Tourismuswelt

Prof. Dr. Roland Conrady und Thomas P. Illes anlässlich des StudyTrip@Sea ashore am BZLU Bildungszentrum Luzern. Bild: zVg

«Ein Reiseveranstalter ist gut beraten, wenn er aus den neuen Trends Geschäfte macht»

Unter dem Motto «Tourismus ist tot, lang lebe der Tourismus!» fand kürzlich am BZLU die erste Lunch Break Session mit drei Experten aus der Touristikindustrie statt. Dabei ging es um Fragestellungen, wie sich der Tourismus durch Corona verändert hat, was Nachhaltigkeit künftig für eine Rolle spielt und wie wichtig das Anpassen auf Veränderungen für Unternehmen ist.

Brauchen wir den Tourismus nach Corona noch so, wie er einmal war? Wird das Reisen zukünftig zwingend teurer? Hat der Tourismus aus der Krise gelernt? Diese und weitere Fragestellungen wurden am 23. April an der ersten Lunch Break Session des Bildungszentrums Luzern gemeinsam mit den Studierenden diskutiert. Mit an Bord waren nebst dem Moderator Thomas P. Illes, Unternehmens- und Kommunikationsberater, Dozent an diversen Hochschulen sowie ITB Moderator und Seminarleiter am BZLU auch Prof. Dr. Roland Conrady aus Frankfurt. Er lehrt und forscht an der Hochschule Worms und ist seit 18 Jahren wissenschaftlicher Leiter des ITB Berlin Kongresses. Prof. Dr. Peter Greischel von der Hochschule München lehrt seit 2 Jahrzehnten an der Fakultät für Tourismus und war ebenfalls mit an Bord. Nachfolgend eine Zusammenfassung der wichtigsten Erkenntnisse aus dem Talk unter dem Motto «Tourismus ist tot, lang lebe der Tourismus!».


Thomas P. Illes: Wollen bzw. brauchen wir, wenn die Zeiten von Corona dereinst vorbei sind, den Tourismus überhaupt noch so, wie er vorher war?

Roland Conrady: Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Local Backyard Travel, Autonomie, Sicherheit, Gesundheit, Hygiene. Tourismus wird niemals tot sein, Menschen sind immer schon gereist, Reisen ist ein archetypisches menschliches Verhalten. Es ist tief in unserer Genetik. Wir werden auch in Zukunft reisen. Aber wie? Sind bestimmte Segmente des Tourismus tot? Freizeit-Reiseaktivitäten werden schnell wieder so sein wie vorher. Geschäftsreisen sind etwas anderes. Es gibt bereits Studien, die analysieren, welche Aspekte am Geschäftsreise-Segment durch Videokonferenzen ersetzbar sind. Es gibt durchaus Aspekte, die auch in Zukunft menschlichen Kontakt benötigen.

Natürlich wird es Veränderungen geben. So ganz anders wird die Welt nach Corona aber auch nicht sein. Wir erleben Katalysator-Effekte. Tendenzen und Trends werden sich verstärken, die Digitalisierung zum Beispiel.

Müssen wir uns denn Sorgen machen im Tourismus?

Roland Conrady: Ich kann nur hoffen, dass die Menschen nicht einfach wieder alles wie vorher wollen. Nachhaltigkeit ist von Corona unabhängig. Da muss noch mehr geschehen. Das Thema wird auch wichtiger, auch international. Ich habe auf der ITB viele CEOs sagen gehört, Nachhaltigkeit sei ein relevantes Thema. Und das von Branchen, die ums Überleben kämpfen, so auch von Airlines. Das hätte ich nicht in einem solchen Ausmass erwartet.

Ist das nur PR oder sind solche Aussagen ernst zu nehmen?

Roland Conrady: Es ist vermutlich eine gehörige Portion Werbung dabei. Heute muss man das ernst nehmen. Ich bin aber sicher, dass die Firmenchefs erkannt haben, dass sich der regulatorische Rahmen geändert hat. Den Klimawandel zu negieren ist wirtschaftliches Harakiri. Also ist es schon aus wirtschaftlichen Eigeninteressen klüger, auf Nachhaltigkeit zu setzen.

«Den Klimawandel zu negieren ist wirtschaftliches Harakiri.»

Wird das Reisen dann zwingend teurer?

Roland Conrady: Man sieht unterschiedliche Effekte. Wenn wir eine CO2-Steuer bekommen, dann wird das an den Kunden weitergegeben, und dann gibt es nachfrage-dämpfende Effekte. Weniger Nachfrage heisst auch weniger CO2. Aber gleichzeitig haben wir starke Triebkräfte, dass es nicht dahin kommt - die Airlines möchten die Nachfrage hochhalten. Und wir wollen ja auch nicht, dass Reisen nur etwas für die Reichen ist. Ich persönlich glaube, dass es schwer werden wird, Reisen immer noch billiger zu machen.

Peter Greischel: Wir werden uns genau mit diesen Felder beschäftigen: Wir erzielen Fortschritte, haben aber auch höhere Kosten. Es gibt Spannungsfelder. Wir haben im Tourismus all diese Kapazitäten (Hotels, Schiffe, Flugzeuge). Es gibt also einen gewissen Sachzwang, dass alles wieder in den gewohnten Weg zurückgeht. Von der politischen Ebene kommt aber Druck, in ein nachhaltigeres Fahrwasser zu kommen.

