Tourismuswelt

Die Forschung hat es bestätigt: Wenn wir frei haben und in den Ferien sind, sinkt die Menge an Stresshormonen im Körper. Bild: Nathan McBride

«Reiseentzug erleben Viele als eine Art Kontrollverlust»

Nina Wild

Welche positiven Effekte auf die Psyche werden durch das Reisen ausgelöst und wie wirkt sich das Nicht-Reisen auf unser Gemüt aus? Travelnews hat bei Professorin Doktor Birgit Kleim vom Psychologischen Institut Experimentelle Psychopathologie und Psychotherapie an der Universität Zürich nachgefragt.

Prof. Dr. Birgit Kleim

Frau Professorin Doktor Kleim, welche generellen positiven Auswirkungen hat das Reisen auf die Psyche der Menschen?

Prof. Dr. Birgit Kleim: Dazu muss man vermutlich gar nicht weit in die Psychologie eintauchen: Reisen sorgt für neue Erfahrung, ist mit positiver Stimmung verbunden und kann einen wichtigen Abstand von Schwierigkeiten im Alltag schaffen. Mit diesem Abstand denken viele auch anders über Herausforderungen oder Schwierigkeiten im Alltag nach. Durch den Austausch mit anderen Personen, oder auch dem Sprechen einer anderen Sprache können wir tolle neue Erfahrungen machen und unseren Horizont erweitern. Die Forschung bestätigt das: Wenn wir frei haben und in den Ferien sind, sinkt die Menge an Stresshormonen im Körper. Auch körperliche Beschwerden werden zum Teil weniger.

Aktuell ist das Reisen nur bedingt möglich. Es herrscht grosse Unsicherheit über plötzlich ändernde Einreisebestimmungen. Viele Menschen bleiben deshalb zuhause. Gibt es so etwas wie einen Reiseentzug?

Viele finden alternative Möglichkeiten: Hier in der Schweiz haben viele Menschen seit der Pandemie die tollen lokalen Möglichkeiten mehr genossen anstatt weit in die Ferne zu ziehen. Für viele Menschen, und nicht zuletzt für unsere Umwelt, war das sicher ein positiver Aspekt. Schwierig am Reiseentzug ist ja eher die Tatsache, dass viele dies auch als eine Art Kontrollverlust erleben. Ich kann mich nicht mehr ganz frei bewegen und nicht alle Orte aufsuchen, die ich gerade möchte.

«Die Begegnungen und das Eintauchen in fremde Kulturen kann sicher massgeblich fehlen.»

Wir sind uns gewohnt, praktisch wann immer wir wollen, kurz dem Alltag zu entfliehen und ins Ausland abzutauchen. Dies ist aufgrund der Pandemie aber schwierig geworden, es wird uns also ein Stück Freiheit geraubt. Was macht das mit unserer Psyche?

Es gibt so etwas wie Selbstwirksamkeit, also die Überzeugung oder das Vertrauen, dass ich selbst einen Lösungsansatz finden kann für alle Situation und diese bewältigen kann. Diese Kontrolle ist momentan für viele eingeschränkt, aber die Selbstwirksamkeit können Menschen trotzdem erhalten und auf wichtige Bereiche anwenden. Auch ein weiterer wichtiger Resilienz- Faktor, nämlich positives Denken, ist hier relevant. Auch schwierige Situationen kann ich aus einem positiven Licht sehen: ich kann etwas daraus lernen, vielleicht bringen mich gewisse Einschränkungen auch dazu, etwas mehr zur Ruhe zu kommen und auf andere wichtige Dinge mich zu konzentrieren. Wie wichtig das ist haben wir gerade erst in einer grossen Studie über verschiedene europäische Länder zeigen können.

Gerade in den Wintermonaten sind Fernreisen, beispielsweise nach Thailand, sehr beliebt, um etwas Sonne zu tanken. Manche Reisende tun dies regelmässig jedes Jahr – eine gute Möglichkeit, um den «Winterblues» zu umgehen. Welche Auswirkungen kann es für diese Menschen haben, wenn dies plötzlich nicht mehr möglich ist?

Die Begegnungen und das Eintauchen in fremde Kulturen kann sicher massgeblich fehlen. Und es kann Auswirkungen haben wenn eine Person der Sehnsucht nach dem Reisen nicht folgen kann. Dann gilt es andere Möglichkeiten zu suchen, um diese Effekte zu erzielen und sich zu fragen: Wie kann ich Abstand zum Alltag und zum gewohnten finden? Wie kann ich andere Blickwinkel einnehmen, mich von anderen inspirieren lassen und Erfahrungen machen?

«Der Blick und ein Fokus auf das Positive ist hier zentral.»

Die gesamte Tourismusindustrie wurde von der Krise hart getroffen. Viele Jobs gingen bereits verloren und selbständige Reisebüro-Inhaber klagen über Existenzängste. Was raten Sie diesen Personen?

Ich rate ihnen an der psychischen Gesundheit aktiv zu arbeiten. Das kann für verschiedene Menschen unterschiedlich aussehen. Soziale Kontakte sind wichtig, diese können auch virtuell und über Social-Media laufen. Ganz wichtig ist die Art und Weise, wie wir über die Pandemie, aber auch generell über alles, das uns im Alltag widerfährt nachdenken. Hier ist vor allem die positive Bewertung oder auch Umbewertung wichtig. Was auf den ersten Blick sehr negativ erscheint, bringt oft auch noch andere Dinge und Positives mit sich. Auch kann ein negatives Ereignis einen Lerneffekt haben, so ziehe ich etwas wichtiges daraus, das mich dann weiterhin leitet. Der Blick und ein Fokus auf das Positive ist hier zentral. Und daran kann jeder üben. Wir haben dazu auch einen App entwickelt, mit der die User dies immer wieder üben und das scheint recht gut zu funktionieren.