Tourismuswelt

Podiumsdiskussion per Zoom: Die Nationalrätinnen (v.l.) Barbara Steinemann (SVP/ZH), Katja Christ (GLP/BS), Priska Seiler Graf (SP/ZH) und Franziska Ryser (Grüne/SG) beim Schlagabtausch, ganz rechts Moderatorin Sonja Hasler (SRF). Bild: TN

Der Weg zur «Netto Null» ist noch weit

An einer grossen Tagung des Vereins umverkehR zum Thema «Zug statt Flug» wurden zahlreiche eigentlich bekannte Punkte wiederholt, wonach es nun die Energiewende braucht, und wie dabei gerade das Reiseverhalten und die Verkehrs-Rahmenbedingungen wesentlich sind. Der Umstieg vom Flugzeug auf die Bahn wird aber nicht so einfach sein.

Am vergangenen Donnerstag lud «umverkehR» - ein unabhängiger Verein, welcher sich seit 1992 für eine zukunftsfähige Mobilität einsetzt - zu einer grossen Fachtagung, welche, Corona oblige, in Form einer Zoom-Konferenz stattfand. Die halbtägige Tagung stand zum Thema «Zug statt Flug: Mehr als eine klimafreundliche Alternative?» setzte sich mit der Frage auseinander, wie gross das Verlagerungspotential von Flug auf Zug überhaupt ist. Dabei drehten sich die Kernpunkte um Fragen zu anderen Alternativen zum Fliegen (als nur die Bahn), wo der Flugverkehr überhaupt unersetzlich ist und wie man den Flugverkehr auf Klimakurs bringt.

Definitive Antworten gab es natürlich kaum, oder anders formuliert: Bei den mehrheitlich aus dem Umfeld von «umverkehR» stammenden Tagungsteilnehmern wurden im Prinzip offene Türen eingerannt, derweil die als «Kontrahenten» eingeladenen Vertreter, von der Swiss der «Head of Business Development & Executive Office» Christian Sigg sowie SVP-Nationalrätin Barbara Steinemann, welche sich insbesondere gegen die kürzlich definitiv beschlossene Ticketabgabe auf Flügen auflehnte, einen schwierigen Stand hatten, ihre Punkte durchzubringen.

Sigg vertrat in einer Debatte die bekannten Punkte, wonach Swiss stark in modernes, umweltfreundlicheres Fluggerät investiert habe und weiter investiere, und dass man sich natürlich auch die synthetischen Treibstoffe genau anschaue - welche allerdings bislang keine kommerziell vernünftige Alternative zu den herkömmlichen Treibstoffen darstellen. Und in einer Polit-Debatte griff Barbara Steinmann genau diese Punkte auf: Der technische Fortschritt sei entscheidend, nicht eine Lenkungsabgabe wie die Ticketsteuer.

Demgegenüber war von den Vertretern von «umverkehR» tendenziell zu hören, dass dies alles viel zu wenig sei. In einem interessanten Eingangsreferat hielt Professorin Sonia Seneviratne von der ETH Zürich fest, dass die bisherige globale Erwärmung irreversibel sei und das Klimaproblem primär ein Energieproblem sei - und somit Steuerung nicht ausreiche, sondern eine Wende nötig sei. Die sich häufenden Naturkatastrophen - also Hitzewellen, Dürren, riesige Wirbelstürme, Waldbrände, Überflutungen etc. - seien «klar menschgemacht»: Sprich, sie hätten in dieser Frequenz und diesem Ausmass nicht stattgefunden.

«Die Schweiz tut viel zu wenig»

In diesem Zusammenhang kritisierte Seneviratne, dass die Schweiz für die Erreichung des Klimaziels «Bis 2030 Reduktion des CO2-Ausstosses auf 50% des Niveaus von 2010» noch keinen Plan habe. Dies, obwohl die Schweiz viel höhere CO2-Emissionen pro Kopf habe als die meisten anderen Länder. «Die Schweizer sind zu wenig ehrgeizig in Bezug auf Umweltschutz», so ihr vernichtendes Urteil. Die Lösung könne nur sein, möglichst bald keine Autos mit Verbrennungsmotoren mehr zu haben und nur noch einen minimalen Luftverkehr.

Letzteres ist wichtig: Allen war klar, dass es ganz ohne Luftverkehr in der heutigen Welt nicht mehr geht. Die Frage ist aber, welcher Luftverkehr ist nötig? Muss man sowohl den Personen- als auch den Güter-Lufttransport komplett neu denken? Andrea Burkart (Bundesamt für Umwelt BAFU) sprach in einem Inputreferat zum Thema «Netto-Null» darüber, dass die Schweiz «ein Umweltsünder» sei. Natürlich ist die Fliegerei nicht an allem schuld. Aber laut Burkart stammen 32% des Schweizer CO2-Ausstosses aus dem Verkehr, davon wiederum 12,6% aus dem Flugverkehr. Das mag nach relativ wenig erscheinen, doch damit sei man «nicht auf Kurs», um die Netto-Null zu erreichen. Das Problem der Flugindustrie: Dort sind die Reduktionen, aus Sicht der Umweltschützer zumindest, leichter umzusetzen als etwa bei anderen Klimabelastern wie der Energie- oder Abfallindustrie oder der Landwirtschaft. Deshalb die Konzentration auf den Verkehr. Burkarts Fazit lautete ähnlich wie jenes von Seneviratne: «Netto Null bedingt CO2-freien Strassenverkehr und weniger Flug. Der Flugverkehr bleibt die grosse Herausforderung.»

