Tourismuswelt

David Ruetz zur ITB 2021: «Die ITB Berlin 2021 wird zeigen, dass Netzwerken, der Wissensaustausch und die neuen Geschäfte nach wie vor relevant sind.» Bild: zVg

«Die Menschen wünschen sich zukünftig eine Mischung aus analogen und virtuellen Inhalten»

Jean-Claude Raemy/Nina Wild

Die weltweit wichtigste Tourismusmesse, die ITB Berlin, wird 2021 stattfinden, aber «nur» digital. Wie das aussehen wird und wie der Entscheid zustande kam, erklärt David Ruetz (Head of ITB Berlin) im Interview mit Travelnews.

Seit letzter Woche steht fest, dass die ITB Berlin, immerhin die weltweit wichtigste Tourismusmesse, definitiv in digitaler Form stattfinden wird. Nach der sehr kurzfristigen Absage der ITB 2020 folgte bereits ein Versuchsballon mit einer «ITB Digital», auf welcher nun aufgebaut wird. Trotzdem ist diese Ausrichtungsform wohl nicht das, was sich die ITB-Macher ursprünglich erhofften. Was es mit der ITB im kommenden Jahr auf sich hat, verrät uns nachfolgend der Schweizer «ITB-Macher» David Ruetz.


Herr Ruetz, die ITB Berlin und der begleitende ITB Berlin Kongress finden im kommenden Jahr vom 9. bis 12. März 2021 rein digital statt. Wie kam es zum Entscheid und was waren die grundlegenden Überlegungen?

Das neue Veranstaltungskonzept richtet sich ausschliesslich an das B2B-Publikum. Wir haben unsere Erfahrungen aus den letzten Monaten genutzt und wollten der Branche ursprünglich ein flexibles, hybrides Konzept für die ITB Berlin 2021 präsentieren. Die aktuelle Neueinschätzung der epidemiologischen Situation ermöglichte es uns jedoch nicht, ein hybrides Konzept anzubieten.

In diesen Zeiten der Spontanität, Flexibilität und Dynamik muss man mutige Entscheidungen treffen. Mit der Entscheidung zu einer ausschliesslich virtuellen ITB Berlin 2021 geben wir Ausstellern und Fachbesuchern nun die grösstmögliche Planungssicherheit. Trotz der Notwendigkeit von virtuellen Events und digitalen Angeboten zur Vernetzung, spüren wir von unseren Ausstellern eine starke Sehnsucht nach persönlichen Geschäfts-Begegnungen, insbesondere nach den intensiven Zeiten von Lockdown, Homeoffice und Zoom-Calls.

Was heisst das für die neue Messeform?

Wir haben ein Konzept entwickelt, mit dem wir unseren Partnern und Kunden wieder eine verlässliche Plattform für globales Netzwerken, Business und Content bieten können. Eines ist klar: Die Branche braucht die ITB gerade jetzt mehr denn je, da sie insbesondere in diesen herausfordernden Zeiten auf fachlichen Austausch und Orientierung angewiesen ist. Viele brandaktuelle Themen sind bereits im Rahmen des virtuellen «We Love Travel!»-Events zentralisiert worden: Veränderungen der globalen Reiseströme, der Reisenachfrage und neue Kundenpräferenzen. Wie sehen Experten mögliche Wachstumssegmente? Zudem steigt die Nachfrage der Einbindung von Technologie im Reiseerlebnis.

Neben der neuen inhaltlichen Themenschwerpunktsetzung wird das Format natürlich auch viel digitaler und virtueller aufgestellt sein. Unter anderem bietet das digitale Konzept der ITB Berlin 2021 zahlreiche hochkarätige Panels und Vorträge per Video-Streaming sowie digitale Netzwerk-Möglichkeiten, ein intelligentes Matchmaking und einen digitalen Ausstellungsbereich. Bereits Anfang des Jahres haben  wir das «ITB Travel Network» ins Leben gerufen. Das neue soziale Netzwerk für die professionelle Reisegemeinschaft weltweit ermöglicht es Usern, das ganze Jahr über genau die Partner zu erreichen, die entscheidend zum Geschäftserfolg beitragen können. In der virtuellen Welt werden sich Teilnehmer vernetzen können und in der Lage sein, Vorträge und Diskussionen am eigenen Rechner oder einem anderen mobilen Endgerät zu verfolgen und auch mit anderen Teilnehmern zu interagieren und sich zu brennenden Themen auszutauschen.

Was heisst das alles nun für die Aussteller?

Wir werden unsere Aussteller und Fachbesucher am 16. November 2020 über die verfügbaren Aussteller-Pakete und Buchungsmöglichkeiten informieren. Der offizielle Anmeldeschluss für die Teilnahme an der digitalen ITB Berlin 2021 als Austeller ist der 1. Januar 2021.

Welche weiteren Neuerungen sind geplant?

Neben den bereits genannten digitalen Lösungen und inhaltlichen Schwerpunkten haben wir weitere Ideen, die aktuell noch in der Planung sind. Aber wir freuen uns jetzt schon über eine Premiere: unsere erste und neue Kulturdestination Sachsen! Der Freistaat wird sich nächstes Jahr als herausragendes Kultur- und Städtereiseziel präsentieren und auch spannende Einblicke in sein reiches Naturangebot gewähren.

