Tourismuswelt

Kirchen werden - auch in der Schweiz - gerne von Touristen besucht, die vielleicht Kultur, vielleicht Spiritualität suchen. Für solche müssen spezifische Angebote geschaffen werden , was wiederum den Tourismusstandort Schweiz stärken würde. Bild: (c) Verein Sakrallandschaft Innerschweiz

Können Kirchen und Tourismus voneinander profitieren?

Jean-Claude Raemy

Bislang nehmen die Kirchen eine mögliche Rolle im Tourismus eher passiv wahr, doch es gibt Bestrebungen, die vielen Synergiemöglichkeiten zwischen Kirchen und Tourismus besser auszuschöpfen. Travelnews hat sich mit den «Treibern» einer dahingehenden Initiative ausgetauscht.

Praktisch mit Beginn der Pandemie wurde am 3. Februar 2020 der Verein «Kirchen und Tourismus Schweiz» (KTCH) gegründet, dessen Kernaufgabe es ist, Fragen und Themen zu Entwicklungen im Freizeit- und Tourismusbereich in Stadt und Land und deren Bedeutung für den schweizerischen Tourismus und dessen Organisationen sowie für die Kirchen der Schweiz zu reflektieren. In der Geschäftsleitung von KTCH sitzt unter anderem Christian Cebulj, der Rektor der Theologischen Hochschule Chur, welcher 2021 im Theologischen Verlag Zürich auch das Buch «Zwischen Kreuzfahrt und Klosterküche – Formen kirchlicher Präsenz im Tourismus» herausgab. Ein Autorenbeitrag im Buch zu den Trends im Tourismus stammt von Barbara Haller Rupf, der Geschäftsführerin der Academia Raetica und früheren Schulleiterin der Höheren Fachschulen für Tourismus in Luzern und Thun sowie (vormaligen) Professorin für Tourismus an der Fachhochschule Graubünden.

Travelnews hat im Dreier-Gespräch mit Christian Cebulj und Barbara Haller Rupf versucht, der Frage auf den Grund zu gehen, wie Kirchen und Tourismus angesichts vieler vorhandener Schnittstellen vermehrt aufeinander zugehen und voneinander profitieren können.


Christian Cebulj

Herr Cebulj, Sie haben ein Buch geschrieben über die Wechselwirkungen zwischen Kirche und Tourismus. Wie kam es überhaupt dazu?

[Christian Cebulj] Ausgangspunkt war eine Tagung an der Theologischen Hochschule Chur im Jahr 2016 mit dem Titel «Gelebte Gastfreundschaft – Kirche im Tourismus». Die Grundfrage war, wie sich die Kirchen im Reiseland Schweiz präsentieren und wie sie möglicherweise als touristische Anbieter fungieren können.

Wie können denn Kirchen als touristische Anbieter fungieren?

[Christian Cebulj] Da gibt es drei Aspekte. Erstens sind Kirchen wichtige Kulturträger. In den Bereichen Architektur, Kunst, Malerei, Musik und mehr haben die Kirchen einiges anzubieten, zumal sie diese Bereiche seit Jahrhunderten mitprägen. Zweitens sind Kirchen Anbieter von Spiritualität, also aktiv im Bereich der Sinnsuche, Entspannung und Reflexion. Drittens sind Kirchen Akteure in Nachhaltigkeit – nicht weil es gerade «en vogue» ist, sondern weil dies theologisch in den Schöpfungsgeschichten der Bibel verankert ist.

Die Kirchen sind also gewissermassen bereits touristische Anbieter?

[Christian Cebulj] Das waren sie immer schon; Kirchen oder religiöse Stätten waren und sind als Wallfahrtsorte schon seit Jahrhunderten touristische Ziele. Mir geht es jetzt darum, dass die Kirchen dafür sensibilisiert werden, dass sie eben eine Rolle für und mit Touristen spielen können. Die Kirchen waren sich in den vergangenen Jahrzehnten ihrer touristischen Rolle gar nicht bewusst oder die touristischen Angebote von Kirchen, welche es im alpinen Raum durchaus schon gab, waren bislang lediglich Nebensächlichkeiten und wurden allenfalls auf Anfrage von Tourismusbüros geschaffen. Ich möchte hier einen Bewusstmachungsprozess anstossen, und zwar zunächst einmal innerhalb der Kirchen.

