Tourismuswelt

Ein Bild wie aus einer anderen Zeit: Menschenmassen an der ITB 2019. Die aufgrund der wiederholten Messeabsagen entgehende Wertschöpfung ist - nicht nur in Berlin - immens. Bild: ITB Berlin

Kommentar Der Massenausfall der Reisemessen ist ein grosses Problem

Jean-Claude Raemy

2022 finden weder Fespo, Ferienmesse Bern, ITB oder weitere relevante Reisemessen statt. Das ist nicht nur schade, sondern ein echtes Problem für viele Reiseunternehmen.

Nun also auch noch die CMT Stuttgart. Vor zwei Wochen noch gaben sich die Macher der wichtigsten süddeutschen Reisemesse zuversichtlich hinsichtlich der Durchführung der Messe, doch nun wurde auch dort das Handtuch geworfen, sprich die Messe abgesagt, wobei auch keine Online-Veranstaltung stattfindet. Dieses Ereignis reiht sich ein in eine lange Liste: Bekanntlich wurden in der Schweiz auch die Fespo Zürich und die Ferienmesse Bern abgesagt, ebenfalls ohne Online-Alternative, dazu finden etwa auch die grosse Vakantiebeurs in Utrecht, die Oohh in Hamburg oder die Reisemesse Dresden nicht statt, um nur einige Beispiele zu nennen. Dazu hat auch die Königin der Reisemessen, die ITB Berlin, letzte Woche angekündigt, dass die Präsenzmesse ausfallen wird und lediglich ein Online-Programm stattfindet.

Nachdem 2021 aus Sicht der meisten Messeveranstalter noch schlimmer war als 2020, kommt nun der Hammer, wonach es auch 2022 düster aussieht - zumindest für Messen mit hoher internationaler Beteiligung, welche zum Jahresbeginn stattfinden, womit genau die Reisemessen am schärfsten getroffen sind. Wohlverstanden: Angesichts der aktuellen Entwicklung war es wohl richtig, die Messen abzusagen - dies allein schon, um den Ausstellern und Besuchern den Entscheidungsdruck wegzunehmen. Jetzt ist die Lage klar, zumindest im deutschsprachigen Raum. Noch offen ist derweil, ob die Fitur in Madrid (19.-23. Januar) oder die BIT Milano (13.-15. Februar) stattfinden werden. Bis dato sind diese nicht abgesagt, aber die Nervosität dürfte auch dort unerträglich werden, und je länger zugewartet wird, desto höher die Kosten für Messeveranstalter und Aussteller...

Was bleibt, ist der Blick nach vorne. Wie weiter? Für viele ist die Umstellung auf ein Online-Format aus Zeitgründen nicht praktikabel; es ist aber auch kein gleichwertiger Ersatz für eine Live-Messe. Eine zeitliche Verschiebung auf ein späteres Datum ist auch einfacher gesagt als getan: Zum einen macht es kaum Sinn, weil dann das inspirative Element kaum noch zum Tragen kommt; die meisten Besucher wollen sich ja anfangs Jahr über ihre Ferien Gedanken machen und nicht erst im Mai oder Juni. Zudem finden die Veranstalter nicht einfach so freie Hallen, oder können die gesamte Organisation einfach mal verschieben.

Eine enorme Wertschöpfung

An dieser Stelle muss man nochmals vor Augen führen, wie gross die Wertschöpfung einer (Reise-)Messe ist. Findet sie nicht statt, ist nicht nur der Messeveranstalter betroffen. Standbauern entgehen lukrative Verträge, Gastronomen und Caterer verlieren eine wichtige Plattform bzw. potenzielle Kundschaft in der Stadt, und die Stadthotellerie leidet. Man denke nur, wie viele Hotelübernachtungen in Berlin wegen der ITB-Absage wieder fehlen werden... und was das für die Taxifahrer bedeutet. Haben wir schon die Angestellten im Bereich «Sicherheit & Schutz» erwähnt, denen ebenfalls Aufträge fehlen? Und was ist mit all den «Side Events» einer Messe? Es entgehen auch in den Marketing- und Kommunikationsbranchen wertvolle Verträge. Ach ja, und auch die Airlines füllen weniger Sitze, weil die Messe-Mobilität flöten geht.

Und dann wären da ja noch die Aussteller, welche teils schon viel Vorarbeit geleistet haben, die vielleicht auch in Vorleistung gegangen sind. Nebst der umsonst geleisteten Arbeit und eventuell bereits angefallenen Kosten müssen diese auch den Verlust des eigentlichen Werts der Messe tragen: Viele generieren während Ferienmessen beträchtlichen Umsatz, oder generieren viele Leads, nutzen die Messe also quasi als Vertriebskanal. Ganz abgesehen davon, dass das Networking auf einer Messe - ob mit Branchenkollegen, mit bestehenden Kunden oder auch neuen Bekanntschaften - einfach unersetzlich ist. Die Aussteller sind nun für 2023 gezwungen, sich - primär im Bereich B2C - Gedanken zu machen, wie sie Kontakte knüpfen und ihre Produkte feilbieten können. Das dürfte mancherorts Kosten verursachen, die weit über die Kosten einer Messeteilnahme gehen. Wo sonst werden einem Tausende potenzielle Kunden für vergleichsweise wenig Geld «hingespült»? Wo wird ein Treffpunkt mit Kunden derart grossflächig beworben? Und vor allem: Wo finden Kunden eine neutrale Plattform, bei welcher sie die Produkte unterschiedlicher Anbieter miteinander vergleichen können?

Kurz: An der Messewirtschaft hängen Tausende Jobs, auch in der Schweiz, und diese sind durch das Hin und Her gefährdet. Für die Reisemessen gilt nun «Horizont 2023». Für viele kleine Dienstleister im Dunstkreis der Messen fehlt somit auch 2022 ein wichtiger Ertragsfaktor. Es könnten Mitarbeitende verschwinden, die man nicht mehr so einfach zurückkriegt. Wegen der hohen Ausfälle könnten auch die Preise steigen, unten angefangen und am Ende niedergeschlagen im Standpreis oder Eintrittspreis bei der Messe. Und da auch 2022 gereist wird, müssen die Reiseveranstalter nun relativ schnell anderweitige Marketingplattformen finden, was Flexibilität und allenfalls auch Investitionen erfordert. Eine Messeabsage sorgt immer für eine ganze negative Auswirkungsspirale.

Schluss mit dem Impfzaudern

Mit der wiederholten Absage von grossen Reisemessen wird auch Unsicherheit geschürt. Findet die nächste Reisemesse wirklich statt? Prognosen wagt ja kaum noch jemand auszusprechen. Dabei ist der Ausweg aus dem Dilemma eigentlich schon lange klar und die Mittel dazu seit einem Jahr vorhanden: Impfen. Zum einen braucht es die grossflächige Impfung, um Herr der Infektionslage zu werden, zum anderen aber auch eine umfassende, möglichst internationale Corona-Strategie, welche verständlich ist und auch durchgesetzt wird.

Das wird Stabilität und Planbarkeit zurückbringen, was die Reisetätigkeit an sich und somit sowohl die Reisebranche als auch die Messewirtschaft besser unterstützen wird als alle möglichen Hilfspakete. Die internationalen Reisebeschränkungen werden wohl erst aufgehoben, wenn die «Impfzauderei» endet und man zu einer Art Normalität zurückkehren kann. Die speziellen Corona-Massnahmen - mit welchen Messen wohl durchaus durchführbar sind - braucht es dann auch nicht mehr.