Tourismuswelt

Nicht nur das Virus gilt es anzupacken, sondern auch die Art, wie wir damit langfristig zu leben lernen. Bild: Clay Banks

Kommentar Ein Ampelsystem ist Pflästerlipolitik und keine Lösung

Jean-Claude Raemy

2020 glaubte die Weltöffentlichkeit, dass man das Coronavirus bald in den Griff bekommen werde. Im Sommer 2021 wissen wir, dass dies auf absehbare Zeit nicht der Fall sein wird. Das ewige Auf und Zu der Grenzen hat nichts zur nachhaltigen Lösung des Problems beigetragen. Die internationale Mobilität darf kein Spielball von Bürokraten mehr sein.

Die Stimmung im Reisesektor kippt wieder. Dies muss man aktuell nüchtern festhalten, nachdem noch wenige Wochen vor den Sommerferien die Stimmung sowohl bei Reisenden als auch in der Reisebranche dank tiefen Inzidenzzahlen, fortschreitender Durchimpfung und damit verbunden wieder deutlich mehr Reisefreiheiten für Schweizerinnen und Schweizer endlich wieder positiv war. Man dachte, die «Pandemie-Panik» sei überwunden, sogar die ungeliebte Risikoländerliste wurde zu einem «manageable detail» reduziert.

Doch in den vergangenen zwei Wochen stiegen die Fallzahlen innert Kürze europaweit wieder, in zahlreichen Feriengebieten wie auch an den Wohnorten vieler Reisenden, und schon wurde der kausale Zusammenhang zwischen Reisen und steigenden Inzidenzen in zahlreichen Medien breitgeschlagen. Obwohl in Deutschland die Risikosituation teils anders beurteilt wird als in der Schweiz, ist das Rauschen im deutschen Blätterwald hier unüberhörbar und manch einer weiss nicht mehr, ob Spanien nun ein Risikogebiet ist oder nicht. Die Info-Überflutung, dazu noch mit ständig wechselnden Infos, ist einfach nicht mehr «manageable».

Und was tut die Politik? Zuletzt schien die Schweiz einen sehr vernünftigen Weg zu gehen, löste sich von den im letzten Jahr noch verständlichen Panik-Reaktionen und zeigte einen Weg zurück in eine vernünftige Mobilität, beflügelt von tiefen Infektions-Zahlen im eigenen Land. Doch nun will die Corona-Taskforce des Bundes plötzlich ein Ampel-System analog der EU einführen? Die Unsicherheit hat deswegen auch die Reisebranche wieder voll erfasst.

Gewiss, manche Reisende bringen das Corona-Virus mit nach Hause, da muss man nichts schönreden. Es sind diejenigen, welche sich auf Reisen um gängige Sicherheitsmassnahmen foutieren, welche leider oft auch ungenügend eingefordert werden. Sehr oft sind offenbar  ungeimpfte junge Erwachsene betroffen, welche die neu gewonnenen Freiheiten etwas voreilig wieder voll und «ungeschützt» in Anspruch genommen haben. Hin und wieder stecken sich auch bereits vollständig Geimpfte an, jedoch in einer statistisch vernachlässigbaren Anzahl, welche die mediale Aufmerksamkeit zu diesem Thema eigentlich nicht verdienen. Kurz: Die gesundheitliche Angst vor Corona ist mehrheitlich verschwunden, doch das hat mancherorts zu vierten oder gar fünften Wellen geführt. Bei den Impfungen hat die Schweiz mehr oder weniger das herausgeholt, was möglich ist, die radikalen Impfgegner wird man nicht mehr umstimmen können. Und schon bald steht wieder die kalte Saison vor der Tür.

Kein Ampelsystem hat bisher neue Wellen vereiteln können

Wird ein Ampelsystem, wo sich Länder wöchentlich zwischen grün, orange, rot und weiteren Farbvariationen bewegen, hier Abhilfe schaffen? Mitnichten. Ampelsysteme sind rein bürokratische Instrumente, welche anhand irgendwelcher Gesamtinfektionszahlen darüber befinden, ob ein Land «ein Risiko darstellt» oder nicht. Es sind nicht die Länder per se, die ein Risiko darstellen, sondern das Verhalten der Personen vor Ort, ob Einheimische oder Reisende. Ausserdem ist die Einstufung nach gesamtem Land nichtssagend hinsichtlich dem Risiko in einer jeweiligen Aufenthaltsregion, wo möglicherweise die Inzidenz bei Null liegt. Ampelsysteme gibt es seit bald einem Jahr - neue Wellen wurden damit nicht verhindert.

Und dann gibt es noch die Steigerung mit der dauerhaft einheitlich roten Ampel. Das Verständnis geht mir komplett ab bei Ländern, die ihre Wirtschaft wegen einiger weniger Fälle immer wieder sehr aggressiv abriegeln und sich so weit isolieren, dass es selbst für ihre eigenen Bürger schwierig ist, aus dem Ausland nach Hause zu kommen oder im Inland zu reisen; Australien oder Neuseeland sind hierfür bekannte Beispiele. Nun zeigt sich ja gerade in Australien, dass die Infektions-Zahlen auch trotz der Abschottung in die Höhe schnellen. Oder anders formuliert: Bei der Einführung der strengen Abriegelungsmassnahmen ging es darum, die Bevölkerung und das Land vor dem Virus zu schützen, was zum damaligen Zeitpunkt vielleicht sinnvoll erschien, zumindest für Staaten mit gut kontrollierbarer Aussengrenze wie Australien oder Neuseeland. Vielleicht hätte es gar funktioniert. Doch man weiss inzwischen, dass Covid-19 extrem leicht übertragbar ist und sehr oft und sehr schnell mutiert, derweil sich die Menschenmassen selten in äusserster Konsequenz an Sicherheitsmassnahmen halten und vielerorts widerwillig («ich warte mal ab») oder überhaupt nicht geimpft wird. Deshalb wird Covid-19 bis auf Weiteres nicht «ausrottbar» sein.