Wie sähe das aus?

[Christian Cebulj] Kultur und Spiritualität, wie sie von Kirchen geboten werden kann, wird aktiv gesucht von Reisenden. Kirchen werden auf Reisen gerne besucht, das ist natürlich auch in der Schweiz der Fall, wo sehr viele ausländische Reisende gerne von kirchlichen Tourismusangeboten in unterschiedlichster Form profitieren.

[Barbara Haller Rupf] Ich denke die Idee der Kirche als Kulturträger und Ort der Spiritualität ist ganz wesentlich. Kirchen können somit im Bereich Well-Being ebenso wie im Kulturtourismus oder auch im Bereich der Nachhaltigkeit wesentliche Angebote erbringen.

«Die Kirchen waren sich in den vergangenen Jahrzehnten ihrer touristischen Rolle gar nicht bewusst.» (Christian Cebulj)

Barbara Haller Rupf

Hat sich das in der Pandemie akzentuiert?

[Barbara Haller Rupf] Die Pandemie hat sicherlich einen Prozess beschleunigt, bei welchem wieder mehr danach gefragt wird, was uns als Gesellschaft wie auch als Individuum wichtig ist. Dieser «Megatrend» einer neuen Bewusstseinsbildung ist eine wichtige Grundlage für unsere heutige Diskussion.

[Christian Cebulj] Es gab in den Kirchen in Bergorten während der Pandemie klar mehr Menschen, die dort Ruhe in einer stressigen Zeit suchten, zum Beispiel in der Lenzerheide.

[Barbara Haller Rupf] Auf das Touristische übertragen: In der Schweiz gibt es ein vielfältiges Angebot an Kulturgütern, die es sich lohnt zu besuchen und welche jedem Individuum bei seiner Selbstfindung helfen. Die Kirche sollte bereit sein für diesen Trend zur Selbstfindung und kann, ohne plakative Inszenierung, ein Angebot aufbauen und auch die Öffentlichkeit für ihr Angebot sensibilisieren. Wenn sie diese Chance verpasst und ihre Türen verschlossen hält, wird sich die Öffentlichkeit andere «Kraftorte» suchen.

Hat denn die Kirche kein Problem damit, dass beispielsweise auf dem Jakobsweg heutzutage einfach Tausende Wanderer unterwegs sind statt Pilger?

[Barbara Haller Rupf] War der «Sinn» einer Pilgerreise schon früher immer nur religiös? Vielfach hatte es auch damit zu tun, dass man – alleine oder in der Gruppe – eine «Reise zu sich selbst» unternimmt, die nicht religiösen Zwecken im engeren Sinne dient. Schon früher brauchte man «Tapetenwechsel», d.h. die innere Motivation war vielleicht eine Flucht aus dem Alltag, wofür anders als heute eigentlich nur Pilgerreisen eine Möglichkeit boten.

Aber eben: Die grossen Entitäten Kirche und Tourismus sind eigentlich längst verwoben und einander doch irgendwie fremd. Wie bringt man diese zusammen?

[Christian Cebulj] Die Frage liegt in der Gründungsidee des Vereins «Kirche und Tourismus». Sowohl in der Katholischen als auch in der Reformierten Kirche gab es früher Kommissionen, die sich mit Fragen von Freizeitgestaltung und Tourismus befassten. Im Austausch mit den touristischen Akteuren wurde aber immer rasch klar, dass die Kirchen dies missionarisch nutzen wollten, wogegen sich die Touristik sträubte, es gab also viel Skepsis. Die kirchlichen Tourismus-Kommissionen wurden 2018 abgeschafft. Es wurde danach ein neuer Ansatz gesucht, bei welchem es von Kirchenseite her nicht mehr darum ging, am Sonntag die Kirchenbänke zu füllen, sondern weltanschaulich neutral als Anbieter aufzutreten. «Kirche und Tourismus» als Verein ist seitdem ein Medium der Vernetzung. Der Missionsidee steht nicht mehr im Zentrum, aber wir zeigen klar auf: Die Kirchen sind in der Lage, die Menschen auf dem Weg ihrer individuellen Sinnsuche zu unterstützen, und das ist schliesslich ein Megatrend.

