Tourismuswelt

Können ältere Semester den Mangel an Nachwuchskräften ausgleichen? Bild: AdobeStock

Fachkräftemangel: Sind Mitarbeitende über 50 die Lösung?

Jean-Claude Raemy

Die Reisebranche bewegt sich auf ein Problem hinsichtlich Fachkräften hin, vor allem innerhalb der Reisebüros. Ist die (Wieder-)Anstellung von Personen in fortgeschrittenem Alter ein Problemlösungs-Ansatz? Travelnews hat bei Christina Renevey (TravelJobMarket) nachgefragt.

Sind die Wirren der Corona-Pandemie erst einmal überstanden, wird der Reisebranche das nächste Problem ins Haus stehen: Ein Fachkräftemangel (Travelnews hat hierzu verschiedentlich berichtet, zuletzt im November 2021). Die pandemiebedingten Probleme der Reisebranche haben zu extremen Sparmassnahmen geführt, also zu Personalabbau, der aber nicht nur über Entlassungen vonstatten ging, sondern auch durch den freiwilligen Abgang zahlreicher Fachkräfte in weniger krisenanfällige Branchen. Der «Brain Drain» wird begleitet von Lehrstellenmangel und einem geringeren Interesse an Branchenjobs als früher. Und weil gewisse KMU-Chefs ihre Nachfolgeregelung zu spät an die Hand genommen haben, gibt es auch immer weniger Karrieremöglichkeiten.

Dieser Giftcocktail führt dazu, dass nun die Angst gross ist, dass beim «Comeback» der Reisetätigkeit im früheren Stil - und dieses wird kommen, die Frage ist nur wann - möglicherweise zu wenige qualifizierte Arbeitskräfte vorhanden sind. Besonders dramatisch sieht es in den Reisebüros aus: Die Anforderungen an Reiseberater sind hoch bei gleichzeitig meist bescheidenem Lohn, und so haben sich in den vergangenen Monaten die schon vor der Pandemie vorhandenen Probleme akzentuiert. Wie soll man dem begegnen?

Ein Lösungsansatz ist es vielleicht, ältere Angestellte wieder einzustellen. Arbeitnehmende der Generation «50+» verfügen in der Regel über viel Erfahrung, Wissen und Kompetenz. Allerdings sind sie auch etwas teurer als jüngere Angestellte. Ein Umstand, welcher vielen arbeitslos gewordenen Personen dieser Altersklasse den Wiedereintritt ins Geschäftsleben erschwert. Aber vielleicht könnte jetzt ein «betriebliches Generationenmanagement» diesen wieder Chancen verschaffen - sofern sie natürlich auch über «Arbeitsmarktfähigkeit» verfügen.

Interessant: Unter dem Patronat des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes (SAV) entsteht 2022 das neue Arbeitgebernetzwerk «focus50plus», welches Unternehmen in diesen Themen unterstützt. Der Lancierungsevent findet am kommenden 28. Januar 2022 online statt (Anmeldungen zum digitalen Event unter diesem Link). Der Tenor ist klar: Ältere Mitarbeitende steigern durch ihre Erfahrung und Fachkompetenz die betriebliche Wettbewerbsfähigkeit und tragen wesentlich zum Erfolg eines Unternehmens bei; sie sind angesichts des Fachkräftemangels deshalb doppelt wichtig.

Welche Chancen bietet die Reisebranche?

Christina Renevey

Bleibt die Frage, ob die so genannten «Best Ager» auch in der Reisebranche Abhilfe schaffen können, welche seit langem mit Fachkräftemangel kämpft. Travelnews hat sich bei Christina Renevey erkundigt, welche mit ihrer Firma Traveljobmarket seit bald 30 Jahren auf Stellenvermittlung innerhalb der Tourismusbranche spezialisiert ist. Grundsätzlich sieht Renevey viel Potenzial: «Ich sehe durchaus Chancen für Reiseunternehmen, Stellen mit Seniors zu besetzen. Die Generation 50+ verfügt über langjährige Berufserfahrung, oft über sehr vertiefte, weltweite Destinations- und Produktekenntnisse. Weiter zeichnen sie sich durch gute Menschenkenntnis, hohe Flexibilität und Teamspirit aus. Kunden mit hohen Ansprüchen lassen sich oft gerne von einer erfahrenen, älteren Persönlichkeit beraten.»

Wieso passiert dies nicht bereits öfter? In der Regel geht es ums Geld. «Tatsächlich werden die Sozialkosten bei der Anstellung eines 50+-Talents in Betracht gezogen, betreffend Lohn gibt es weniger Probleme», so Renevey. Die Generation 50+ sei sich bewusst, dass sie sich den Durchschnittsgehältern anpassen müsse. «Skepsis haben unsere Kunden bezüglich der IT-Affinität sowie der Schnelllebigkeit der Baukastenprodukte», führt Renevey als wichtigsten Problempunkt an.

Das hindert Best Ager nicht daran, sich für Branchenjobs zu bewerben. Aber haben sich deren Bewerbungen aufgrund der Pandemie nun gehäuft? Renevey verneint: «Die Anzahl BewerberInnen mit über 50 Jahren hält sich in den letzten Jahren immer auf ähnlichem Niveau. Bei der Besetzung von Stellen am Schalter haben wir mit der Vermittlung von Seniors immer wieder Erfolgserlebnisse. Schwieriger ist es für die Besetzung von Vakanzen beim Reiseveranstalter. Viele Aufgaben erfordern vielseitige Kenntnisse der neuen Technologien.» Da aber bekanntlich vor allem am Schalter ein Rekrutierungsproblem besteht, könnten Best Ager zumindest dort tatsächlich Abhilfe schaffen.

Reiseunternehmen sollten offen für Neues wie für Altes sein

Oder etwas doch nicht? Man könnte nämlich auch behaupten, dass auf Best Ager zu setzen lediglich kurzfristig Abhilfe schafft, aber keine langfristige Lösung für das Nachwuchsproblem ist. Renevey plädiert hier für Voraussicht: «Wir werden langfristig ein Nachwuchsproblem haben, alleine durch die demografische Entwicklung. Wir empfehlen eine gute Teamdurchmischung. Junge Reiseberater können von der langjährigen Berufserfahrung der über 50-jährigen lernen, und die älteren Generationen von den IT-Kenntnissen der Digital Natives profitieren.»

Bleibt die Frage, ob Reiseunternehmen das gleich sehen. Was ist denn aus Sicht von Renevey das Wichtigste für die Reisebranche, um die drohende Fachkräftemangel-Gefahr abzuwenden? «Reiseunternehmen sollten offen für Quereinsteiger sein und idealerweise firmenübergreifend entsprechende Ausbildungsprogramme anbieten», so die Expertin, «die Nachwuchstalente suchen abwechslungsreiche Berufe mit Entwicklungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten. Deshalb empfehlen wir, die Jobprofile attraktiv zu gestalten und den Fähigkeiten ihrer Mitarbeitenden anzupassen.»