Tourismuswelt
Kommentar Bitte etwas Koordination statt Hygiene-Theater
Jean-Claude RaemyEs gab einmal eine Zeit, da konnte ich zwischen Ländern herumreisen in einer Art, die kaum schwieriger war, als in Zürich mit dem Tram von A nach B zu kommen. Innerhalb Europas gab es so gut wie keine Grenzen mehr, für die USA gab es «Global Entry», mancherorts konnte man sich für eine schnellere Einreise registrieren, und dank dem Schweizer Pass gab es wenige Länder mit Visumsbeschränkungen. Und wenn man in ein solches reiste, gehörten die Warteschlange und der strenge Blick des Grenzkontrolleurs bei der Ankunft quasi mit zum Ferienerlebnis.
Doch seit inzwischen 1,5 Jahren hat die Welt einen gewaltigen Schritt zurück gemacht hinsichtlich der freien Mobilität. Reisewillige werden erdrückt von einer unglaublichen Menge an Papierkram, die inzwischen für fast jeden Grenzübertritt - zumindest wenn dieser per Flugzeug erfolgt - nötig ist. Manche Airlines versuchen in Absprache mit den jeweiligen nationalen Regierungen, «pre verification» anzubieten, also das Hochladen von Dokumenten wie Tests oder Impfbescheinigungen, welche die anschliessende Kontrolle verkürzen. Aber es ist immer noch ein mühsamer Prozess und für die meisten Grenzübertritte ist eine Face-to-Face-Interaktion erforderlich - in Zeiten von Personalkürzungen weiss man, was das heisst...
Ich bin auch während der Pandemie öfter mal gereist (und bis dato Corona-frei geblieben). Zwei Kern-Erkenntnisse sind mir dabei geblieben: Es mangelt an Kommunikation und es mangelt an Kooperation.
Beispiel Norwegen: Ich reise seit Jahren aus privaten Gründen mehrmals nach Norwegen. 2020 war ich erstmals nicht hingereist; ein ganz kleines Zeitfenster, da die quarantänefreie Reise möglich gewesen wäre, blieb leider ungenutzt. Nun erhielt ich eine neue Chance und buchte eine Reise für mich und meine minderjährige Tochter. Für mich als doppelt Geimpfter wäre die Reise kein Problem gewesen, doch die ungeimpfte Tochter stellte sich als vermeintliches Problem heraus - weil die Schweiz zwischen Buchungszeitpunkt und Abflug von «grün» auf «orange» (gleichbedeutend mit «rot») wechselte. Rückfragen bei Spezialisten und vor Ort in Norwegen brachten keine einheitliche Antwort dazu, was jetzt nötig und erlaubt sei. Irgendwann war klar, dass sie mit darf, doch eine Heimquarantäne von drei Tagen und wiederholtes Testing lag in der Luft. Bei der Ankunft in Oslo dann eine gewaltige Schlange; Geimpfte links, Ungeimpfte bzw. alle mit Kindern rechts. Irgendwann mal guckt sich der Grenzbeamte mein Zertifikat an und fragt nach dem Alter der Tochter (unter 12) und lässt uns rein. Ohne Test, ohne Quarantänepflicht oder weitere Einschränkungen. Warum war das trotz aufwändiger Recherche nicht vorher schon irgendwie klar kommuniziert? Das hätte mir viele Sorgen erspart.
Daher Erkenntnis 1 zur mangelnden Kommunikation: Wenn sich unterschiedliche Regierungsstellen gegenseitig «ergänzen» hinsichtlich Reisebestimmungen, wird es haarig. Im Falle von Norwegen musste man sich die Einreisebestimmung zwischen Publikationen des Gesundheitsministerium, des Aussenministeriums und der Regierungs-Website zusammenschustern und wurde bei Nachfragen gerne auch mal vom einen zum anderen verwiesen. Ist es wirklich nicht möglich, dass Regierungsstellen eine einheitlich, verständliche und auch einigermassen simple Regelung erlassen können? Und das betrifft nicht nur Norwegen - es ist ja nicht so lange her, als in der Schweiz der Blick und 20Minuten die Risikoländerliste des SEM mit jener des BAG verwechselten. Wenn Bürokratie auf Schnellschuss-Kommunikation treffen, ist der Salat angerichtet.
Lieber klare und verbindliche Regeln als unnütze Distanzierungslinien
Die Erkenntnis 2 wegen mangelnder Kooperation ergibt sich aus der Erkenntnis, dass immer noch ein heilloses Chaos bei den Bestimmungen herrscht. Das europaweit gültige Impfzertifikat hat zwar schon einiges an Abhilfe geschaffen, und doch sind kurzfristige Änderungen nicht auszuschliessen und die Regelungen im Land selber wechseln ebenfalls noch ständig, je nach Entwicklung der Lage.
Zudem hat sich die Impfung nicht definitiv als «Sesam öffne Dich» für freien Zugang in alle Länder erwiesen. Wegen infizierten Geimpften, der Frage nach dem Nutzen der Impfung gegenüber neuen Varianten und auch wegen der weiterhin mancherorts tiefen Impfquote hat sich die Impfung (noch) nicht als befreiende Lösung durchgesetzt. Einige Länder erlauben die Einreise nur noch für Geimpfte, andere scheuen sich davor, weil man damit grosse Bevölkerungs- sprich Kundengruppen vergraulen können. Das gilt im Kleineren auch für Kreuzfahrt-Reedereien, wo manche nur noch Geimpfte akzeptieren, andere nicht. Im Grossen wie im Kleinen gelten Regeln lokal bzw. bis auf den Betrieb heruntergebrochen, was viel Kommunikation erfordert.
Man wird den Eindruck nicht los, dass die Wiedereröffnung vielerorts voreilig geschah, mit unklarer Kommunikation und einem Sammelsurium von Systemen und IT-Lösungen, die nicht miteinander zu kommunizieren scheinen. Und das Ganze vor einer Art «Performance-Hintergrund» mit viel PR für vermeintliche Sicherheit: Schön in Szene gesetzte Flughafen-Reinigungsroboter, seitenweise Hygiene-Massnahmepapiere und Distanzierungs-Kleber am Boden, an die sich kaum jemand hält. Ein grosses «Hygienetheater».
Erforderlich für ein «new normal» mit einem Mindestmass an planbarer Mobilität sind staatliche Koordinierung, verbesserte Kommunikation sowie einfache, benutzerfreundliche IT-Lösungen für Registrierung und Austausch von Daten. Tourismus ist letztlich ein Business: Und übermässige Regulierung kann ein Business ersticken. Und so muss der weltgrösste Arbeitgeber Tourismus darauf hoffen, dass die Unmengen von Papierkram, die unzähligen unterschiedlichen Covid19-IT-Lösungen (man denke an all die Corona-Apps und sonstige Datensammlungstools) und das Regelchaos bald nur noch eine Erinnerung sind. Die wenigen Flüge, auf denen ich in den vergangenen Monaten sass, waren jeweils rappelvoll. Die Erholung des Tourismus wird kommen. Die Frage ist, wer am besten aufgestellt sein wird, um sofort davon profitieren zu können. Hint: Es werden nicht jene sein, die unüberwindbare bürokratische Mauern hochgezogen haben.