[Barbara Haller Rupf] Mit dem Verein wurde die Konfessionsbindung aufgehoben. Im touristischen Kontext machte diese keinen Sinn. Es war klar, dass die Annäherung an den Tourismus ökumenisch laufen muss. Man muss die touristischen Angebote der Kirche nicht mit einem missionarischen Zweck verbinden, sondern den Gast entscheiden lassen, was er genau sucht und in Anspruch nehmen will. Ob klassische Kirche oder «Kraftort» im erweiterten Sinn ist nicht zentral. Die Kirche sollte einfach Angebote schaffen, welche angenommen werden können; wenn der Gast andere, streng genommen nicht kirchliche Angebote sucht, dann gibt es dafür sicher auch entsprechende Angebote.

[Christian Cebulj] Es liegt übrigens auf der Hand, dass das Projekt «Offene Türen» auch für weitere religiöse Räume wie Synagogen oder Moscheen geeignet wäre. So weit sind wir aktuell aber noch nicht.

Wie kann sich denn die Kirche als touristischer Akteur konkret positionieren? Für religiöse Personen gibt es längst Angebote, etwa Reisen zu Pilgerorten wie Fatima oder Medjugorje. Wie macht man Kirchen zu Anbietern?

[Christian Cebulj] Der springende Punkt ist, dass die Kirchen sich ihrer Rolle als Kulturträger in den letzten Jahren erst stärker bewusst wurden. Umberto Eco hat einmal gesagt, Kirchenräume würden zum «Kulturellen Gedächtnis Europas» gehören. Das ist wahr. Fürs Erste würde es genügen, dass die Kirchen ihre Türen öffnen für die Gäste. Oft sind die Kirchen allerdings so mit eigenen Strukturreformen beschäftigt, dass das Thema Tourismus eher als zweitrangig betrachtet wird. Das muss sich ändern. Der Verein «Kirche und Tourismus» setzt dort an.

«Die Kirche sollte bereit sein für den Trend zur Selbstfindung.» (Barbara Haller Rupf)

Was schlagen Sie vor?

[Christian Cebulj] Man müsste den Pfarreien und Kirchgemeinden in Tourismusdestinationen ihre Stärke klarmachen, bei der Erstellung von touristischen Unterlagen behilflich sein und sie darauf schulen, als Anbietende im Kulturtourismus aufzutreten. Beispiel: Seit ein paar Jahren bieten wir eine Kirchenführer-Ausbildung an – da werden Lehrpersonen oder auch Freiwillige von Kirchgemeinden geschult, wie sie die Kirchenräume einem touristischen Publikum zeigen können. Das kann klassisch sein mit Zahlen, Fakten und Geschichte, das kann musikalisch sein, etwa mit Orgelspiel, oder das kann im Rahmen von spirituellen Angeboten erfolgen. Mit dem «Kirchenführerzertifikat» sind sie dann bereit, Kirchenräume quasi als touristisches Angebot zu vermarkten. Die Methode heisst «Kirchenraumpädagogik» und fusst auf der Museumspädagogik. Da läuft gerade sehr viel und das Interesse ist sowohl von Seiten der Kirchen als auch der Gäste sehr hoch.

Haben Sie dafür auch ein Beispiel?

