Tourismuswelt

Lässt sich mit dem Blick ins Ferienalbum die Reisesehnsucht lindern? Oder wird das Fieber nur noch mehr geschürt? Bild: Adobe Stock

Die Auswirkungen des Nicht-Reisens

Gregor Waser

Reiseexperten sagen, was das Nicht-Reisen bedeutet und wie sie den Reisestillstand bewältigen. Etwa mit dem Blick nach vorne: denn es zeichnet sich Aufbruchstimmung ab.

Im Leben vor Corona wäre das nicht passiert: während dem Fussballspiel der Schweizer Nati schalte ich beim ersten Querpass um, tauche erst ein in eine Doku über Kanadas Jahreszeiten und verfolge später die Tierwanderung in der Serengeti. Das Nicht-Reisen nimmt langsam ungeahnte Auswüchse an.

Alleine stehe ich mit der unerträglichen Reisesehnsucht nicht da. So schön der Schweizer Herbst über dem Nebel ist, der Wunsch nach dem Atlasgebirge in Marokko oder einem Dschungeltrip in Costa Rica ist auch im privaten Umfeld unüberhörbar.

Und hört man sich in der Reisebranche um, welche Auswirkungen das Nicht-Reisen hat, wird das Ausmass greifbar.

«Eine sehr schwierige Zeit für mein Team und unsere Partner vor Ort.»

«Aktuell wäre ich gerade zu Fuss in Palästina unterwegs – ein lang gehegter Traum», sagt Martin Fehrlin, Geschäftsführer des Wanderreisen-Spezialisten Imbach Reisen. «Umso mehr kann ich unsere enttäuschten Kunden verstehen. Es ist eine sehr schwierige Zeit, auch für mein Team und unsere Partner vor Ort. Mehrmals mussten wir Kunden am Tag vor der Abreise beim Kofferpacken anrufen und ihnen mitteilen, dass die ganze Vorfreude umsonst war. Was für eine Enttäuschung auch für Hotels, Busfirmen und ReiseleiterInnen vor Ort, nachdem wir Reisen annullieren mussten, weil das BAG ihr Land auf die Risikoliste gesetzt hat.»

Die fehlenden oder beschränkten Reisemöglichkeiten haben gemäss Martin Fehrlin noch weitere Auswirkungen: «Das Nicht-Reisen bedeutet nicht nur immensen wirtschaftlichen Schaden, sondern Nicht-Vorfreuen, Nicht-Planen, Nicht-Entdecken, Nicht-Abschalten, Nicht-Geniessen, Nicht-Erleben und viele zerplatzte Träume.÷

Andrea Engel, der Inhaber von Engel Reisen in Chur, sagt zum aktuellen Stillstand: «Ich schaue nach vorne, auch wenn das nicht immer einfach ist. Irgendwann ist der ganze Spuk vorbei. Meine Familie hilft dabei und gibt mir Kraft. Um dem Fernweh entgegenzuwirken, schauen wir zuhause unsere Ferienalben an und hoffen, dass wir bald wieder die Welt entdecken können...»

«Es fehlen die Begegnungen, das Eintauchen in andere Kulturen und den fremden Alltag.»

«Nicht zu reisen kennt letztlich nur Verlierer. Wir riskieren all das, was Reisen wertvoll und nachhaltig wirkungsvoll macht. Von der Vorfreude bis hin zu Ferienerinnerungen, die nachwirken. Dazwischen fehlt eine breite Palette an Gefühlen und Eindrücken – die Begegnungen, das Eintauchen in andere Kulturen und fremden Alltag», sagt Daniel Kraus, Geschäftsführer von Wikinger Reisen.

Und Kraus nennt noch einen weiteren, wichtigen Punkt: «Der Nicht-Reisende gewinnt keinen Abstand zum Gewohnten, keine neuen Blickwinkel. Ihm fehlen Inspiration und Erfahrungen. Alles Faktoren, die Verständnis, Toleranz und Weltoffenheit erzeugen.»

