Tourismuswelt

Jon Andrea Florin will nicht nur eine Diskussion über Nachhaltigkeit, sondern auch Taten Nachhaltigskeits-Taten ermöglichen. Bild: zVg

«Die Swisstainable-Strategie geht in die richtige Richtung»

Jean-Claude Raemy

Jon Andrea Florin, Geschäftsleiter des Vereins Fairunterwegs, äussert sich zum Einfluss der Pandemie auf die Nachhaltigkeits-Diskussion und warum die deutlich zurückgegangene Reisetätigkeit für Fairunterwegs bei Weitem kein Grund zur Freude ist.

Herr Florin, die touristische Nachhaltigkeits-Diskussion ist auch 2021 etwas im Hintertreffen wegen Corona. Oder täuscht dies nur?

Wir sehen die Sache zwiespältig: Einerseits will die Tourismuswirtschaft aus begreiflichen Gründen so schnell wie möglich zurück ins alte Normal und die Reisenden wollen endlich wieder weg. Gleichzeitig ist den meisten Touristikerinnen und Touristikern klar, dass ein auf billig getrimmtes Wachstum-Geschäftsmodell auf so wackligen Füssen steht wie ein Schneemann bei Klimaerwärmung. Und auch die Reisenden verspüren zunehmend ein Unwohlsein bei der Schnäppchenjagd im Massentourismus.

Ich höre derart oft Tourismus zusammen mit Nachhaltigkeit, dass ich meinen Ohren nicht mehr traue: Zum Beispiel die Swisstainable-Strategie. Cool! Geht in die richtige Richtung. Wie griffig die Strategie umgesetzt wird und ob es tatsächlich gelingt, bis 2023 über 4000 Betriebe und Organisationen einzubinden, wird sich zeigen. Fürs Erste sind wir erfreut.

Welches sind die vordringlichsten Probleme, aus Sicht von Fairunterwegs, in diesem abermals besonderen Jahr?

Das vordringlichste Problem ist eindeutig: Dass der Restart gelingt – aber nachhaltig! Das heisst, dass die Tourismuswirtschaft nicht ohne Nachhaltigkeits-Bedingungen unterstützt wird – wie es leider bei der Swiss geschieht.

Fairunterwegs wollte ursprünglich 2021 mehr Präsenz markieren. Was wird denn jetzt konkret unternommen?

Wir wollen die Nachhaltigkeitsdiskussion nicht nur anstossen, wir wollen Nachhaltigkeitstaten ermöglichen. Dafür legen wir drei Schwerpunkte. Erstens bei den Reisenden: Wir wollen damit beginnen, die grosse Lücke beim nachhaltigeren Tourismus zu schliessen. Wer fair unterwegs sein will, findet die passenden Angebote nur mit Mühe. Darum arbeiten wir an einer Karte, auf der möglichst alle zertifizierten Angebote abgebildet sind. Über 15'000 Adressen. Wir fangen mit den Hotels und den Destinationen an - falls wir das Geld für dieses mehrjährige Projekt auftreiben können.

Zweitens bei den Geschäftsreisenden. Wir wollen aufzeigen, wie diese menschrechtskonform und klimaschonend reisen können und was dies ihnen bringt. Bei Geschäftsreisenden orten wir eine besondere Sensibilität für das Thema Nachhaltigkeit. Diese können sie im Privaten gleich auch noch ausleben. Dafür entwickeln wir Online-Tools und Schulungen, unterstützt vom Bund.

Drittens bei den Politisierenden: Die Tourismuspolitik steht wieder auf der Traktandenliste. Wir engagieren uns dafür, dass Forderungen, die sich aus der Nachhaltigkeitsagenda ergeben, auch auf dem Pult der Entscheidungsträgerinnen und Gesetzgeber landen: Wir denken etwa an die Digitalsteuer, die CO2-Abgabe oder den Stopp der staatlich subventionierten Schweiz-Werbung in aussereuropäischen Ländern.

«Wir bleiben noch längere Zeit menschenmassenscheu.»

Denken Sie, Voluntourismus oder Reisen zu touristisch weniger bekannten Zielen wird jetzt zunehmen?

Ich glaube, wir bleiben noch längere Zeit menschenmassenscheu. Das ist eine Chance etwa für die Rand- und Bergregionen - dafür braucht es gar keine Werbemillionen vom Bund. Und ich hoffe, die Hoteliers, Tourismusdirektorinnen und Wirtinnen packen die Chance und machen ihre Arbeit so gut, dass die Gäste gerne wiederkommen.

Ist der weltweite Tourismus-Zerfall aus Ihrer Sicht eigentlich positiv, wegen der Vorteile für die Umwelt, oder negativ, wegen fehlender Erwerbsmöglichkeiten für viele Menschen in ärmeren Erdteilen?

Der Nutzen für die Umwelt - etwa der Rückgang des CO2-Ausstosses um 7% - steht in keinem Verhältnis zum menschlichen Leid mit der Gefahr, dass 100 bis 120 Million Jobs verloren gehen. Oftmals prekäre Jobs, aber dennoch ein Einkommen. Das Positive an der Wachstumsdelle ist, dass das Thema Nachhaltigkeit im Tourismus zunehmend vom Mund ins Hirn rutscht und sich dort festsetzt.

Wie wünschen Sie sich denn den künftigen Tourismus?

Uns schwebt nach Corona der gleiche künftige Tourismus vor wie vor Corona, nur noch nachdrücklicher. Konkret: Der künftige Tourismus soll lokal, langsam und wertvoll sein; der künftige Tourismus geht von den Menschen in den Destinationen aus. Nur dann bringt er den Reisenden das, was sie sich wünschen: Erholung und erinnerungswürdige Begegnungen mit der Natur, mit den Menschen, mit sich selbst.