Tourismuswelt

ACM-Chef Roger Hohl hat gut lachen: Dank einer radikalen Produktionsumstellung kommt der Luftfahrt-Zulieferer glimpflich durch die Krise und liebäugelt nun gar mit Expansionsplänen. Bild: ACM Aerospace

«Mitten in der Krise haben wir nun das dickste Auftragsbuch der Firmengeschichte»

Die Corona-Krise trifft auch zahlreiche Zulieferer der Reise- und Luftfahrtbranchen. Dass man mit viel Flexibilität diese Krise aber auch gut meistern kann, beweist der deutsche Luftfahrt-Zulieferer ACM. Wir haben uns dazu mit dessen Schweizer Chef Roger Hohl unterhalten.

Krisen ist sich Roger Hohl in seinem Berufsleben ja schon gewöhnt. 13 Jahre lang machte der Zürcher Karriere bei der österreichischen Regionalfluggesellschaft Intersky und durchlebte dabei alle Probleme der Regionalluftfahrt und musste vor fast genau fünf Jahren auch das Grounding der Airline miterleben. Aber so eine Krise wie aktuell hat natürlich auch Hohl noch nie erlebt. Nach Intersky fand er Unterschlupf bei der im deutschen Memmingen ansässigen Airline-Zuliefererfirma ACM (Aircraft Cabin Modification GmbH), die seit über 50 Jahren auf innovative Kabineneinrichtungs-Produkte spezialisiert ist und über insgesamt sieben Standorte weltweit mit total rund 250 Mitarbeitenden verfügt. Seit Februar 2017 ist Hohl Managing Director des Unternehmens und erlebte flottes Wachstum, bis die Corona-Krise anfangs 2020 kam. Zahllosen Airlines ging das Geld aus, grosse Flottenteile wurden gegroundet - und damit gingen auch den Fluggesellschafts-Zulieferern zahllose Aufträge durch die Lappen.

Von Travelnews darauf angesprochen, erklärt Hohl: «Als internationaler Luftfahrtzulieferer taten wir uns natürlich auch schwer. Wir hatten und haben über 90% Umsatz-Einbruch, obwohl wir uns schon im Januar 2020 mit der Corona-Krise zu beschäftigen begannen. Erst einmal hatten wir natürlich Schockstarre und haben alle Mitarbeitenden in Kurzarbeit geschickt.» Doch früh wurde klar, dass es kurzfristig kaum Aussichten auf nachhaltige Besserung in der Luftfahrt und damit im eigenen Geschäft geben würde. Also brauchte es neue Einkommensquellen. Das wiederum erforderte einerseits enorme Flexibilität des Unternehmens und andererseits Investitionsmittel.

ACM hat es gewagt und innert kürzester Zeit eine radikale Produktionsumstellung an den Standorten Memmingen und Hamburg umgesetzt: Schon ab April 2020 wurden (noch unzertifizierte) OP-Schutzkittel zur Pandemiebekämpfung hergestellt, anstelle von Helikopter- oder Flugzeugteilen. Innert kürzester Zeit sammelte der ACM-Vertrieb Aufträge im siebenstelligen Stückzahlen-Bereich ein, und das von beachtlichen Kunden: Darunter waren Kliniken, kassenärztliche Verbände, Rüstungs- und Baukonzerne, Lebensmittelhersteller, Pflegedienste sowie auch staatliche Organisationen. Daraufhin wurde die deutsche Bundesregierung in Berlin auf das Unternehmen aufmerksam und lud ACM zu einer Ausschreibung ein, bei welcher es um einen Staatsauftrag ging. ACM setzte sich im Wettbewerb durch und produziert seither nun im staatlichen Auftrag zertifizierte OP-Schutzkittel. «Der Auftrag läuft über zwei Jahre und stellt den grössten Einzelauftrag der Firmengeschichte dar», präzisiert Hohl. Dank der eigenen Flexibilität und diesem damit gewonnenen Langfrist-Auftrag verfügt ACM nicht nur über ein neues Standbein, sondern konnte damit trotz der momentan schwierigen Zeit über 50 neue Arbeitsplätze schaffen. «Mitten in der Krise haben wir nun das dickste Auftragsbuch unserer Firmengeschichte», frohlockt Hohl; die Auftragssumme bewege sich «im zweistelligen Millionen-Euro-Bereich». Zu den bereits seit August geschaffenen neuen Stellen werden ihm zufolge vermutlich nochmal bis zu 40 weitere Stellen bis Ende Jahr geschaffen.

Hohl kann selber kaum glauben, wie erfolgreich der «Plan B» aufgegangen ist. Entlassen wurde niemand, per heute hat ACM sogar netto 51 Arbeitsplätze zugelegt im Jahr 2020. Ganz unkompliziert war das nicht. Die Investitionen für die radikale Umstellung belaufen sich auf rund 1,5 Millionen Euro. Das weltweit gefragte Rohmaterial zu bekommen sei nicht einfach gewesen, inzwischen ist die Versorgung aber sichergestellt. Und auch geeignetes Personal zu finden sei weniger einfach gewesen, als man dies angesichts der Krise vermuten könnte.

