Tourismuswelt

Live-Ferienmessen wie hier die Fespo haben durchaus Zukunft - wenngleich nicht mehr dieselbe wie noch vor Kurzem. Bild: TN

Kommentar Das Messe-Business und der lange Weg zurück

Jean-Claude Raemy

Die Anzahl der Live-Events und Reisemessen nimmt wieder deutlich zu. Von einem «back to normal» zu sprechen wäre aber völlig vermessen.

Die gestrige Nachricht, wonach die Fespo Zürich und die Ferienmesse Bern 2022 definitiv durchgeführt werden, ist auf den ersten Blick erfreulich. Sie reiht sich ein in eine Fülle weiterer «Comeback-Nachrichten» aus dem Reisemessen-Bereich: Zum einen soll die Ferienmesse St. Gallen ab 2023 wiederbelebt werden, während andere Live-Events wie die «Brand USA Travel Week» in London bereits laufen oder die WTM, ebenfalls in London, in wenigen Tagen starten wird. Befindet sich die Messewelt, welche in gewisser Hinsicht auch ein Gradmesser der Gesundheit der Reisebranche ist, auf dem Weg zurück in die Normalität?

Das wäre wohl wünschenswert, doch diese Feststellung kann man so nicht stehen lassen. Die Fespo und die Ferienmesse Bern sind einen «Gamble» eingegangen und brauchen ganz klar noch mehr Unterstützung aus der Branche, um über die Runden zu kommen - der Durchführungsentscheid basierte nicht auf einer immensen zurückgekehrten Nachfrage für Messestände. Generell wird von einer deutlich kleineren Messe ausgegangen. In diesem Zusammenhang interessant: Die ursprünglich für den Januar geplante Ferienmesse Wien wurde soeben in den März 2022 verschoben. Grund: Die Aussteller wünschten aufgrund des veränderten Buchungsverhaltens der Konsumenten eine Verschiebung. Die Messe wird neu im März dann gemeinsam mit der Messe «Wohnen & Interieur» durchgeführt.

Die WTM, wie auch die ITB, wird hybrid durchgeführt, also Live wie auch Online. Und das wird keine einmalige Angelegenheit sein, sondern die Messezukunft darstellen. Auch da also die Feststellung, dass man noch weit entfernt ist von früheren Grössen, sofern diese überhaupt jemals wieder erreicht werden. Man braucht aber gar nicht ins Ausland zu schauen. In der Schweiz wurden der Arabian Souk und der Asia Workshop zum «Educational Day» zusammengelegt, während das Visit USA Seminar im Januar 2022 nicht stattfinden wird. Der TTW Zürich wurde auf ein noch unbestimmtes Datum 2022 verschoben.

Das Comeback der Reisebranche wird lange dauern

Man könnte nun sagen «kam alles etwas zu früh» und darauf bauen, dass es dann 2023 wieder hinhaut. Doch das trägt dem Umstand nicht Rechnung, dass sich die Branche allgemein, und mit ihr folglich auch das Messewesen, in einem massiven Umbau befindet. Das veränderte Kundenverhalten, die Neuorientierung vieler Unternehmen und anhaltende Unsicherheit hinsichtlich volatiler behördlicher Regelungen fordern ihren Tribut. Es gibt kein «back to normal», sondern Anpassung und, ganz nach Darwin, ein «survival of the fittest». Reiseveranstalter müssen ein Höchstmass an Flexibilität an den Tag legen, Reisebüros müssen immer stärker selber zu Veranstaltern werden, städtische Hotels ohne Geschäftskunden müssen in Leisure-Aktivitäten investieren - dies um nur ein paar Beispiele zu nennen. Änderungen erfordern in der Regel Investitionen - doch das Geld ist nach der langen (und noch nicht abgeschlossenen) Pandemie-Durststrecke knapp.

Darüber hinaus darf man sich nichts vormachen: Die Nachfrage ist bei Weitem noch nicht wieder da, wo sie einmal war. Gewiss, Menschen wollen reisen. Aber vielleicht nicht mehr so oft, selektiver, nachhaltiger. Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist, dass das Angebot deutlich geschmälert wurde, infolge Geschäftsaufgaben, Personalabbau oder natürlichen Abgängen. Der Wiederaufbau wird viel Zeit beanspruchen - und in der Zwischenzeit wird es zu Engpässen kommen, weil das Angebot möglicherweise nicht mehr der Nachfrage entsprechen kann. Ein grosses Problem für die Tourismus-Branche.

