Tourismuswelt

Die Pandemie verändert den Tourismus. Ein Panel aus Wissenschaftlern und Experten hat hierzu ein spannendes Thesenpapier veröffentlicht und damit den Blick in die Zukunft gewagt. Bild: AdobeStock

Für den Tourismus gilt: Strukturabbau abfedern, Strukturwandel zulassen

Jean-Claude Raemy

Am 10. November wurde ein digitaler «Tourismus Think Tank» mit mehrheitlich wissenschaftlicher Expertenrunde zum Einfluss der Covid-Krise auf Nachfrage, KMU-Struktur und Arbeitsmarkt im Tourismus abgehalten. Die Resultate liegen nun in Form vor und zeigen, wie die Pandemie nachhaltige Veränderungen im Tourismus in Gang bringt. Wir führen durch die wichtigsten Punkte.

Das zweifelsohne schlimmste Jahr aller Zeiten für die Tourismusbranche neigt sich dem Ende zu. Noch wird ums Überleben gekämpft, noch bestehen Unsicherheiten. Es ist aber auch Zeit für den Blick zurück wie auch nach vorne. Die zentralen Fragen lauten, welche Einflüsse die Krise kurz-, mittel- und langfristig auf den Tourismus hat, wie die Tourismuswirtschaft den Strukturwandel bewältigen kann und wie die Tourismuspolitik bei der Krisenbewältigung unterstützen kann.

Zur Beantwortung dieser Fragen hat die Forschungsstelle Tourismus CRED-T der Universität Bern einen «Think Tank zum Strukturwandel im Schweizer Tourismus» ins Leben gerufen. An einer ersten Veranstaltung am 10. November 2020 wurden obige Punkte diskutiert, wobei dies mit Beiträgen von und in Zusammenarbeit mit weiteren Hochschulen der Schweiz (Universität St. Gallen, Hochschule Luzern, HES-SO Wallis, Fachhochschule Graubünden, IST Höhere Fachschule für Tourismus) sowie Expert/innen aus dem In- und Ausland erfolgte. Das Resultat dieser Tagung liegt nun in Form eines lesenswerten Thesenpapiers (dessen Kurzform finden Sie unter diesem Link) vor.

Ausgangslage

Aktuell ist die Welt von Unsicherheit geprägt. Das Zukunftsvertrauen in eine kontinuierliche Aufwärtsentwicklung des Tourismus ist demnach der Sorge gewichen, wann und wie es mit diesem weitergeht. Die Einschränkungen wie Betriebs- und Grenzschliessungen oder Quarantäneregelungen sind für viele touristische Leistungsträger eine wirtschaftliche Katastrophe. Grenzen werden wieder vermehrt gesichert statt aufgelöst - für das touristische Reisen ist dies Gift. Als «Game Changer» wird allgemein die Verfügbarkeit eines anerkannten und verlässlichen Impfstoffs angesehen.

Bis es soweit ist, wird aber der Sturkturwandel beschleunigt. Die Digitalisierung muss nun noch schneller erfolgen; bisher schwächelnde Geschäfte überleben nicht. Viele Betriebe mit eigentlich zukunftsfähigen Geschäftsmodellen sind aber ebenfalls unter Druck geraten - unverschuldet. Deshalb ist politische Hilfe nötig und berechtigt. Derweil fehlen Ausbildungsplätze, was dazu führt, dass aktuell viele Junge «in die Ausbildung flüchten».

Was bedeutet die Pandemie bislang für die Nachfrage?

Die Buchungen verharren seit dem Frühjahr bei mindestens minus 60% im Vergleich zum Vorjahr. Die Umsatzeinbrüche bei Eventorganisationen, Reiseveranstaltern und Reisebüros betragen teilweise bis zu 95%. Auch die Luftfahrtbranche ist erheblich betroffen.

Auch kulante Stornierungsbedingungen können Buchungen bisher nicht entscheidend erhöhen. Trotzdem: Potenziell sei die Nachfrage nach touristischen Leistungen gross, weil man im Prinzip reisen kann (aber die Möglichkeiten noch sehr eingeschränkt sind) und will (aber möglicherweise finanziell vorläufig etwas zurücksteckt). Angebote, die sich tatsächlich verlässlich auf dem Markt befinden, finden aber ihre Kunden.

Der Sommer 2020 habe gezeigt, dass Touristen in der Tendenz touristisch eher wenig frequentierte Zonen aufsuchen und versuchen, den grossen touristischen Massen auszuweichen. Die Ferienmotive und Produktanforderungen ändern sich wegen der Corona-Pandemie nicht. Allerdings gibt es zusätzliche Aspekte, die als Bedingungen hinzutreten: Sie umfassen aktuell vor allem Themen rund um die Buchung und Bezahlung, so etwa die Möglichkeit zur kurzfristigen Stornierung und Geld-zurück-Garantie. Gesundheitsaspekte folgen erst an zweiter Stelle.