[Christian Cebulj] Stefan Roth, seit 30 Jahren katholischer Pfarrer von Zermatt, erklärte einmal, dass er seine Kirche auf Anfrage schon zeige, aber früher gab es nie regelmässige Führungen oder eine Bewerbung dieses Angebots. Seit es dieses Angebot gibt, hat er nun zwei Mal pro Woche Touristen in der Kirche, die sich über dort vorhandene Kunst, Symbolik, Geschichte und mehr erkundigen. Da es oft Engländer und Asiaten sind, wird die Führung inzwischen auch auf Englisch angeboten. Das zeigt schön, wie man die Seelsorger darauf sensibilisieren muss, dass sie touristische Anbieter sein können. Deshalb haben wir auch das Buch «Zwischen Kreuzfahrt und Klosterküche» geschrieben, dessen erste Auflage übrigens bald vergriffen ist. Die Schnittstelle zwischen Kirche und Tourismus scheint zu interessieren. Mir ist es auch wichtig festzuhalten, dass wir hier von «Kirchen im Tourismus» sprechen und nicht einfach von «Kirchen und Tourismus». Es geht um die Rolle, welche die Kirche im Tourismus einnehmen kann.

Da stellt sich bei mir die Frage nach dem Zweck. Wenn sich die Kirche in ihrem touristischen Rollenverständnis ändert, geschieht dies wohl nicht mit einem pekuniären Ziel, sondern vielleicht mit einem «akquirierenden» Ziel, also dass man wieder mehr Menschen auf spiritueller Basis abholt, eine Kirchenbotschaft vermittelt, oder sich allenfalls einfach ein jüngeres Image gibt. Welchem Zweck dient diese Wiederentdeckung des Tourismus durch die Kirche?

[Barbara Haller Rupf] Natürlich ist das Christentum eine «akquirierende Religion», aber es wird, um beim Beispiel von Zermatt zu bleiben, sicher nicht die Idee sein, zum Beispiel alle asiatischen Besucher zu bekehren. Es geht darum, dass die Kirche erkennt, dass sie Teil der Wirtschaftsräume ist und im touristischen Kontext etwas bewegen kann, und somit lokalen Gemeinschaften auch in diesem Bereich konkrete Hilfe leisten kann. Sie trägt bei, dass der Binnentourismus wie auch der internationale Tourismus attraktiver werden.

Das wird bereits aktiv verfolgt. Es gibt bereits das Interregprojekt «Kirche, Klöster und Konzil», bei welchem die Kirchen der Region St. Gallen-Bodensee, sowohl auf Schweizer als auch auf deutschem und österreichischem Boden, sich zu einem gemeinsamen touristischen Angebot unter Führung des Klosters St. Gallen bündeln. Nebst den Bergen und Seen als Angebot gibt es damit auch die «Kirche als Angebot». Die Kirche wird Teil des Gesamtsystems Tourismus.

Wir sprechen hier primär also von Incoming-Tourismus, von lokalen Angeboten in der Schweiz.

[Christian Cebulj] Darum ging es in unserem Sammelband und mit der Gründung des Vereins «Kirche und Tourismus» auch primär. Es gibt internationalen religiösen Tourismus, das ist gut und wichtig, aber uns geht es vorrangig auch um die Stärkung von Pfarreien und Kirchgemeinden in Schweizer Tourismusdestinationen. Die Kirche als Instrument der Standortstärkung, das ist der Grundgedanke.

Es gibt dafür bereits wunderbare Beispiele. In St. Moritz beispielsweise gab es während der Ski-WM 2017 ein Kunstprojekt namens «Let St. Moritz shine», bei welchem der Kirchturm mit einem Leuchtfeuer versehen wurde, was der dortigen Kirche enorme Aufmerksamkeit verschaffte und auch das Selbstbewusstsein der lokalen Kirchgemeinde stärkte, und gleichzeitig eine erfolgreiche touristische Aktion war.

«Die Kirche als Instrument der Standortstärkung, das ist der Grundgedanke.» (Christian Cebulj)

Die Kirchentüren in der Schweiz stehen also jetzt nicht nur im seelsorgerischen Sinne offen, sondern auch im touristischen.