In Kurzbeiträgen erläuterten etwa Annik Färber (Aktion Klimastreik), Kai Landwehr (MyClimate) und Daniel Egger (Climeworks), wie man den ökologischen Fussabdruck der Fliegerei reduzieren kann - eben mittels Nicht-Fliegen oder aber sinnvollen CO2-Kompensationsmodellen. Letzteres genügt aber den Wissenschaftlern unter den Umweltschützern eigentlich nicht. Gerade weil eben weiterhin sehr viel geflogen wird. Die Luftverkehrsmobilität der Schweizer Wohnbevölkerung liegt nach Abzug von Umsteigern und Incoming-Reisen bei gut 1,6 Flugreisen pro Kopf und damit mindestens doppelt so hoch wie in Deutschland und Österreich (ca. 0,8) sowie in Frankreich und Italien (ca. 0,6). Im Eingangsreferat erklärte Franziska Ryser (Co-Präsidentin umverkehR und Grünen-Nationalrätin), dass der Flugverkehr in der Schweiz rund 20% der menschengemachten Klimawirkung ausmache.

Auch Damaris Bertschmann (INFRAS) doppelte in einem Impulsreferat nach. Ihr zufolge fliegen jährlich rund 59 Millionen Passagiere von der Schweiz ins Ausland, dazu werden pro Person und Jahr rund 9000 Kilometer geflogen, während nur 2700 Kilometer per Zug zurückgelegt werden. Das ist auf den ersten Blick einleuchtend, da Flugreisen in der Regel weiter führen als Bahnreisen. Nur: Viele Flugreisen könnten im Prinzip auch mit der Bahn absolviert werden. Das schon mehrfach vorgetragene Credo der Umweltschützer lautet: Strecken bis 1000 Kilometer sollten mit der Bahn zurückgelegt werden. Wenn laut Damaris solche «Kurzstrecken» auf den Zug verlagert würden, könnte man 54 Prozent der Flüge einsparen.

Ist der Zug benachteiligt?

Das Problem ist, dass das Zugangebot teils eben nicht konkurrieren kann - vom Zeitaufwand wie auch von den Frequenzen und teils sogar vom Preis her. Immerhin gibt es jetzt wieder Bewegung im Bereich der Nachtzüge, wo auch die SBB bald mitmischen will. Doch gibt es noch politische Rahmenbedingungen, welche zum Nachteil der Bahn sind: Der internationale Flugverkehr ist zurzeit von der Kerosinsteuer, der Mehrwertsteuer und der CO₂-Abgabe befreit, während der Bahnverkehr mit Mehrwert- und Stromsteuer sowie einer Trassengebühr belastet wird. Dadurch entsteht laut Ryser «eine Marktverzerrung», die zu sehr günstigen Flugpreisen führt und die Nachfrage weiter beschleunigt. Die Lage habe sich nun durch Corona vorübergehend etwas entschärft, wegen der radikalen Verhaltensänderung vieler Konsumenten, doch bleibt abzusehen, wie nachhaltig dies wirkt. Darüber hinaus gibt es mit dem Flugverkehr verbundene zusätzliche Umweltbelastungen, die sich aus der Anfahrt an den Flughafen etc. ergeben und in Klimabilanzen teils gar nicht eingerechnet werden.

Deshalb sei eine Erhöhung der Flugticketpreise nötig - welches, unter dem Strich, doch eigentlich auch den Airlines zugute käme. Der Ertrag der Flugticketsteuer, einer Lenkungsabgabe, wird derweil vollständig zurückerstattet, im Idealfall pro Kopf an die Bevölkerung, in Form von Ausgaben aus dem Klimafonds, welcher ökologischen Nutzen bringe. Aus Sicht von umverkehR ist die Flugticketabgabe gar «zu tief».

Steigen die Preise stark an, wird dies allerdings auch dazu führen, dass das Fliegen, wie in den Anfangszeiten, ein Privileg einer Elite sein wird. Ob das so wieder hingenommen wird?

Fazit

Die Tagung hat sehr eindringlich aufgezeigt, wie viel noch zu tun ist, um die gestellten Klimaziele (die Schweiz gehört zu den 189 Unterzeichnerstaaten des Pariser Abkommens) zu erreichen. ETH-Professorin Seneviratne erklärte «every action matters». Die Begrenzung der Klimaerwärmung ist nötig für den Schutz von Ökosystemen und letztlich der Menschheit selber.

Die hochkarätig besetzte Politrunde am Ende der Tagung, souverän geführt von Tagesmoderatorin Sonja Hasler, zeigte aber auch, wie tief die Kluft noch ist hinsichtlich der Ideen zur Umsetzung der Klimaziele. Viele der an der Tagung vorgebrachten Punkte sind eigentlich hinlänglich bekannt; geschehen ist, gerade in der Schweiz, bislang noch recht wenig. Letztlich liegt es sowohl an den Leistungsträgern - und damit sind sowohl die Bahn als auch die Airlines gemeint - ihre Angebote zu verbessern, sowohl im ökologischen Sinn als auch für den Kunden, als auch an den Konsumenten, ihr Verhalten vermehrt nach ökologischen Gesichtspunkten auszurichten, wobei auch da Convenience und Preis entscheidende Kriterien bleiben. Und es braucht definitiv noch einen Effort bei den synthetischen oder biologischen Treibstoffen, welche bislang sowohl zu teuer als auch noch zu wenig Energie-effizient sind.

Der Weg zur Netto Null ist folglich immer noch weit.

(JCR)