Tourismuswelt

Bargeldlose Zukunft: Hoffnung und Hindernisse

Fabio Carvalho

Der Weg in eine bargeldlosen Gesellschaft ist keine Einbahnstrasse. Für Verbraucher ist eine Zukunft ohne Münzen und Banknoten komplexer, als es der digitale Fortschritt während der Pandemie vermuten lässt.

Sie werden an Supermarkttheken, Stadiontoren und Kassen von Spendenorganisationen (um nur einige zu nennen) installiert. Ihre mobile Version gehört zur Standardausrüstung der Pizzalieferanten. Seit COVID-19 die Welt im Griff hat, werden Point-of-Sale-Terminals (POS) als eine Möglichkeit angesehen, das Virus in Schach zu halten. Der NFC-Chip auf der Kredit- oder Debitkarte erledigt den Geldtransfer ohne direkten Kontakt.

Laut einem kürzlich veröffentlichten Bericht des Economist Intelligence Unit (EIU) mit dem Titel «Digitaler Aufbruch – Bezahlen in der Nach-Covid-Welt» ist «kontaktloses Bezahlen, dessen Einführung vor der Pandemie schleppend war, angesichts der Befürchtungen, dass das Virus durch den Umgang mit Geldscheinen verbreitet wird auf dem Siegeszug.» Der Quick-Response (QR)-Code ist quasi das Symbol der neuen Welt.

Trotzdem sind die Tage der globalen Bargelddominanz nicht vorbei, auch wenn Kryptowährungen - die nur deshalb wertvoll sind, weil an ihre Zukunftsfähigkeit geglaubt wird und weil sie in Banknoten eingetauscht werden können - wie Bitcoin oder Ethereum weiterhin haussieren. Spätestens bei Fernreisen stossen Infonauten und Krypto-Jünger aber an ihre Grenzen.

Ein Tourist aus Europa, der nach China reist, dem Pionierland der Super-Apps und Online-Bezahlmethoden wie AliPay, wird um die offizielle Papierwährung Renminbi nicht umhin kommen, weil er keine chinesische Sim-Karte in seinem Smartphone installiert hat. Dies ist jedoch die Voraussetzung für kontaktlose Bezahlmöglichkeiten im Reich der Mitte.

Dasselbe gilt für chinesische Reisende, die Europa besuchen, da sie Samsung Pay selten kennen. Oder die Geschäftsfrau aus Kenia, die nach London fliegt: Während sie in der Heimat mit M-Pesa des Telekomriesen Safaricom bezahlt, dem erfolgreichsten mobilen Geldtransferdienst, sucht man diesen in Grossbritannien oder anderswo ausserhalb von Afrika vergeblich.

Selbst Nachbarländer sprechen verschiedene Bezahlsprachen. Die Instant-Pay-Anwendung TWINT ist ein Tool für das Smartphone, das speziell für das bargeldlose Begleichen von Rechnungen in der Schweiz, wie etwa an Parkuhren, Kiosken oder Billettautomaten angepasst wurde. In Deutschland dagegen ist Twint unbekannt. Dieses Potpourri an kostenpflichtigen Apps erinnert ein wenig an die Achtzigerjahre als sich PC-Nutzer mit einem Mosaik and Betriebssystemen herumschlagen mussten. Schlussendlich überlebten nur eine Handvoll, darunter Microsoft, Unix und Apples MacOS.

Mosaik für mobiles Bezahlen

In dem EIU-Bericht heisst es: «Das kartengesteuerte, kontaktlose Bezahlen wird in Amerika und Westeuropa rasant an Bedeutung gewinnen, wo auch Wearables für Verbraucher im Gegensatz zu Chip- und Pin-basierten Karten verkürzen kontaktlose Karten die Transaktionszeit bieten und sowohl Händlern als auch Kunden ein nahtloses Erlebnis liefern.»

Dies sind stellt eine Herausforderung für die Regulierungsbehörden dar. «Das Fehlen gemeinsamer Regulierungsstandards in geografisch angrenzenden Ländern, die möglicherweise zur Schaffung regionaler Monopole führen, ist ein damit verbundenes Problem», heisst es in dem EIU-Bericht weiter. Ausserdem: «Regulierungsbehörden sollen auf die Standardisierung von Technologien wie QR-Codes hinarbeiten, während auch Aufbau einer universell zugänglichen Zahlungsinfrastruktur wie die Unified Payments Interface (UPI) in Indien oder Brasiliens Pagamento Instantâneo Brasileiro (Pix).»