Alle Zeichen stehen auf Expansion

Was heisst aber nun diese Umstellung für ACM «unter dem Strich»? Hohl erklärt, dass man damit die Umsatzverluste weitgehend kompensiert habe; wegen der nötigen Investitionen werde ACM 2020 aber kaum in die Gewinnzone kommen. «Wir sind aber überzeugt, 2021 wieder Gewinne schreiben zu können», so der Manager - was angesichts der globalen Luftfahrtkrise schon eine beachtliche Leistung wäre.

Und was folgt nach Ablauf des staatlichen Auftrags? «Wir werden an unserem Kerngeschäft festhalten», präzisiert Hohl. In der Produktion wird das Gros des Umsatzes generiert, das soll auch in Zukunft so sein - aktuell werden halt eben andere Erzeugnisse produziert, aber künftig wird es wieder um Flugzeugteile gehen, denn Hohl erwartet mittelfristig eine vollständige Erholung des Fluggeschäfts. Weitere Standbeine sind «Overhaul» (Refurbishment, Revisionen und dergleichen), welche rund 15% des Umsatzes ausmachen, sowie der Bereich «Engineering», also Forschung und Entwicklung. Auch da kann ACM in gewisser Weise von Corona profitieren: So forscht und entwickelt ACM derzeit auf Hochtouren an antiviralen und antibakteriellen Produkten für die Flugzeug-Kabine, darunter der erste antivirale Sitzbezug und auch Sitzgurte oder auch Cockpitsitze mit Vitalparametern (komplettes EKG, Herzrhythmus) ohne Verkabelung. «Gerade jetzt, in der bisher grössten Krise der Luftfahrt, ist es wichtig, in Forschung & Entwicklung zu investieren, anstatt stehen zu bleiben», so Hohl, «denn die Zeit kann genutzt werden, um weitere innovative Produkte in die Kabine zu bringen. Wer diese Krise überlebt, wird auf jeden Fall danach gestärkt am Markt agieren können!»

ACM sieht sich also auf bestem Weg aus der Krise heraus in eine Position der Stärke. «Wir sind sicher kein Kaufkandidat, sondern haben gar eine eigene interne Taskforce, welche sich aktuell mit dem Thema Beteiligungen und Übernahmen beschäftigt», erklärt Hohl. Dabei schaut man sich nicht nur im DACH-Raum um, sondern weltweit. Und was ist mit den bisherigen Standorten in Übersee? ACM betreibt solche in Dubai, Toulouse, St. Nazaire, Addis Abeba und Bangalore. Dort wurde die Produktion aktuell nicht umgestellt; man wartet noch ab, ist aber auch dort bereit für eine Expansion, sobald es wieder aufwärts geht. Hohl illustriert das am Beispiel Addis Abeba: «Dort handelt es sich um einen Produktionsstandort mit aktuell 20 Angestellten. Es ist der einzige Produktionsstandort dieser Art in ganz Afrika und wird gemeinsam mit Ethiopian Airlines am Flughafen von Addis Abeba betrieben. Dort ist eine Expansion auf 100 Mitarbeitende vorgesehen. Dies wurde nun durch Corona zeitlich etwas zurückgeworfen, am Plan wird jedoch festgehalten.» Mit der nötigen Flexibilität werden also auch die ausländischen Standorte beibehalten und sollen künftig zum wachsenden Erfolg des Unternehmens beitragen.

Hohl selber hält sich auf dem Laufenden, indem er täglich ab 05.30 Uhr Zeitungen aus dem ganzen DACH-Raum durchforstet, bevor er sich auf die Fahrt von seinem Ostschweizer Wohnort nach Memmingen aufmacht. Selbst während dem Lockdown konnte Hohl dank spezieller Bewilligungen am Firmen-Hauptsitz in der bayrischen Stadt präsent sein und damit die zumindest temporäre Umwandlung des Unternehmens aktiv vorantreiben. Aktuell sind ihm wegen der Pandemie zwar Besuche vieler Partner - primär handelt es sich dabei um «OEM» (Original Equipment Manufacturer), also Flugzeugbauer - nicht möglich, dafür wird umso emsiger an der Expansion des Unternehmens geschmiedet. Er lässt durchblicken, dass eine Gründung einer «Regional Cargo Airline» zumindest evaluiert wird, sicher sei jedoch noch nichts. Was aber sicher ist: ACM hat unter Hohls Führung bewiesen, dass mit Flexibilität, motivierten Teams und dem nötigen Quentchen Glück diese schlimme Krise gemeistert werden kann.

(JCR)