Tourismuswelt
Die Reisebranche hofft auf ein Einsehen des Bundesrats
Jean-Claude RaemyDas Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat gestern Dienstag (30.11.) die ersten beiden Fälle von Covid-Ansteckungen mit der Omikron-Variante in der Schweiz bestätigt. Verdachtsfälle wurden schon am Sonntag gemeldet, nun ist aber die Sequenzierung abgeschlossen. Die infizierten Personen seien vor rund einer Woche aus Südafrika zurückgekehrt. Wobei der Fingerzeig auf das Südliche Afrika wohl verfehlt ist: Die niederländischen Gesundheitsbehörden gaben ebenfalls am 30. November bekannt, dass sie die neue Omicron-Variante des Coronavirus in Fällen gefunden haben, die bereits 11 Tage zurückliegen - was darauf hindeutet, dass sich das Virus bereits in Westeuropa ausbreitete, bevor die ersten Fälle im Südlichen Afrika festgestellt wurden. Inzwischen hat Nigeria zudem vermeldet, dass man Omicron in Tests von Oktober 2021 gefunden habe...
Was heisst das nun? Es heisst, dass die neue Variante schon da ist und die Abschottung mittels Quarantäne oder gar Einreiseverboten wohl bereits nicht mehr taugt. Die grosse Frage ist, ob das der Bund auch so sieht. Bundesrat und Gesundheitsminister Alain Berset erklärte an der gestrigen Pressekonferenz, dass der Bund die Quarantäneliste rasch reaktiviert habe, um die Ausweitung der Ansteckungen zu unterbinden, er fügte jedoch an: «Es ist im Moment nicht ideal, wir sehen das, daher gibt es eine vertiefte Diskussion im Bundesrat am [kommenden] Freitag.» Will heissen: Vielleicht wird es ab nächster Woche bereits wieder eine andere Lösung geben statt der Quarantäneliste - beispielsweise eine erweiterte Testpflicht. Vielleicht lässt sich auch ein Abwarten des BAG - eine am Dienstag gesendete Reihe von Präzisierungsfragen von Travelnews hinsichtlich der aktuellen Quarantänelisten-Praxis blieb vom BAG bis heute 11.20 Uhr unbeantwortet - positiv interpretieren.
Wobei: Es gilt bereits jetzt eine verschärfte Testpflicht. In diesem Zusammenhang ist es wichtig nochmals darauf hinzuweisen, dass es zwei Listen gibt, nämlich die «Liste der Länder mit besorgniserregenden Varianten» des BAG, also die umgangssprachliche «Quarantäneliste», sowie die Liste des Staatssekretariats für Migration (SEM). Auf der BAG-Quarantäneliste stehen derzeit 24 Länder; hierbei gilt, dass bei Einreise aus diesen Ländern Personen über 16 Jahre ein negatives Testergebnis - PCR-Test oder Antigen-Schnelltest - vorlegen müssen, und zwar auch geimpfte/genesene Personen, dazu müssen alle Personen (auch Kinder) das Einreiseformular ausfüllen und sich für 10 Tage in Quarantäne begeben sowie sich sofort bei der kantonalen Behörde melden, welche dann einen zweiten PCR-Test oder Antigen-Schnelltest zwischen dem 4. und 7. Tag nach der Einreise koordiniert. Reicht es mit der Testpflicht, ohne die Quarantäne anzuhängen? Darüber wird bis Ende dieser Woche befunden.
Und nun zur Verwechslungsgefahr: Ist ein Land auf der SEM-Liste, ist die Einreise komplett untersagt, ausser für Schweizer Bürgerinnen und Bürger. Auf der SEM-Liste sind allerdings nur 9 Länder. Will heissen: Aktuell dürfen nicht-Schweizerische bzw. nicht in der Schweiz Wohnberechtigte aus den Ländern Botswana, Eswatini, Hong Kong, Israel, Lesotho, Mosambik, Namibia, Simbabwe und Südafrika gar nicht einreisen. Das heisst im Umkehrschluss, dass beispielsweise Briten oder Niederländer durchaus noch einreisen dürfen - allerdings mit Quarantänepflicht. Fällt diese weg, könnten die Briten und Niederländer also doch noch einreisen. Da wird sicher noch Druck von Seiten der Schweizer Skitourismus-Orte kommen.
