Tourismuswelt

Kommentar Das hat uns an der ITB Now gefehlt
Jean-Claude RaemyDie erste völlig virtuelle Austragung der weltgrössten Tourismusmesse, die «ITB Now», ist immer noch in Gang - allerdings wie üblich mit bereits reduziertem Programm und weniger genereller Aufmerksamkeit am Messe-Freitag. Auch Travelnews hat sich in das eine oder andere Format auf der «Platform» eingeklinkt und in «Brand Cards» reingeschaut. Und wir waren eher lauwarm begeistert.
Zum einen: Es gibt Inhalt, und es gibt Form. Messen sollten darauf erpicht sein, hierbei den idealen Mix zu erzielen. Man wird aber das Gefühl nicht los, dass hier unbedingt das gesamte Programm der «Live-ITB» auf eine digitale Plattform gepresst werden sollte. Mit dem Resultat, dass es zwar eine enorme Fülle an Content gab, aber sehr oft eben kurze, 15-minütige Interviews und Präsentationen, welche die Zuhörerschaft hungrig nach mehr hinterliessen und während denen die zahlreichen per Chat gestellten Fragen in der Regel nicht adressiert werden konnten. Es ist schon klar, dass für gewisse Inhalte stündige Online-Formate schlicht nicht attraktiv genug gewesen wären. Das ist manchmal schon in Berlin grenzwertig, doch hat man dort den Vorteil, Präsentatoren und Teilnehmende live zu sehen, was Möglichkeiten für Vertiefungen und Networking direkt vor oder nach der Präsentation erlaubt. Kurz: Die unilaterale Präsentationsform ist ein Problem.
Dazu kommt, dass man damit eben auch nur das hört, was die Präsentatoren sagen wollen. Die Hoffnung auf ein einigermassen funktionierendes Sommergeschäft oder zumindest ein wieder deutlich besseres Q3 und Q4 prägte die ITB-Reden zahlreicher Topshots. Aber hören wir das nicht schon ununterbrochen seit zwölf Monaten, dass die Buchungen bald wieder ansteigen? Während die Inzidenzzahlen in der Schweiz und in Deutschland in diesen Tagen wieder ansteigen und sich eine dritte Welle abzeichnet, scheinen die Prognosen jedenfalls gewagt. Doch was wollen die Manager auch anderes predigen? «Unser touristisches Programm für den Sommer 2021 ist so stark wie nie zuvor», verspricht Lufthansa-CCO Harry Hohmeister, «wir wissen, dass die Nachfrage stark steigt, sobald Reiserestriktionen fallen.» So plant die Lufthansa Group in der Hochsaison von Juli bis September zwischen 60 und 70 Prozent der Flugkapazitäten von 2019 wieder anzubieten. Was das Streckennetz und die Flugziele angehe, sei man sogar wieder bei 100 Prozent - was in der Praxis so aussieht: statt nonstop von Zürich nach Sevilla oder von Frankfurt nach Athen müssen dann Umsteigeverbindungen über einen der vier Hubs Frankfurt, München, Wien oder Zürich herhalten. Dies lediglich als Fallbeispiel, es gibt natürlich weitere Beispiele aus allen Branchen und bei diversen anderen Firmen...
Was war bloss mit der Technik?
Ebenfalls ein Problem gab es mit der Technik. Nun ja, am ersten Tag, als wohl die gesamte Reisewelt mal einen ersten Blick auf die ITB-Reisewelt erhaschen wollte, brach das System gleich mal zusammen. Da gibt es dann keinen Plan B, wie wenn die Technik am Live-Event versagt und einfach lauter gesprochen wird oder irgendeine Überbrückung mit Smalltalk erfolgt: Man hört und sieht schlicht nichts mehr.