[Christian Cebulj] Die Türen sollen offen sein und die Kirchen dürfen durchaus auch mit Stolz das eigene Kulturangebot präsentieren. Aber um nochmals auf die Frage des Zwecks zurückzukommen: Die Bemühungen der Kirche im Tourismus müssen, das wurde schon angetönt, nicht missionarisch verstanden werden, sondern im Kontext von Gastfreundschaft. Es geht nicht darum, mittels Tourismus wieder Mitglieder für die Kirche zu rekrutieren in einer Zeit, in welcher viele aus der Kirche austreten. Aber natürlich, wenn Gäste nach einem Kirchenbesuch nicht nur Zahlen und Fakten mitnehmen, sondern auch etwas Spirituelles und die Offenheit der Kirche schätzen, dann ist das wunderbar. Sinnstiftung ist eine Funktion von Religion, aber ob die Leute etwas Spirituelles mitnehmen, ist ihre Wahl. Religion als Option, sozusagen, und nicht als Mission.

Religion als Option?

[Christian Cebulj] Der Religionssoziologe Hans Joas hat einmal gesagt, «Anders als früher ist Religion heute weniger Pflicht als vielmehr Option». Das bedeutet, dass man als Individuum seine Religion frei auswählt. So will ich die Präsenz der Kirchen im Tourismus verstehen: Als Angebots-Option, die frei von Einflussnahme, Moral und dergleichen ist. Wir machen die Türen auf und schauen, ob jemand kommt. Und ich bin überzeugt, dass viele kommen werden. Das hat mir Christof Sigrist, der Pfarrer des Zürcher Grossmünsters, erzählt: Wenn er am Sonntag um 10.30 Uhr einen Gottesdienst abhält, kommen vielleicht 40-50 Personen, wenn er jedoch am Montagmorgen um 9.00 Uhr die Türen öffnet, brauche es fast ein Drehkreuz, weil der Andrang von Touristen, welche die Kirche besuchen möchten, so gross ist. Es gibt also verschiedene Anspruchsgruppen, und es wäre schade, wenn man nur die Gottesdienstgänger bedient, zumal ja auch die touristischen Besucher etwas im Grossmünster suchen.

[Barbara Haller Rupf] Man lernt die eigene Kultur nur im Vergleich kennen, der Heimatbegriff wird erst deutlich, wenn man sich ausserhalb der Heimat bewegt hat. Reisen ist als Horizont-Erweiterung wichtig, und darin spielen auch Kirchen eine wesentliche Rolle, weil darin kulturelle Unterschiede besonders deutlich werden. Das muss man aber nicht nur geografisch oder anhand von Distanz verstehen. Auch im Binnentourismus können Kirchen Erlebnisse und Emotionen bieten, die im Rahmen einer nicht religiös motivierten Reise gewonnen werden.

Kann man sagen, die Kirche nutze die transformatorische Kraft des Tourismus auch für eine eigene Modernisierung?

[Barbara Haller Rupf] Vielleicht, aber ich sehe da eine Wechselwirkung. Auch der Tourismus kann doch davon profitieren, wenn er entdeckt, wie viele kleine lokale Schätze vorhanden sind, mit denen man wachsende Bedürfnisse von Reisenden ideal befriedigen kann. «Kirchen im Tourismus» sind eben nicht nur Grossmünster, Einsiedeln und St. Johann in der Val Müstair, sondern zahllose kleinere Perlen.

«Reisen ist als Horizont-Erweiterung wichtig, und darin spielen auch Kirchen eine wesentliche Rolle, weil darin kulturelle Unterschiede besonders deutlich werden.» (Barbara Haller Rupf)

Es wurde vorhin gesagt, Kirche sei auch ein Akteur im Bereich der Nachhaltigkeit. Wie ist das zu verstehen?

