Tourismuswelt

Es wird wohl erst einmal schlechter, bevor es besser wird: 2021 ist noch nicht der Befreiungsschlag für die Reiseunternehmen. Bild: AdobeStock

Die Reisebranche ist noch nicht über dem Berg

Jean-Claude Raemy

Wer gedacht hatte, 2021 wird alles besser, sah sich bisher getäuscht. Die Durststrecke hält wohl noch eine ganze Weile an.

Etwas mehr als eine Woche ist es her seit den Neujahrsfeierlichkeiten. Auch wenn diese, den Umständen entsprechend, in kleinerem Rahmen als üblich ausfielen, so war da doch allerorts eine Art Erlösung zu verspüren. Eine Erlösung von einem aussergewöhnlichen und zumindest im geschäftlichen Sinne zumeist katastrophalen 2020. Zahllose Memes machten die Runde, in denen mit 2020 abgerechnet wurde. Dies und die übliche Aufbruchstimmung im Januar haben möglicherweise dazu beigetragen, dass etwas in den Hintergrund gerückt ist, dass wir nun zwar im Jahr 2021 sind, aber auch nur wenige Tage seit dem Ende von 2020 vergangen sind und sich die Situation nicht wesentlich geändert hat.

Man ist sogar versucht zu sagen, es wird zuerst nochmals schlimmer, bevor es besser wird. Was führt uns zu dieser Einschätzung? Beginnen wir mal vor der eigenen Haustür. Noch immer müssen wir täglich unsere «Einreisebestimmungs-Liste» aktualisieren, und noch immer ist diese meist klarer Tages-Spitzenreiter in punkto Leserzahlen. Das unterstreicht, wie volatil die Situation mit den Reisebestimmungen auch jetzt noch ist und sich dies in absehbarer Zukunft noch nicht ändern wird - wodurch die Unsicherheit der Reisenden fürs Erste bestehen bleibt. Auch die Quarantäneliste des BAG existiert weiterhin und wird bis auf Weiteres regelmässig aufdatiert.

Stark beschäftigt hat uns bzw. die Reisebranche in diesem Jahr auch bereits wieder die Härtefallhilfe. Die kantonalen Unterschiede, die Komplexität der Erlangung, die sich möglicherweise doch wieder ändernden Bedingungen für den Erhalt der Hilfe infolge des langatmigen politischen Prozesses, und allem voran die Langsamkeit, mit welcher Hilfsgelder gesprochen und zugestellt werden, sorgen für grosse Sorgenfalten. Klar, ein Giesskannenprinzip ist nicht sinnvoll und es soll sauber abgeklärt werden, wer wie viel erhält, und ja, es gibt bereits Hilfs-Instrumente wie Kurzarbeitsentschädigung und dergleichen. Nur: Je länger der Prozess dauert, desto mehr Unternehmen bleiben auf der Strecke. Denn vielerorts sind die Reserven bald aufgebraucht. Noch schlimmer: Im Januar wird vielerorts ein Grossteil des Jahres-Umsatzes generiert, wenn Herr und Frau Schweizer, beflügelt vom Besuch von Ferienmessen, sich bereits für Sommer- und/oder Herbstferien entscheiden und diese buchen. Diesen Effekt gab es 2020 noch, natürlich danach mit der ganzen Annullierungs- und Rückvergütungsadministration verbunden. Doch in diesem Jahr wird in der klassischen Buchungssaison dem Vernehmen nach eben nur wenig gebucht, weil infolge der oben genannten Volatilität kaum jemand auf Monate hinaus seine Reise buchen will, sprich langfristig Geld für eine Reise binden will, deren Durchführung alles andere als sicher ist. Und just in dieser Situation gibt die reiche Schweiz prozentual recht wenig Geld für Soforthilfe aus...

Die Lage ist nämlich noch düsterer als im Vorjahr. Zumindest ein Teil des Reise-Geschäfts 2021 sind «Überträge» aus dem letzten Jahr, also 2020 meist kostenlos auf 2021 umgebuchte Reisen. Aktuell gibt es natürlich durchaus Reisebuchungen, doch kommen die meisten davon kurzfristig herein. Die üblichen finanziellen Berechnungen für die Erstellung des Budgets bzw. des Liquiditätsplans, welche jahrelang auf einem starken 1. Quartal fussten, sind 2021 ein heiteres Rätselraten. Oder anders formuliert: Man befindet sich im Blindflug und hofft, dass schnell alles besser werden möge. Daher vielleicht auch der Über-Optimismus hinsichtlich den Auswirkungen der nun verfügbaren Covid-Impfung. Bis im Sommer sollen Grossteile der Schweizer Bevölkerung geimpft sein. Klingt gut. Doch einerseits kommen nun angesichts neuer Corona-Varianten Zweifel am Nutzen auf, andererseits braucht es bis zum Erreichen einer hohen Immunitätsrate sowohl hierzulande als auch im Zielgebiet nochmals ziemlich viel Zeit. Wer eine Corona-Erkrankung überstanden hat, kann noch viel später weiterhin positiv getestet werden, wie das Beispiel des Schweizer Fussballers Edimilson Fernandes soeben gezeigt hat. Und darüber hinaus sagt eine Impfung nichts aus über das Ansteckungsrisiko für andere, sondern lediglich, dass man selber geschützt ist, weshalb der Impfnachweis für die Reisebranche gar keine nachhaltig sinnvolle Lösung darstellt.

