Tourismuswelt

Vermissen wir das Fliegen wirklich so sehr, dass wir Flüge ins Nirgendwo buchen müssen? Bild: SocialCut

Einwurf Werden sich die Reisebedürfnisse ändern?

Jean-Claude Raemy

Aktuell gibt es allerhand neue Angebote, um potenzielle Reisende bei Laune zu halten. Dass diese nachhaltig Bestand haben, darf angezweifelt werden.

Das Reisen gehört zum Menschen, der sich immer schon auf Entdeckungstour begeben hat und so erst die ganze Welt von Afrika ausgehend bevölkert hat. Später kam das Zeitalter der Entdeckungen. Und im 20. Jahrhundert das Zeitalter der Ferienreisen und des unbeschwerten Reisens in kurzer Zeit zu weit entfernten Zielen. Die Einreise in gewisse Länder war immer schon schwerer als in andere, doch eigentlich war in den ersten zwei Dekaden des 21. Jahrhunderts die globale Mobilität für viele Menschen, zumindest jenen aus der 1. Welt, reiner Alltag.

Wegen Corona wurde und wird diese freie Mobilität derzeit massiv eingeschränkt. Das bringt zahllose Industrien - allen voran die Tourismus- und Luftfahrt-Industrien - in enge Nöte, abertausende Arbeitsplätze gehen verloren. Um zu überleben, treiben diese Industrien nun seltsame Blüten. Beispielsweise bieten Qantas oder Singapore Airlines Flüge ins Nirgendwo an - man kann fliegen, geniesst Aussicht und Service, landet jedoch wieder am selben Ort, wo man gestartet ist. Sie finden das sinnlos? Der erste solche Qantas-Flug war innert zehn Minuten ausverkauft.

Es gibt weitere Beispiele: Thai Airways oder Garuda Indonesia haben damit begonnen, ihre Inflight-Mahlzeiten direkt an Kunden zu verkaufen, d.h. die Spezialitäten werden am Boden verkauft und verspeist. Singapore Airlines hat gar zwei ihrer gegroundeten B747 kurzfristig in Restaurants umgewandelt. Trotz happiger Preise für die Mahlzeit an Bord (aber am Boden) war auch hier das Angebot schnell ausverkauft.

Macht Euch Gedanken zum Reisen

Die Frage ist: Hätten solche Angebote auch zu normalen Zeiten funktioniert? Wohl kaum. Der ökologische Unsinn von Flügen ins Nirgendwo rückt aktuell in den Hintergrund, weil die Menschen dermassen nach Reise-Erlebnissen lechzen, dass sie sogar solchen Nonsens buchen. Was die Frage aufwirft, was wir am Reisen denn genau vermissen. Ist es wirklich einfach das Mit-einem-Flugzeug-fliegen? Für die meisten von uns ist dies längst kein «Erlebnis» mehr, sondern eine Notwendigkeit, in manchen Fällen gar ein «notwendiges Übel», um von Punkt A nach Punkt B zu gelangen. Da muss man sich das nicht einfach so als Flug ins Nirgendwo antun. Und freiwillig Bordmahlzeiten essen? OK, bei den asiatischen Airlines mag das funktionieren; bei vielen anderen Airlines kann man sich kaum vorstellen, dass dieses Essen so vermisst wird, dass man sich dieses nun zwingend am Boden antun muss, nur weil man aktuell kaum irgendwohin fliegen kann.

Was vermissen wir denn nun also konkret? Es ist die Sehnsucht nach der Ferne, sicherlich auch nach wie vor das anderorts oftmals bessere Wetter, den kulturellen Unterschied. Ich denke nicht, dass sich das Reisebedürfnis infolge von Corona grundsätzlich ändert, aber vielleicht trägt Corona zumindest dazu bei, dass man sich - in Ermangelung von Reisemöglichkeiten - künftig genauer überlegt, wohin man reist, wie man reist und was die Reise überhaupt bezwecken soll. Das Reisen um des Reisens willen, oder für das Instagram-Bildli, kann es ja eigentlich nicht sein. Wenn die Grenzen bald mal wieder offen sind - hoffentlich sehr bald - werden zahllose Menschen wieder reisen wollen. Das ist gut so. Sie werden es aber vielleicht ein bisschen mehr bewusst machen. Und auch das ist gut so.