«Das sicherste Hygienekonzept hilft nicht, wenn Aussteller und Fachbesucher aufgrund von Reisebeschränkungen nicht nach Berlin kommen können.»

Noch ein Blick zurück: Welche finanziellen Folgen hatte die Absage im letzten Jahr für Ihre Organisation?

Damals rollte etwas völlig Unbekanntes auf uns zu. Wir standen täglich in Kontakt mit den Behörden, am Ende blieb uns aber keine andere Wahl, als diese Messe abzusagen, da die wir die neuen Sicherheits- und Hygiene-Auflagen zum damaligen Zeitpunkt so kurzfristig nicht mehr umsetzen konnten. Letztlich konnte die Entscheidung über die Durchführung oder Absage der ITB auch nur auf der Grundlage der Anweisung der zuständigen Fachbehörden erfolgen.

Der Verlust ist und war in der Tat immens – und so unglaublich vielschichtig, weil so viele Unternehmen an der gesamten Wertschöpfung beteiligt waren. Wir beziffern die Gesamtsumme für unser Unternehmen auf einen zweistelligen Millionenbetrag. Heute sind wir alle deutlich weiter mit unserem Wissen und konnten mit unserem Alternativkonzept für 2021 entsprechend reagieren.

Jetzt müssen Sie die bisherigen bzw. potenziellen Aussteller zu einer anderen Form der Teilnahme überzeugen. Wie schätzen Sie die Stimmung bei diesen ein?

Unsere Aussteller spüren die enormen Auswirkungen der Pandemie, der wirtschaftliche Druck belastet die Branche enorm. Für die Tourismus- und Reisebranche ist die ITB Anfang März aber ein Pflichttermin – und das seit 1966! In einer aktuellen Umfrage unter unseren Ausstellern wurde erneut deutlich, dass unsere Kunden den persönlichen Kontakt nicht dauerhaft verlieren wollen. Die Entscheidung zur digitalen Ausrichtung haben wir getroffen, um allen Teilnehmern die grösstmögliche Planungssicherheit zu geben und dem Anspruch eines Treffpunkts der globalen Tourismusindustrie trotz zahlreicher Reiserestriktionen weiterhin gerecht zu werden. Das sicherste Hygienekonzept hilft nicht, wenn Aussteller und Fachbesucher aufgrund von Reisebeschränkungen nicht nach Berlin kommen können. Auch Anweisungen seitens der Firmen, Geschäftsreisen zu vermeiden, können unseren Kunden die Hände binden.

Welche Chancen birgt denn die ITB 2021 Ihrer Meinung nach für die angeschlagene Branche?

Seit mehr als 50 Jahren trifft sich die Reisebranche jährlich von Angesicht zu Angesicht im März in Berlin. Deshalb halten wir gerade jetzt an unserem Versprechen fest, die  Nr.1-Plattform für erfolgreiche Geschäfte, neue und gewachsene Kontakte, Inspiration und Interaktion zu bleiben. Die ITB Berlin 2021 wird zeigen, dass Netzwerken, der Wissensaustausch und die neuen Geschäfte nach wie vor relevant sind. Die Menschen wünschen sich zukünftig eine Mischung aus analogen und virtuellen Inhalten. Ich denke jetzt ist die Zeit, sich Schritt für Schritt der neuen Realität zu stellen und langfristig flexible Konzepte zu entwickeln.

«Unser globaler Hub itb.com ist schon jetzt eine echte Erfolgsstory.»

Sehen Sie in den aktuellen Herausforderungen auch konkrete Chancen für die Branche?

Durch die Krise hat die Tourismusbranche zum einen ein neues Verständnis für Risiken, aber auch Potential für neue Chancen erkannt. Das Bewusstsein für sozial und ökologisch verantwortliches Reisen ist gewachsen. Wenn Veranstalter, Dienstleister, aber auch Kunden aus dieser Erkenntnis die richtigen Konsequenzen ziehen, dann kann ihnen eine Zukunft bevorstehen, die schwarze Unternehmenszahlen, hohe Kundenzufriedenheit und nachhaltig positive Auswirkungen auf Herkunfts- und Zielländer haben kann.

Was werden aus Ihrer Sicht die Highlights der ITB 2021 sein?

Neben den bereits genannten Initiativen und Trends ist unser globaler Hub, itb.com, schon jetzt eine echte Erfolgsstory. Mitglieder der Reisebranche tauschen sich auf der digitalen Plattform aus und vernetzen sich. Zudem halten wir hier wichtige Branchen-News für die User bereit und versorgen sie monatlich mit Expertenwissen aus unserer Serie «ITB Virtual Convention». Wir haben bereits einige Fach-Sessions mit hochkarätigen Interviewpartnern angeboten. Diese wurden überaus gut angenommen. Einige User bevorzugen es, sie live zu verfolgen, andere streamen sie im Nachgang in unserem «on demand»-Bereich.

Die nächste Session zum Thema «Wie kann das Vertrauen in den internationalen Tourismus und Reisen wieder aufgebaut werden?» findet übrigens am kommenden 19. November statt.