Warum also ändern Regierungen ihre Strategien nicht und stellen sich auf diese Erkenntnisse ein? Die Situation hinsichtlich Ansteckungen wird man in nächster Zeit nicht dauerhaft in den Griff bekommen. Auch ein Ampelsystem wird daran nichts ändern - die Wellen werden vielleicht abflachen, danach aber vielleicht auch schnell wieder ansteigen. Will man die Grenzen wirklich immer wieder kurzfristig öffnen und schliessen? Die internationale Mobilität ist nicht nur ein frivoler Luxus reicher Ferienreisenden, sondern in der globalisierten Welt eine Grundbedingung für gedeihende Wirtschaft und angesichts von internationaler Arbeits-, Studien- und Familienmobilität eine Notwendigkeit, die man nicht auf lange Zeit einem solchen Hüst und Hott aussetzen kann. Man kann Länder nicht effektiv abschotten und noch viel weniger diese für ewig unter Verschluss halten.

Sprich: Es ist davon auszugehen, dass Corona als eine wiederkehrende und sich ständig verändernde Krankheit mit jährlich wechselnden Varianten angeschaut werden muss, bei der eine Impfung oder Tablette oder was auch immer erforderlich ist. Länder werden sich öffnen müssen, und zwar so, dass man eine Reise dorthin, aus welchem Grund auch immer, einigermassen vernünftig und verbindlich planen kann. Der beste Weg dazu ist, man muss es einfach so festhalten, die Impfung. An dieser Stelle sei allen Impfhysterikern gesagt: Heute ist Welt-Hepatitis-Tag. Immer noch sterben jährlich bis zu drei Millionen Menschen an dieser Krankheit. In Europa indes kaum jemand. Warum? Weil wir dagegen seit Jahren wirksame Impfungen haben. Und wenn man nach z.B. Kenia reist, hat man sich eben gegen Hepatitis zu impfen. Seit Jahren ist dies so und keiner fragte bislang jemals nach, was für ein Impfstoff verabreicht wird und wie viele Studien es dazu schon gab. Wieso sollte sowas nicht mit Covid-19 möglich sein, wogegen Heerscharen von Wissenschaftlern arbeiten?

Impfung muss gleichbedeutend sein mit Bewegungsfreiheit

Wir können also nur hoffen, dass die Regierungen es schaffen, die Bevölkerungen so schnell wie möglich zu impfen und die Gesundheitsdienste auf das vorzubereiten, was am Horizont zu sehen ist. Darauf sollte man sich konzentrieren und nicht auf unübersichtliche und wechselhafte Ampelsysteme, welche einer «Pflästerlipolitik» gleichkommen, aber im Grossen und Ganzen nichts dauerhaft zu verbessern imstande sind, wie uns die Beispiele zahlreicher Länder in den vergangenen Monaten zur Genüge gezeigt haben.

Die Wirtschaft - hierbei natürlich insbesondere die Tourismuswirtschaft im Allgemeinen, immerhin weltweit der grösste Arbeitgeber - wird nicht in der Lage sein wird, nochmals lange anhaltende negative Auswirkungen zu verkraften. Die Staaten selber auch nicht: Bislang hat gerade die Schweiz einen Top-Job gemacht und mit staatlichen Subventionen (Härtefallgelder), einer flexiblen Kurzarbeitspraxis und weiteren Rettungsaktionen hohe Arbeitslosigkeit und einen Totaleinbruch verhindert. Aber: Diese Kosten und zukünftigen Ausgaben können nicht auf unbestimmte Zeit verlängert werden, denn irgendjemand muss die Rechnung bezahlen! All dies wird vom Steuerzahler finanziert - wie lange noch?

Mit Ampelsystemen bleibt gerade die Reisebranche, Incoming wie auch Outgoing, bis auf Weiteres ein Härtefall und würde noch auf lange Zeit hin staatlich alimentiert bleiben müssen, oder aber eingehen und so Sozialkosten verursachen. Ausser jenen Wenigen, die es sich mit Staatsgeldern gemütlich machen, will das doch niemand, weder im Gastgewerbe noch bei Fluggesellschaften oder in der weitverzweigten Reisebranche. Diese tragen die Hauptlast der globalen Hüst-und-Hott-Corona-Bekämpfungsstrategie.

Die Schweiz hat zuletzt eine gewisse Risikobereitschaft gezeigt, die sich zwar in etwas steigenden Inzidenzzahlen, aber keiner merklichen Verschlechterung der Lage im Gesundheitswesen bzw. in der Bevölkerungsstimmung niedergeschlagen hat. Wir müssen darauf bauen, dass die Impfungen etwas bringen und die Lage gesamthaft nicht so bedrohlich ist, wie man uns weismachen will, weshalb man sich - europa- oder weltweit - konsequent auf Schutz und Pflege bedrohter Gruppen konzentrieren sollte und Geimpften/Genesenen und wohlgemerkt auch Getesteten weitreichende Freiheiten einräumen muss. Ich bin wegen dem Recht auf Unversehrtheit des eigenen Körpers gegen eine Impfpflicht, aber wer sich willentlich nicht impfen lässt, soll nichts von «Impfapartheid» schwafeln, sondern einfach da Ferien verbringen, wo dies so möglich/erlaubt ist.

Also: Hört bitte auf, die Ampeln willkürlich auf Rot zu stellen.