Haben wir da nicht eine Verantwortung, wenn wir zukünftige Tourismus-Profis ausbilden?

Peter Greischel: Die Studierenden haben mehr Interesse am Thema. Das ist die gute Nachricht. Und es ist unsere Aufgabe als Hochschulen, diese Einstellungen massiv zu fördern und weiterzuentwickeln.

Roland Conrady: Zu den wichtigsten Trends der ITB: Local Backyard Travel und Domestic Tourism hat sich auch schon vor Corona abgezeichnet. Das Thema Autonomie / Autarkie wird auch immer wichtiger – da profitieren Anbieter von Ferienwohnungen, Campingplätzen, Bauernhöfen, kleinen Hotels, Yachten, etc. Der Städtetourismus wird vorerst zurückgehen – da ist man in Zeiten der Pandemie ein bisschen ängstlicher geworden, was Menschenmengen angeht. Wie das langfristig aussieht, weiss keiner. Aber die Menschen haben durch die aufgezwungenen Änderungen des Verhaltens auch anderes kennen und eben auch schätzen gelernt. Man merkt plötzlich, dass es auf dem Campingplatz auch toll ist. Wohnmobile bekommt man gar nicht mehr in weniger als einem Jahr. Und wer jetzt eins kauft, nutzt es dann auch ein paar Jahre. Das ergibt auf der anderen Seite einen Verlust.

Gewisse Reisekonzerne stellen sich jetzt auch neu auf. Ein Reiseveranstalter ist gut beraten, wenn er aus den neuen Trends Geschäfte macht. Das ist aber nicht so einfach. Ich erwarte, dass sich die Reiseveranstalter darauf einstellen.

«Die Studierenden haben mehr Interesse am Thema.»

Wäre der Tourismus tot, wenn wir das mit dieser Pandemie nicht hinkriegen?

Roland Conrady: Das ist ein Horror-Szenario, das würde sicher nicht spurlos am Tourismus vorbeigehen. Im Moment ist das politische Narrativ: Reisen ist ein Superspreader-Event. Das ist eine arge Verkürzung, die ich nicht verstehe. Wenn dieses Horror-Szenario, das ich für unrealistisch halte, eintritt, dann wird mir angst und bange. Ich vertraue aber auf die Menschheit, sie wird zu Lösungen kommen. Wir werden auch zunehmend eine Diskussion führen müssen, ob sich die Freiheitseinschränkungen für Geimpfte durchstehen lassen.

Es ist grundsätzlich schon auch Optimismus spürbar, auch wenn viele Leute und Firmen existenzielle Sorgen haben. Reisen ist ein menschliches Grundbedürfnis. Der Optimismus manifestiert sich übrigens an der Börse. Das ist der Beweis für den Optimismus. Natürlich kann man das nicht 1 zu 1 übertragen, aber es ist ein Stimmungsindikator.

Peter Greischel: Grundsätzlich sind auch unsere 1200 Studierenden optimistisch. Wenn die Branche des Tourismus nicht mehr optimistisch ist, wer soll es dann sein? Man sollte dran glauben, und ich denke, es ist sehr viel mehr als Zweckoptimismus.

Hat der Tourismus aus der Krise gelernt?

Peter Greischel: Die Branche hat gelernt, weil ihr nichts anderes übrigblieb. Sie wird aber noch ein paar Jahre zu kämpfen haben.

Roland Conrady: Ich kann mir keine Welt vorstellen, in der nicht mehr gereist wird. Aber Fazit: Corona hat die Reisewelt nicht komplett verändert, sondern vorher bestehende Tendenzen beschleunigt. Da entstehen neue Kaufentscheidungs-Kriterien. Man ist zum Teil gerechtfertigt optimistisch in der Branche. Es wird in Zukunft ja auch mehr Menschen und mehr Wirtschaftsleistung geben auf der Welt.

«Ich kann mir keine Welt vorstellen, in der nicht mehr gereist wird.»

Thomas P. Illes fügte an, dass Nachhaltigkeit ein absolut elementares Thema sei, das Thema auch den Studierenden des BZLU sehr am Herzen läge und nachhaltige Lösungen auch im Tourismus wohl schneller gefunden werden müssten, als gewissen Branchenteilnehmern vielleicht lieb sein mag. Gleichzeitig gab er zu bedenken, dass sich der Begriff Nachhaltigkeit sowohl auf eine ökologische als auch ökonomische und soziale Komponente beziehe.

Und da, so der Branchenkenner, der unter anderem auch Reedereien, Werften und die maritime Zulieferindustrie berät, wird es schnell komplexer, als sich das manche womöglich vorstellen. Nichtsdestotrotz bleibe zu hoffen, dass Corona ein notwendiges Umdenken und konkrete Lösungsansätze forcieren möge. Junge Nachwuchstalente unter anderem auf diese kommenden komplexen Herausforderungen vorzubereiten sei eine der zentralen Aufgaben von Bildungseinrichtungen wie dem BZLU. Dem stimmten Prof. Dr. Roland Conrady und Prof. Dr. Peter Greischel unisono zu.

(NWI)