Das Leiden des Nicht-Reisens ist auch bei Ruth Landolt auszumachen, der Chefin von asia365: «Schon seit Monaten sitzen wir wie in einem Hamsterrad gefangen mit Buchen, Umbuchen und schlussendlich Annullieren. Zur Entspannung erwandere ich ganz neue Wege auf dem Etzel, im Glarnerland oder auf der Sonnenterrasse in Amden – in wechselnder Begleitung und sicher schön, aber irgendwann ist die neugierige Kuh nur noch eine neugierige Kuh.» Ihr fehle die Auseinandersetzung mit einer anderen Kultur: «Ich merke, beim Reisen geht es mir um mehr als nur ums Reisen. Es geht darum, mich mit der Welt auseinanderzusetzen, mich umzusehen und dem, was ich sehe, eine Bedeutung zu geben. Ich möchte auch beim Reisen mich mit Menschen treffen, ein Land mit seinen Menschen erleben.»

Zögerlicher Aufbruch

Doch wie schaut es an den Destinationen aus? Wir klopfen bei Thomas Goosmann an, dem ehemaligen Kuoni-Schweiz-Chef, der heute Africa220.com und Safariguru.ch betreibt – und fragen, wie es denn vor Ort ausschaut. Und seine Antwort gibt doch Hoffnung auf eine bald wieder existierende Reisewelt. Goosmann ist derzeit in Kenia unterwegs und antwortet uns gleich per zweiminütiger Videobotschaft, dass Reisen nach Kenia mit leichten Einschränkungen wieder gut möglich seien:

Dass Afrika derzeit wieder als eine der ersten Fernreise-Optionen auftaucht, bestätigt auch Dominic Eckert von Dreamtime Travel am gestrigen Mayday-Call zum Thema Fernstrecken. «Afrika ist wieder weitgehend offen», sagt Eckert und verweist auf Kenia, Ruanda, Uganda, Südafrika, Namibia, Botswana, Sambia und Malawi. Einen Covid-Test gilt es vorzuweisen, der innerhalb 72 Stunden vor der Abreise gemacht werden muss. Ansonsten erleben seine Teammitglieder, die derzeit an den Destinationen weilen und erste Kunden einen exzellenten Aufenthalt, wie er erzählt. Einzig Länder-Kombinationen sollte man noch nicht in Angriff nehmen, weil eben unterwegs nur schwerlich ein Covid-Test gemacht werden kann und es zu Problemen beim Grenzübertritt kommten könnte.

Auch Kuba dürfte schon in diesem Winter einige Reisende anziehen. Reto D. Rüfenacht von Caribbean Tours erläutert den Zuhörern, auf was es derzeit zu achten gilt. Noch zurückhaltender äussert sich Stephan Roemer von Tourasia zu Asien-Reisen. Erste Geschäftsreisen nach Singapur, Thailand, Japan und die Philippinen seien zwar wieder möglich, ebenso Aufenthalte in Thailand mit zweiwöchiger Quarantäne in einem von 106 dafür vorgesehenen Hotels in Bangkok. Doch generell seien Asiaten zurückhaltender, eben auch wegen der 2003 gemachten Erfahrungen mit Sars. Für Australien/Neuseeland sieht Dominic Eckert noch wenig Hoffnung, vor dem Sommer 2021 dürfte da wohl noch nichts gehen.

Eine gewisse Aufbruchstimmung macht sich nun aber in der gesamten Reisebranche breit, unter anderem auch mit den sich abzeichnenden Impfmöglichkeiten von Pfizer/Biontech sowie Moderna. Die Chancen, dass sich die Reisewelt auf den Sommer oder spätestens Herbst 2021 einer Normalisierung nähert, steigt. Und alleine schon die Aussichten, im nächsten Jahr die Reiseuntensilien wieder einmal packen zu können, dürfte schon manches Reisefieber lindern.

Das Ende des Nicht-Reisens ist in Sicht.