinschaften eine tiefgehende Markenbindung zu schaffen, also unserer Marke die Fähigkeit geben, positive Emotionen zu erzeugen.