Monetäre Nebelwände

Diese Plattformen ermöglichen es privaten Unternehmen, sich an der Digitalisierungen zu beteiligen und geben der digitalen Wirtschaft zusätzlichen Auftrieb. Die Überwachung von Zahlungsplattformen durch Aufsichtsbehörden wie Zentralbanken oder Branchengremien (z. B. für die Versicherungsbranche) ist wichtig, um Fälle von Forderungsausfällen oder anderen Finanzaspekten zu identifizieren. Diese Probleme können durch Buy-Now-Pay-Later (BNPL)-Unternehmen oder spekulativen Handel mit dezentralisierten digitalen Währungen oder Ethereum ausgelöst werden.

Positiv hebt die EIU-Analyse den harten Wettbewerb zwischen digitalen Kreditgebern und konventionellen Banken hin. Doch hapere es hier und da an einer Innovationskultur und nachhaltigen Geschäftsmodellen. Laut einer Studie der Marktforscher von TopMobileBanks.com ist es nur 23 digitalen Banken in der EU (von Dutzenden) gelungen, in Bezug auf Kontoinnovation, Karteninnovation oder Kryptowährungen nachhaltig zu wachsen. In der Schweiz mit rund 8,5 Millionen Einwohnern konkurrieren digitale Banken wie Neon, Revolut oder Yapeal mit den Großbanken UBS und Credit Suisse um einen engen Kundenpool.

Onlinesicherheit

Das rasante Wachstum im E-Banking erfordert laut EIU höhere Speicherkapazitäten (Stichwort: Big Data) zur Absicherung des Kundenvermögens und höheren Risiken in Bezug auf Cyber-Sicherheit. Der jüngste Hackerangriff auf US-Kryptowährungskonten, bei dem Cyberkriminelle Krypto-Coins im Wert von über 600 Millionen US-Dollar (der Hacker hat das Geld inzwischen zurückgezahlt) von der dezentralen Finanzplattform Poly Network stahlen, hat erneut gezeigt, dass ein sicheres Geldtransfersystem das Make-or Break für E-Payment-Anbieter darstellt.

Laut der IBM-Studie «Datensicherheitskosten 2021» stiegen die durchschnittlichen globalen Schäden einer Datenschutzverletzung von Juli 2020 bis Juni 2021 um 10 Prozent pro Jahr auf 4,2 Millionen US-Dollar. Der Betrag mag für ein Blue-Chip-Unternehmen überschaubar sein. Diese Schadenssumme kann gleichwohl mittelständische Unternehmen in Schwierigkeiten bringen.

Für Regierungen bieten innovative Bezahlsysteme für das Smartphone die Möglichkeit, die finanzielle Inklusion in der Gesellschaft zu stärken und die wirtschaftliche Entwicklung voranzutreiben. Insbesondere in Entwicklungsländern können weite Bevölkerungsschichten ohne Bankkonto effektiver am Wirtschaftsgeschehen teilnehmen, siehe M-Pesa in Kenia. Die Privatwirtschaft wird von diesen neuen Möglichkeiten ebenso profitieren, die sich daraus ergeben.

Wer jetzt argumentiert, dass der Trend zum Home-Office die Bedeutung von Kartenzahlungen vermindere, weil Online-Zahlungen am Laptop oder zu Hause auf dem Smartphone die Zahlungsströme übernehmen, sei daran erinnert, dass sich der Trend bereits langsam wieder umkehrt. «Zurück ins Büro!» lautet oft die Parole, zumindest bei grossen Konzernen.

Das Homeoffice-Gerät unter Druck. Google machte deutlich, dass Mitarbeiter, die von zu Hause aus arbeiten, möglicherweise Gehaltskürzungen hinnehmen müssen. Und James Gorman, CEO der Investmentbank Morgan Stanley, wurde deutlicher: «Wer in Colorado sitzt und virtuell in New York arbeitet, wird kein Gehalt wie in New York City beziehen. Tut mir leid, das funktioniert nicht.»

Dies bedeutete und bedeutet immer noch gute Zeiten für technisch versierte Anbieter, die Zahlungen mit Karten, Smartphones oder Wearables akzeptieren. Schwere Zeiten brechen dagegen an, für Verkäufer, die nur Bargeld akzeptieren. Die Marktforscher der EIU kommen in ihrem Bericht derweil zum Schluss, dass die «Vorteile digitaler Zahlungssysteme gegenüber den damit verbundenen Risiken deutlich überwiegen».