Natürlich will die Reisebranche möglichst Signale aussenden, wonach es «wieder losgeht». Man will und muss Zuversicht schaffen. Am besten verdeutlicht dies vielleicht die Flugwelt, mit Swiss: Dort wirbt man damit, dass schon fast alle Destinationen wie vor der Pandemie wieder angeflogen werden - doch das totale Sitzplatzangebot bewegt sich weiterhin bei 50 Prozent des ursprünglichen Plans. Nach der Öffnung der USA wurde viel über riesige Nachfrage geschrieben - doch von Null ausgehend kommt man schnell auf astronomisches prozentuales Wachstum. Ist doch egal, Hauptsache zeigen, dass es in die richtige Richtung geht.

Doch auch das hat eben für den Tourismus seine Tücken. Bislang wurde viel von Staatsseite geholfen, mittels Härtefallgeldern, welche - zumindest in einigen Kantonen - grosszügig ausbezahlt wurden, aber auch mittels Kurzarbeitsentschädigungen und dergleichen. Fällt das Signal, wonach «es wieder losgeht», zu positiv aus, könnte die Politik schnell dazu verleitet werden, keinerlei Hilfsmittel mehr zu sprechen. Zumal sich der Rest der Wirtschaft immer stärker normalisiert. Und wenn die Hilfe ausfällt, man denke nur an das Auslaufen der Kurzarbeitsentschädigung Anfang 2022, wird es für viele Reiseunternehmen eng, sogar sehr eng. Zumal sich viele auch noch verschuldet haben, etwa durch Inanspruchnahme der Covid-Kredite. Auf den Punkt gebracht: Der Härtetest steht uns allen erst noch bevor.

2022 wird nochmals hart

Zurück auf die Messen bezogen heisst das: Für viele Unternehmen wird 2022 noch darauf ausgerichtet sein, primär mal zu überleben, bevor man sich auf Messen begibt. Sie merken, worauf ich hinauswill: Die positiven Signale von Konsumentenseite stehen in scharfem Kontrast zur Feststellung, dass die Abwärtsspirale der Reisebranche noch nicht den tiefsten Punkt erreicht hat. Das ist für Reiseunternehmen gleichermassen ein Problem wie für Anbieter aus dem MICE-Bereich (Meetings, Incentives, Conventions, Events).

Aber, sofern irgendwie machbar: Eine Teilnahme an Fach- oder auch Publikumsmessen ist wichtiger denn je. Was haben wir festgestellt in den langen, «messefreien» Monaten der Pandemie? Das Überbrücken mit virtuellen Treffen war ok, aber die Beteiligung der Teilnehmer war im Allgemeinen geringer als bei den alten Live-Veranstaltungen. Die Teilnehmer/Aussteller konnten Geld für Sponsoring, Messestände, Begleitmaterial, Reisen und Hotels einsparen - was so interpretiert werden könnte, dass die Abwesenheit von Messen den Umsatz vieler Unternehmen nicht beeinträchtigt hat. Man konnte noch etwas mit den Reserven «cruisen». Aber wenn es tatsächlich wieder losgeht, kann man nicht einfach zuwarten und zuschauen. Unternehmen, die Messen ignorieren, werden ins Hintertreffen geraten. Denn bei Messen geht es nicht nur um fortgesetzte Verkäufe an bestehende Kunden, sondern auch potenzielle Verkäufe an neue Käufer, die mit ihren derzeitigen Anbietern unzufrieden sind, sowie natürlich um Käufer, die von einem neuen Angebot angezogen werden. Die «neue Reisewelt» kennt noch keiner so genau, deshalb ist Live-Austausch so wichtig, sowohl B2B als auch B2C. Die Vorteile einer Messeteilnahme sind also eigentlich unverändert. Gewiss: Treffen, die in erster Linie der Fortbildung dienen, werden häufiger virtuell stattfinden. Die Vorteile von persönlichen Treffen, also klassisches Networking, sind jedoch unbestritten lebenswichtig.

Wir vermuten also eine Redimensionierung: Weniger Messen, kleinere Messen, dafür fokussierte Messen. Das wird für viele MICE-Anbieter hart. Und vielleicht gilt ja auch da: Wer wagt, gewinnt.