[Christian Cebulj] Die Religionen Judentum und Christentum haben sich immer schon für den Schutz der Natur eingesetzt, weil das in den Schöpfungsgeschichten der Bibel begründet liegt, wie eingangs erwähnt. Freilich ist das Bewusstsein dafür erst in letzter Zeit wieder stärker geworden. Das kann aber in ein modernes touristisches Angebot umgewandelt werden: Die Benediktinerinnen im aargauischen Kloster Fahr beispielsweise haben seit Kurzem ihren Klostergarten für Besuchende geöffnet; sie nennen ihn «Laudato-Si-Garten’». Der Name geht auf den Heiligen Franz von Assisi zurück. Sie haben jetzt einen «Nachhaltigkeits-Garten» entworfen, bei dem mittels QR-Code Infos über Kräuter oder auch die Energiewirtschaft im Kloster – Photovoltaik, Mülltrennung etc. - vermittelt werden. Es werden auch Produkte aus biologischem Anbau verkauft. Es wird damit vermittelt, dass zu diesem spirituellen Ort seit der Gründung auch schon die Idee der Nachhaltigkeit gehört. Natürlich wird hier gewissermassen auch einem Trend der letzten Jahre gefolgt. Es unterstreicht aber auch, wie hoch die Schnittmenge zwischen Kirche und Nachhaltigkeit ist – und es ist aktuell ein richtiger Tourismusmagnet.

[Barbara Haller Rupf] Hier muss man übrigens Nachhaltigkeit nicht nur unter einem ökologischen Gesichtspunkt sehen, sondern auch im Sinne der sozialen und ökonomischen Nachhaltigkeit. Die Kirche kann eine Rolle bei der Integration von verschiedenen Gesellschaften oder auch bei der Regionalwirtschaft eine Rolle spielen. Man mag kritisieren, dass Chinesen für ein paar Tage in der Schweiz um die Welt fliegen – aber wenn sie da sind, gab es bisher wenige Angebote, welche ökologische oder soziale Nachhaltigkeit ins Zentrum stellten. Auch da kann die Kirche bei der Bewusstseinsbildung mittels Tourismus eine Rolle spielen. Viele meiner chinesischen Studenten wünschen sich einen intensiveren Austausch mit Einheimischen und mit lokalen Kulturträgern, das wird aufgrund des Klischees der chinesischen Massentourismus-Gruppen zu wenig wahrgenommen. Darum ist es auch wichtig, hier neue Angebote zu schaffen.

Abschliessend stellt sich noch die Frage, wer jetzt den Lead hat in dieser Annäherung von Kirche und Tourismus, und wie das vonstatten gehen soll.

[Christian Cebulj] Ich glaube, wir brauchen eine Doppelspitze und den gemeinsamen Lead. Wir machen die Erfahrung, dass es viele kreative Lernsituationen und Entwicklungschancen gibt, von denen beide Seiten profitieren, also klassische Win-Win-Situationen. «Kirche im Tourismus» ist ein riesiges Feld für Forschung und Entwicklung, das man noch systematisieren muss. Wir stehen da erst am Anfang, unser Buch sollte dafür ein Startschuss sein. Wir müssen interdisziplinär weiterarbeiten, Forschungsprojekte und Ausbildungen auf allen Seiten anstossen, um die Kirche und den Tourismus einander langfristig näher zu bringen. Der Verein «Kirche und Tourismus» ist eine Goodwill-Aktion von Personen primär aus dem Kirchenbereich, welche nach dem Ende der kirchlichen Tourismuskommissionen dieses Thema weiter bearbeiten wollten, und bemüht sich, Schnittstellen zwischen Betriebswirtschaft, Theologie, IT und mehr zu bilden und den Erfahrungsaustausch zwischen Kirche und Tourismus zu intensivieren.

[Barbara Haller Rupf] Es gibt neben der von Christian Cebulj erwähnten eine Forschungsseite die praktische Umsetzung. Der Verein «Kirche und Tourismus» geht jetzt verstärkt auf touristische Akteure zu, wird die Vernetzung verbessern, und stösst damit durchaus auf Interesse. Wir sind sicher, dass hier wunderbare Chancen auf beiden Seiten entstehen.

Kirchen können sich als touristisches Angebot präsentieren - doch dafür muss man sich dieser Rolle auch bewusst sein. Bild: AdobeStock