Abgesehen von der ersten Panne muss ich zwar zugeben, dass bei den von mir in den vergangenen Tagen verfolgten Inhalten eigentlich immer alles lief. Aber man hört, dass es doch mehrere weitere Zusammenbrüche gab, trotz dem hochgepriesenen Amazon-Cloud-System mit der riesigen Streaming-Kapazität. Ebenso gab es offenbar grosse Probleme mit dem streng kontrollierten Access: Zu Beginn wurde bei jedem Einloggen auf die Plattform nach der Mail-Adresse gefragt und an diese dann ein vierstelliger Zugangscode geschickt - so liess sich der Mehrfachzugang über eine Mail-Adresse kontrollieren. Mit dem Nachteil, dass es offenbar vielerorts zu grossen Problemen kam, wodurch dann teils auch der Zugang zur Plattform verweigert wurde. Und man weiss ja von der Online-Welt, wie es ist: Wenn es nicht klappt, wird weggeklickt. Manch einer hat wohl das Handtuch nach zeitverschwenderischen mehrmaligen Access-Versuchen geworfen, derweil die Präsentatoren weniger Zuhörer als wohl geplant hatten, zumindest am ersten Tag. Denn offenbar wurde das Problem von den IT-Verantwortlichen angepackt: Ab Tag 2 konnte ich jedenfalls bei jedem neuen Zugriff auf die Plattform auf das Code-Spielchen verzichten, war also sofort mittendrin. Immerhin.
Denglisch ist einfach schrecklich
Bei den Gesprächen an der ITB spricht man entweder in der Muttersprache eines der Teilnehmenden, oder dann eben Englisch. Die ITB Now baute zwangsläufig vollständig auf Englisch. I don't mean to be picky, aber... das Englisch-Niveau war teils schon recht dürftig, was für holprige Präsentationen sorgte, die wenig authentisch rüberkamen, gerade wenn zwei Personen mit deutscher Muttersprache sich in angestrengtem Englisch unterhielten. Manchmal wurde auch klar und deutlich von irgendeinem Blatt unterhalb des Screens abgelesen, was beim Format der Online-Präsentation bald mal zum Abschalten der Hörer führt. Und während «Denglisch», also das klar Deutsch gefärbte Englisch, in einem Gespräch unter vier Augen normal ist und sogar nett rüberkommt, ist es in einer globalen Präsentation irgendwie befremdlich - und klar betrifft dies auch andere Formen des sprachlich eingefärbten Englisch. Oder anders formuliert: Was sich in einer Live-Präsentation noch mit Charme und Persönlichkeit überdecken lässt, bauscht sich in einer Online-Präsentation, die in stillen Räumen zuhause oder im Büro verfolgt werden, zu einem störenden Faktor auf.
Und ja, verzerrte Bilder wegen einem möglichst firmenkonformen Zoom-Hintergrund lenken ebenso von den Inhalten ab wie unmotivierte, ungepflegte Auftritte, von welchen es doch den einen oder anderen gab. Man denke etwa an TUI-Chef Fritz Joussen, der mit weissem Hemd vor weissem Hintergrund wie irgendein Grossvater aus der Ferne rüberkam.
Fazit
Wir wollen mal nicht zu streng sein. Es gab technische Probleme, die wurden in den Griff gekriegt. Für die Qualität und Aussagekraft der Inhalte ist die ITB letztlich nicht verantwortlich, und das auf die Beine gestellte Programm war in der Breite wirklich eindrücklich und so liessen sich zahlreiche Topshots mal wenigstens live am Bildschirm erleben.
Allerdings: Ist man vor Ort in Berlin, ist man mehr oder weniger eine Woche lang mit Haut und Haaren in der ITB drin, von frühmorgens bis in die Nacht. Bei diesem Format liess sich natürlich Cherry-Picking hinsichtlich der Inhalte und auch der Meetings betreiben, dazwischen der Gang zum Kühlschrank im Home Office und das Abschalten, weil man ja in Kurzarbeit ist und ohnehin nicht die ganze Zeit über teilnehmen kann. Auch dafür kann eine ITB letztlich nichts. Von da her betrachtet finden wir, es war mal einen Versuch wert - und gewiss lassen sich für die Zukunft auch Rückschlüsse ziehen, wie man einen Teil der Inhalte in den Digitalbereich überführen kann und damit die ITB stärkt. Allerdings zeigte sich auch klar, dass eine rein virtuell betriebene ITB einfach nicht das ist, was diese auf Emotionen und Humanfaktoren aufgebaute Branche wirklich will und braucht. Wir nehmen gerne wieder Schwielen an den Füssen, Augenlider wie Fiakerabdeckungen und fünf Tage Stress, für die man sich gerade mal mit einer Currywurst belohnt, in Kauf. Und erhalten dafür im Gegenzug wieder die Chance auf echtes Networking, auf Gespräche unter vier Augen, zwischendrin auf dem Gang oder vor dem Brezelverkäufer, auf ein «Touch & Feel», welches unsere Reisebranche zu dem gemacht hat, was sie ist - und diese auch in Zukunft noch weiter prägen wird.