Wie sieht es für die KMU aus?

Die Covid19-Überbrückungskredite wurden bei den touristischen KMU deutlich überdurchschnittlich in Anspruch genommen. Touristische KMU sind aufgrund ihrer Bilanzstrukturen überdurchschnittlich von Insolvenzen gefährdet. Dies liegt daran, dass sie häufig geringe Eigenkapitalquoten aufweisen und das kurzfristige Umlaufvermögen im Vergleich zu den kurzfristigen Verbindlichkeiten gering ist. Die Covid19-Überbrückungskredite konnten zwar kurzfristige Insolvenzen verhindern, indem sie die Liquidität aufrechterhielten, drücken aber die Eigenkapitalquote mittelfristig weiter nach unten.

Auch auf Kostenseite gibt es Gefahr: Der Anteil an variablen Kosten ist bei vielen touristischen KMU gering, wodurch kurzfristige Umsatzausfälle schwerer durch Reduktionen auf der Kostenseite aufgefangen werden können. Dadurch steigt die Gefahr von Liquiditätsengpässen. Da die Kosten für Mitarbeitende einen hohen Anteil an den Fixkosten ausmachen, ist die Kurzarbeit ein gutes Instrument, die touristischen KMU zu unterstützen. Oftmals ist dieses Instrument aber nicht ausreichend. Und Kurzarbeit ist längerfristig kein Allheilmittel: Sie kann helfen kurzfristige Nachfrageinbrüche zu überbrücken, aber ist kaum hilfreich um längerfristige Nachfragerückgänge abzufedern.

Oft wird das Argument des «strukturbereinigenden Wandels» angeführt, um auch in Krisen die Steuerung dem Markt zu überlassen. Von einem Strukturwandel innerhalb des Tourismus kann aber nur gesprochen werden, wenn nicht nur Stellen verloren gehen, sondern auch neue geschaffen werden. Ansonsten kommt es zu einem Strukturabbau, wie dies beispielsweise im Tour Operating zurzeit zu erwarten ist. Die KMU sind besonders schützenswert: Sie tragen viel Risiko und die Digitalisierung wird wahrscheinlich zu einer Vergrösserung der beiden Pole «grosse globale Unternehmen vs. kleine lokale Mikrounternehmen» führen.

Was steht uns bevor?

Die erzwungene Homeoffice-Situation hat viel Umstellung benötigt, aber auch dessen zukünftiges Potenzial aufgezeigt. 80% der Unternehmen, die während der Krise diese Arbeitsform ermöglicht haben, möchten diese fortführen. Neue moderne Organisationsprinzipien mit neuartigen Aufgaben für agile, cross-funktionale Teams können zu einer dynamischen und innovativen Unternehmenskultur führen.

Auf Angebotsseite gilt: Der Tourismus sollte mit Sauberkeitszertifikaten oder kontaktlosen «Customer Journeys» das Vertrauen in die Betriebe stärken. Auch in naher Zukunft gelten «sauber und sicher» als notwendige Voraussetzung, dass Reisen und Ferien möglich bleiben. Doch sie stellen keine hinreichende Attraktion dar. Kurzfristig geht es also darum, Ferienstimmung trotz Einschränkungen zu sichern. Im Thesenpapier gibt es diverse nützliche Hinweise, wie dies erreicht werden kann.

Wichtig sei, starre Branchenstrukturen aufzubrechen. Bisher sei dies noch zu wenig geschehen. Strategische – d.h. langfristige – Handlungsoptionen sind zu prüfen: Optimierung (Refokussierung) der Wertschöpfungsketten, Krisenkommunikation, Anpassung oder Neuorientierung der Strategie, Identifikation neuer Zielgruppen/Märkte oder neue Geschäftsmodelle. Dafür sollte auch die emotionale Bindung der Mitarbeitenden zum Betrieb gestärkt werden.

Der Politik wird nahegelegt, nach der zügigen Hilfe durch Kurzarbeit und Corona-Kredite jetzt intelligente, langfristige Unterstützungsinstrumente aufzubauen, welche die Unterstützung wirklich zukunftsträchtigen Unternehmen zukommen lassen und somit einen Strukturabbau zwar abfedern, jedoch einen gewissen Strukturwandel zulassen. Zudem sollen Wettbewerbsverzerrungen minimiert werden, die sich möglicherweise aus der föderalistischen Autonomie von Gemeinden, Kantonen und Bund ergeben.