Auch die WHO will keine Generalverbote
Interessant ist in diesem Zusammenhang die Position der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Diese hatte eingehend vor der Gefahr von Omicron gewarnt, lässt aber auch wissen, dass «blanket bans», also pauschale Reiseverbote, den Virusstamm nicht eindämmen würden, sondern eine schwere Belastung für die Lebensgrundlagen zahlloser Menschen darstellen. WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus sagte, es sei verständlich, dass die Länder versuchen, ihre Bürger vor einer Variante mit so vielen noch unbekannten Faktoren zu schützen, rief jedoch zu einer ruhigen und koordinierten globalen Reaktion auf und forderte die Länder auf, «rationale, verhältnismässige Massnahmen» zur Risikominderung zu ergreifen.
Die WHO differenziert - im Gegensatz etwa zur Schweiz - bereits zwischen Geimpften und Umgeimpften. Obwohl noch unklar ist, inwieweit die vorhandenen Impfstoffe genau Schutz bieten können, richtet sich die WHO-Warnung vor Reisen in potenzielle Covid-Hotspots explizit an ungeimpfte, gefährdete (in der Regel also ältere) Menschen.
Genau solche besonnenen Reaktionen, sowie ein Ende der Gleichbehandlung von Geimpften und Ungeimpften, wird auch von weiten Teilen der Reisebranche gefordert.
Das schlägt der Bundesrat vor
An der gestrigen ausserordentlichen Sitzung hat der Bundesrat beschlossen, vorsorglich eine Konsultation zur Wiedereinführung bestimmter Massnahmen durchzuführen - wobei die Konsultation bei den Kantonen ultraschnell durchgeführt wird, nämlich heute Mittwochabend (1. Dezember 2021) abgeschlossen sein soll, mit dem Ziel, die Massnahmen per kommendem Montag (6. Dezember) rechtskräftig einzuführen.
Was wurde vorgeschlagen? Zunächst eine Ausweitung der Zertifikatspflicht im Innenbereich, sowohl für alle sportlichen und kulturellen Aktivitäten wie auch für private Treffen ab 11 Personen. Des Weiteren soll die Zertifikatspflicht bei Veranstaltungen im Freien auf Veranstaltungen ab 300 Teilnehmenden ausgeweitet werden. Für alle Innenbereiche von öffentlich zugänglichen Betrieben und Einrichtungen mit Zertifikatspflicht einschliesslich der zertifikatspflichtigen Veranstaltungen im Innern soll zusätzlich eine Maskenpflicht eingeführt werden. In der Gastronomie wird wieder die Sitzpflicht bei Konsumation eingeführt; Kontaktdaten sind zu erheben. Dazu gibt es zur Einschränkung der Kontakte am Arbeitsplatz und zur Reduktion des Personenaufkommens im öffentlichen Verkehr drei Varianten, die von Maskenpflicht bis Home-Office-Pflicht reichen. Nicht zuletzt werden alle Schulen der obligatorischen Schulen und der Sekundarstufe verpflichtet werden, repetitive Tests anzubieten.
Für die Reisebranche ist dies alles soweit ok. Problematischer wird es mit dem Vorschlag zur Beschränkung der Gültigkeitsdauer der Testzertifikate. Demnach wären PCR-Tests nicht mehr 72 Stunden, sondern nur noch 48 Stunden gültig; die Gültigkeitsdauer der Antigen-Schnelltests würde von 48 Stunden auf 24 Stunden reduziert. Das würde die ohnehin schon komplizierte Zeitrechnerei im Vorfeld von Reisen, bei denen eine PCR- oder Antigen-Testung Pflicht ist, nochmals verschlimmern und dürfte sich durchaus negativ auf die Nachfrage auswirken.
Die Massnahmen sollen vorerst bis am 24. Januar 2022 befristet sein. Sollte die Quarantänepflicht beibehalten werden und alles wie vom Bundesrat vorgeschlagen durchgewunken werden, kann sich die Reisebranche in den kommenden Wochen auf eine Art Winterschlaf einstellen.