Tourismuswelt

Der Weg ist noch lang - aber je öfter wir uns das sagen, desto länger wird er. Bild: Ian Taylor

Kommentar Die Reisebranche braucht jetzt den Mut zum Optimismus

Jean-Claude Raemy

Es geht zurzeit wieder aufwärts mit den Buchungen. Natürlich ist man noch weit weg vom Status von 2019 - aber wenn nicht jetzt Optimismus verbreiten, wann dann?

Spüren Sie auch diese Aufbruchstimmung? In den vergangenen Tagen haben sich die Agenden wieder deutlich kräftiger mit Live-Events statt nur mit Webinar-Besuchen gefüllt. Travelnews schreibt immer öfter über Lockerungen statt über Grenzschliessungen. Und die Schweizer Bevölkerung scheint nun die wiedergewonnene Reisefreiheit ausnutzen zu wollen: Alle drei Schweizer Grossveranstalter - Hotelplan Suisse, DER Touristik Suisse und TUI Suisse - haben in den vergangenen Tagen über zuletzt deutlich wachsende Nachfrage informiert. Wörter wie «Comeback» und «Restart» machten die Runde.

Natürlich ist die Situation nicht von heute auf morgen wieder normal, und der steile Anstieg der Nachfrage in den letzten 2-3 Wochen macht die Einbrüche der ersten Jahreshälfte nicht gleich wieder wett. Es gibt immer noch «Damoklesschwerter» über der Reisebranche, in Form von neuen Virusmutationen, die mancherorts auftreten, von weiterhin langsam und kompliziert umgesetzten Lockerungsschritten in vielen Ländern, oder von anhaltenden kurzfristigen Flugplanänderungen. Und bereits hört man sie, die Kassandrarufe, die Unheil voraussagen und den Veranstaltern wie auch den Airlines vorwerfen, Zweckoptimismus zu verbreiten.

Ich frage jeweils zurück: Was ist an Zweckoptimismus falsch? Zweckoptimismus verfolgt nämlich durchaus positive Ziele: Im Fall der Reisebranche, die Lust der Reisenden wieder zu wecken sowie die Motivation und das Durchhaltevermögen der eigenen Mitarbeitenden zu steigern. Diese nun wachsende Zuversicht in der Öffentlichkeit muss man begleiten und pflegen. Das heisst nicht, dass man aus den vergangenen Monaten nichts gelernt hat: Es wird weiterhin vielerorts mit flexiblen Annullierungs- und Stornogebühren operiert und der Standard bei Reiseversicherungen, Pauschalreisen und Beratung vielerorts verbessert, weil die Kunden deren Nutzen wiederentdeckt haben. Warum sollte die Reisebranche nicht gerade jetzt also laut herausrufen, dass es wieder losgehen kann?

«Ja Herrgott, wenn die Reisebranche nicht ins Ausland reisen darf, wie soll sie denn Auslandreisen verkaufen?»

Ich muss sagen, ich staune manchmal schon, wie jede positive Meldung in Sozialen Medien gleich wieder heruntergezogen wird, und zwar nicht selten von Mitgliedern der Reisebranche. Thailand öffnet! - Das ändert eh nochmals... Die Airlines bauen ihre Ziele aus! Die annullieren eh die Hälfte wieder... Die Buchungen ziehen an! - Mal schauen wie nachhaltig das ist... Der SRV kündigt eine GV in Ras-al-Khaimah an! Das ist Umweltverschmutzung und unsolidarisch gegenüber der heimischen Hotellerie... Ja Herrgott, wenn die Reisebranche nicht ins Ausland reisen darf, wie soll sie denn Auslandreisen verkaufen? Und woher kommt diese Pflicht der Outgoing-Branche, der Incoming-Branche unter die Arme greifen zu müssen? Passiert ja umgekehrt auch kaum. Inlandtourismus war vielleicht während dem Lockdown eine Bürgerpflicht, ist es doch jetzt aber nicht mehr, und da darf man ruhig ein positives Signal auch in dieser Form aussenden - zumal übrigens die GV-Reise nicht mit Steuermillionen finanziert, sondern von den Teilnehmern aus eigenem Sack bezahlt wird. Und ja, es kann immer noch zu (Flug-)Planänderungen kommen, welche für die Reisebranche aufwändige Nachbearbeitung nach sich ziehen - doch will man kommunikativ wirklich darauf fokussieren statt auf wachsende Reisemöglichkeiten?

Die Corona-Pandemie hat von allen viel abgefordert. Dass die Nerven strapaziert wurden, liegt auf der Hand. Aber kümmern wir uns um die Probleme auf konstruktive Art. Ja, man muss Probleme angehen und diskutieren und konstruktive Kritik ist für das Weiterkommen im Business notwendig. Wissen Sie was? Die Probleme werden angegangen. Ja, der Tourismus hat auch seine Schattenseiten, gerade in Bezug auf Umweltthemen. Aber Airlines und Cruise-Unternehmen und auch Veranstalter arbeiten daran, in vielerlei Hinsicht und Art sich hier zu verbessern, das passiert nicht von heute auf morgen und sollte auch mal anerkannt werden. Overtourism wollen die wenigsten, auch daran wird gearbeitet, der «Corona-Reset» hat ja hier Möglichkeiten geboten, sich mal zu hinterfragen. Wie wär's, wenn man auch der Reisewelt mal zugesteht, dass das Glas halbvoll ist? Optimismus und Realismus schliessen sich nicht gegenseitig aus! Also bitte auch innerhalb der Branche etwas Zuversicht versprühen!

Die Schweiz hat an der EM zuletzt schlecht gespielt, keine Frage, doch die Kausalität zwischen der Frisur und der Leistung der Spieler ist nichts anderes als Boulevard und hilft in keiner Weise daran, irgendwas zu verbessern. Auf die Reisebranche übertragen will ich damit sagen: Es gilt weiterhin, die Probleme anzupacken, im Bereich der Flexibilität, der Nachhaltigkeit, der Entlöhnung etc. - das sollte mit einem Spirit des Aufbruchs angegangen werden, ohne sich über Nebenschauplätze wie den Austragungsort der SRV-GV zu erhitzen. Es soll mal jeder bei sich selber anfangen und sich fragen, ob man genügend dazu beiträgt, auch die schönen Seiten des Reisens in den Vordergrund zu stellen. Wir verkaufen das schönste Gut der Welt, Ferien, also sollte man auch nach aussen sichtbar und über alle Mitglieder der Wertschöpfungskette übergreifend aktiv dazu beitragen, etwas zu einer positiveren Stimmung hinsichtlich den Auslandreisen beizutragen. Die Politik im In- und Ausland hat uns genug lang den Schwarzen Peter zugesteckt während der Pandemie. Beim Reisen ist es wie mit der Impfung: Wer nicht will, muss nicht, aber wer will, sollte dürfen und können. Die Risikoländerliste fällt nun weg, die Grenzen öffnen vorsichtig, die Covid-Zertifikate sind bestellbar, es geht in die richtige Richtung. Freuen wir uns doch mal einfach darüber.