Die Situation ist nur vermeintlich stabil

Dass der Anfang von 2021 bislang noch keinen generellen «Tourismus-Restart» ausgelöst hat, unterstreichen die stetigen Verschiebungen des Neustarts im Kreuzfahrtgeschäft, derweil auch die Airlines ihre Erfolgschancen primär darauf aufbauen, dass ab Sommer alles wieder besser wird - zumal bei den Airlines das erste Quartal eines Jahres sowieso immer schlecht und 2021 folglich noch viel schlechter als üblich ist. Derweilen ächzen manche Reisebüros immer noch unter fehlenden Rückvergütungszahlungen von diversen Airlines - und dabei ist der Betreibungsschutz inzwischen abgelaufen!

Was passiert sonst noch? Auf Mallorca und inzwischen auch auf den Kanaren werden die Corona-Massnahmen wieder verschärft. Versicherer haben in Aussicht gestellt, dass die Prämien steigen werden. Die Reiseveranstalter überlegen sich derweil, wie sie gleichzeitig kulant sein können und trotzdem nicht zu weit von den üblichen AGBs abweichen müssen. Ist man wenig kulant, beeinträchtigt das die Buchungswilligkeit, ist man zu kulant, geht man hohe finanzielle Risiken ein. Auch das ein Dilemma für Reiseunternehmen. Ach ja, und die Ereignisse von letzter Woche in den USA haben auch nicht gerade für eine Hebung der globalen Stimmung gesorgt.

Wie sieht es denn makroökonomisch aus? Die Arbeitslosigkeit in der Schweiz hat bereits im Dezember deutlich zugenommen. Die Arbeitslosenquote stieg im Vergleich zum Vormonat November auf 3,5 von 3,3 Prozent, wie das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) am letzten Freitag mitteilte. Sie erreichte damit den höchsten Stand seit Januar 2017. Das macht nicht gerade Mut. Paradoxerweise gab es 2020 in der Schweiz aber auch deutlich weniger Firmenkonkurse als im Vorjahr. Dies zeigen Zahlen, die der Schweizerische Gläubigerverband (Creditreform) ebenfalls am Freitag veröffentlicht hat. Als Ursache nennt dieser die staatlichen Hilfsmassnahmen zur Bewältigung der Coronakrise, insbesondere die Covid-Kredite. Was vermeintlich ein Erfolg ist, verblendet möglicherweise vor der Realität: «Je länger die Krise dauert und der Staat Mittel in die Wirtschaft pumpt, desto massiver werden die Konkurse steigen, sobald diese Zuschüsse ausbleiben», schreibt der Gläubigerverband.

Wir würden gerne über mehr Positives schreiben...

Ist nun also alles schlimm? Sollen wir alle einfach aufgeben? Natürlich nicht. Wir sind immer noch überzeugt, dass die Reiselust relativ schnell zurück sein wird, ja gar überkompensiert wird, wenn die Reisesicherheit wieder gegeben ist. Der Tourismus hat weiterhin ein gute Zukunft, das Reisen bleibt aus vielerlei Gründen ein Bedürfnis, wir leben auch künftig in einer globalisierten Welt, wie auch immer diese post-Corona aussehen wird.

Allerdings müssen sich alle im Tourismus tätigen Unternehmen damit abfinden, dass die Durststrecke noch lang ist, mit einer wohl langsam ansteigenden Erfolgskurve, währenddem die staatliche Hilfe nicht ewig anhalten wird und es aktuell möglicherweise nicht sinnvoll ist, die Ausgaben einfach mit (weiteren) Krediten zu decken. Deshalb ist der Blick nach innen umso wichtiger: Wo kann man noch etwas Kosten einsparen? Wo gibt es weitere, zusätzliche Einnahmequellen? Grosse Freude machten letztes Jahr die vielen Artikel über Reisebüros, die sich vorübergehend andere Standbeine erarbeiteten; manche haben neue Ideen umgesetzt, neue Firmen bzw. Startups wurden gegründet, es wurde Unternehmergeist an den Tag gelegt (einen Überblick dazu unter diesem Link). Merke: Wenn nichts sicher ist, ist alles möglich.

In diesem Sinne wünschen wir allen Mitgliedern der Reise-Community nochmals Durchhaltevermögen, gute Ideen, etwas Glück und externe Hilfe - und dann dürfen wir ja dann vielleicht wenigstens am Neujahrsfest 2022 wieder rosa Brillen aufsetzen.