Tourismuswelt

Echt oder nicht? Was gilt, was nicht? Es ist dringlich, allgemeingültige und fälschungssichere Zertifikate zu haben. Bild: AdobeStock

Kommentar Droht wegen gefälschten Zertifikaten im Sommer ein Reisechaos?

Jean-Claude Raemy

Den PCR-Test mal eben kurz kaufen? Ein Impfzertifikat im Darknet erstehen? Der Markt für gefälschte Reisehilfen floriert. Die EU ist alarmiert.

Zu den von der Coronavirus-Pandemie hervorgerufenen Reisebeschränkungen gehört, dass man sich inzwischen praktisch bei jeder Reise über eine durchgeführte Covid-Testung oder auch eine Covid-Impfung ausweisen muss. Die Testanbieter sind sauber beaufsichtigt und unterliegen strengen Regeln für die Ausstellung von Testzertifikaten. Dasselbe gilt natürlich für das Ausstellen von Impfnachweisen. Und doch gilt: Wo ein Markt, da ein Gauner. Die Meldungen über gefälschte Testzertifikate nehmen zu.

Man hört etwa Geschichten von Reisenden, denen in Mexiko am Strand für umgerechnet 50 Franken negative PCR-Testzertifikate angeboten wurden. Man hört auch von Reisenden, die solche gekauft haben und damit erfolgreich in die Schweiz heimgekehrt sind. Es gibt eben mindestens gleich viele unterschiedlich aussehende Testnachweise, wie es auch Labors gibt. Und die Nachweise sind nicht immer fälschungssicher.

Das gilt auch für den EU-Impfpass, der aktuell in Planung ist. In diversen Medienberichten wurde nachgewiesen, dass dieser bei Weitem nicht fälschungssicher sei: Die im gelben Impfpass eingetragenen Impfnachweise sollen nämlich umstandslos in Arztpraxen, Impfzentren oder in Apotheken auf den neuen EU-Impfausweis übertragen werden können. Dieser Nachweis wäre leicht zu fälschen - dies, auch wenn die Informationen in einen digitalen Impfpass übertragen werden, wie Hackerorganisationen mitgeteilt haben. Und es ist davon auszugehen, dass es bei der flächendeckenden Lancierung des Impfpasses zu Fälschungen kommen wird.

Es steht einiges auf dem Spiel. Länder wie Spanien oder Griechenland, die am schnellen Ausrollen des EU-Impfpasses das grösste Interesse haben (natürlich um ihre Sommer-Reisesaison einigermassen zu retten) haben argumentiert, dass Inhaber des Impfpasses innerhalb der EU Reisefreiheit geniessen müssten - ohne weitere Coronatests oder Quarantänen. Doch sollte der Impfpass tatsächlich der goldene Schlüssel für das freie Reisen sein, dann haben Tausende Menschen grossen Anreiz, hier mit Fälschungen zu operieren - weil sie sich nicht effektiv impfen lassen wollen oder weil sie die Gelegenheit dazu bis zum Sommer schlicht nicht haben. Gerade viele Jüngere könnten nicht rechtzeitig über die legale Impfbescheinigung verfügen und damit eingeschränkt bleiben für Reisen, möglicherweise auch für Studienaustausche, Trainingslager etc.

Deshalb gibt sich die EU übrigens auch sehr vorsichtig damit, Geimpften gegenüber Ungeimpften irgendwelche Vorteile einzuräumen, weil dies möglicherweise einer Diskriminierung gleichkommt. «Nicht geimpft» heisst ja nicht immer, dass man auch Impfgegner ist, sondern schlicht wegen behördlicher Einschränkungen nicht dazu kam. Doch wenn die EU jetzt noch Sicherheitslücken schliessen muss (zum Beispiel durch fälschungssichere Chargennummern der Impfstoffhersteller, die digital erfasst werden könnten), dann wird das nochmals eine Weile dauern und somit wieder die Auseinandersetzung um Reise-Privilegien zwischen Geimpften und Ungeimpften anheizen.

Parallel dazu arbeiten aber immer noch zahlreiche Länder an eigenen Impfpässen, denen auch jeweils unterschiedliche Regeln über zulässige Personengruppen, zulässige Impfstoffe und Zertifizierungsmethoden zugrunde liegen. Da sind Zertifikate mal in Papierform, mal digital vorhanden. Wie sollen da die Grenzbeamten noch den Überblick behalten? Je mehr unterschiedliche Zertifikate es gibt, desto einfacher ist der Betrug mit gefälschten Zertifikaten.

Gründlichkeit vor Schnelligkeit?

Dieses potenzielle Zertifikate-Chaos schafft auch Probleme für die Reisebranche. Diese will ja möglichst gleich lange Spiesse für die gesamte Kundschaft und will diese auch möglichst klar informieren können, doch aktuell ist die Lage hinsichtlich Impfausweisen bzw. deren Akzeptanz pro Land komplett unübersichtlich. Natürlich riskieren Reisende mit gefälschten Dokumenten sehr hohe Bussen - aber wenn man die Kontrolle der Dokumente den Fluggesellschaften bzw. den Groundhandlern im Zielgebiet überlässt, ist das Risiko überführt zu werden relativ gering.

Kommt hinzu, dass Fälschungen bereits im Umlauf sind. Auf Mallorca wurde bereits ein Arzt überführt, welcher Covid19-Dokumente für deutsche Touristen ausstellte, die er nicht mal zu Gesicht bekommen hatte. Ebenfalls auf Mallorca wurde ein Apotheken-Angestellter überführt, der falsche negative Testresultate für Marokkaner ausstellte und damit nebenbei ein einträgliches Geschäft machte. In Grossbritannien und Israel, den aktuellen «Impf-Champions», sind ebenfalls schon gefälschte Impfkarten aufgetaucht. Und unser Redaktions-Spamordner ist auch schon voll mit Mails, in denen uns Covid-Tests ab 3 Euro angeboten werden...

Fälschungen hat es zu jeder Zeit und zu jedem Dokument gegeben. Es sollte doch aber im digitalen Zeitalter möglich sein, fälschungssichere und international gültige Dokumente herzustellen. Die Frage ist nur noch, ob die EU bzw. die europäische Staatengemeinschaft als Ganzes dies bis zum Sommer hinkriegt. Da darf man wohl skeptisch sein. Doch selbst wenn die Zeit aus Sicht von Reisenden und der Reisebranche drängt: Die Einführung solch wichtiger Impfzertifikate, die ja als Ergänzungen zum Reisepass gelten, darf nicht überhastet getätigt werden, ansonsten droht erst recht ein grosses Chaos.