Tourismuswelt

Offene Grenzen, zumindest innerhalb Europas, sind nicht nur aus Sicht der Reisebranche wichtig - sie fördern Partnerschaft, Kooperation und Wirtschaft. Bild: AdobeStock

Die EU bemüht sich um Einheit und Koordinierung bei den Quarantänepflichten

Jean-Claude Raemy

Die EU-Kommission hat Empfehlungen für eine bessere Koordination der Mitgliedsstaaten in Sachen Reisebeschränkungen erlassen. Derweil regt sich immer breiterer Widerstand gegen die Quarantäneregelungen per se. Das BAG hat uns darüber hinaus erklärt, wieso gewisse Länder wider allen Erwartungen nicht auf der Risikoländerliste landen.

Das aktuelle Chaos mit den gegenseitigen, auf unterschiedlichen Einschätzungen fussenden Quarantänebestimmungen beeinträchtigt den Reiseverkehr gerade innerhalb Europas massiv. Diese Einsicht setzt sich langsam durch, nicht nur in der Reisebranche. Wie auch von Travelnews gefordert, haben die Taskforce Reisebranche (bestehend aus den Reiseverbänden SRV, STAR und TPA) sowie die wichtigsten Airlines und Flughäfen der Schweiz als Mitinitianten und Unterzeichner die von Schweiz Tourismus am Montag (7. September) lancierte Kampagne «Testen statt Quarantäne» unterstützt. Die Schweizer Tourismusbranche, Wirtschaftsverbände und Wirtschaftsvertreter der führenden Reiseorganisationen unterstützen diese Idee und bitten den Bundesrat und die entsprechenden Entscheidungsträger Massnahmen zu treffen um dem massiven Verlust von Arbeitsplätzen und nachweislichen volkswirtschaftlichen Schaden entgegenzuwirken. Die konkrete Forderung an den Bundesrat ist unter diesem Link nachzulesen.

Inzwischen tut sich aber auch was auch höherer Ebene. Die EU-Kommission hat nämlich eine «Council Recommendation» publiziert, welche zum Ziel hat, dass die Corona-bedingten Restriktionen der Bewegungsfreiheit im europäischen Raum gemeinsam koordiniert werden. Empfohlen werden darin gemeinsame Kriterien für die Einführung allfälliger Restriktionen, (angefangen etwa bei einem gemeinsamen Standard hinsichtlich der Neuinfektions-Raten, welche zu einer Grenzschliessung führen sollen - aktuell sind die Limiten von Land zu Land unterschiedlich. Auch die «Ampelsysteme» und die Hygiene-Massnahmen sollen vereinheitlicht werden, und ein klares Vorgehen hinsichtlich der Kommunikation allfälliger Massnahmen etabliert werden.

EU-Justizkommissar Didier Reynders erklärt etwa: «Das Recht, sich innerhalb Europas frei zu bewegen, wurde durch die Pandemie schwer beeinträchtigt. Besonders schwer für viele Bürger, die problemloses Reisen erwarten oder darauf angewiesen sind, wiegt die aktuelle Kakophonie nationaler Regelungen innerhalb des EU-Raums. Deshalb braucht es länderübergreifende, klare Kriterien.»

EU-Vorschlag: <50/100'000 Neuinfektionen, <3% Positivitätsrate

Der Ansatz der EU ist also etwas anders: Es soll weiterhin Quarantäneregelungen geben, nur müssen diese allgemeingültig, verständlich und sauber kommuniziert sein. Interessant sind hierbei die konkreten Empfehlungen der EU-Kommission. Diese sehen wie folgt aus:

Davon ausgehend, dass in einem Land pro Woche mindestens 250 Tests pro 100'000 Einwohner durchgeführt werden, soll die Reisetätigkeit nicht mehr eingeschränkt sein, sofern

  • über eine Dauer von 14 Tagen die Anzahl Neuinfektionen unterhalb von 50 Fällen pro 100'000 Einwohnern liegt
  • der prozentuale Anteil positiver Tests gemessen an der Gesamttest-Zahl unterhalb von 3 Prozent liegt

Dazu soll es klare Farbcodierungen beim Ampelsystem geben: «Grün» für Länder mit weniger als 25 Fällen/100'000 bzw. unter 3% Positivitätsrate, «Orange» für Länder mit weniger als 50 Fällen/100'000 ABER mehr als 3% Positivitätsrate, und «Rot» für Länder mit mehr als 50 Fällen/100'000 sowie über 3% Positivitätsrate (oder mehr als 150 Fälle/100'000 über 14 Tage hinweg). Ein Rundum-Verbot von Einreisen soll verhindert werden. Allerdings sind verhängte Quarantänen in den meisten Fällen einem Einreiseverbot gleichzusetzen.

Die EU-Kommission will diesen Vorschlag bereits «in den kommenden Wochen», nach eingehenden Gesprächen mit den Mitgliedsstaaten sowie den Schengen-Staaten (wozu auch die Schweiz gehört), zu einem bindenden Vorschlag umsetzen. Unseres Wissens sind auch Länder, die bislang deutlich strengere Massstäbe ansetzen (etwa Finnland und Norwegen), am Verhandlungstisch mit dabei, stellen sich also nicht quer.

Interessant ist in diesem Zusammenhang noch, dass sich der in Brüssel ansässige Reisebranchen-Dachverband ECTAA (European Travel Agents' and Tour Operators' Associations) im Rahmen eines «European Tourism Manifesto» auch zugunsten einer Harmonisierung der Einreisebeschränkungs-Massnahmen auf EU-Niveau eingesetzt hat.

Test oder Quarantäne?

Man sieht: Primär wird auf EU-Niveau an der Harmonisierung, nicht aber der Abschaffung, der Quarantäneregelungen gearbeitet. Die Reisebranche indes möchte längst Testpflichten statt Quarantäneregeln sehen.

Das Problem bei Letzterer ist die Unvorhersehbarkeit - ein Problem, an welchem die EU aktuell aber zu arbeiten scheint. Vorerst aber sind die Länder deren Risiko-Einschätzungen noch individuell am handhaben, darüber hinaus mit nicht immer (für die Öffentlichkeit) klaren Kriterien.

Wir hatten neulich beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) nachgefragt, weshalb Frankreich oder auch die Kanaren nicht auf der neusten Risikoländerliste erschienen, obwohl eigentlich die Kriterien, epidemiologisch betrachtet, für die Aufnahme auf die Liste ausgereicht hätten. So antwortete uns BAG-Sprecher Daniel Dauwalder: «Ein Land bzw. eine Region kommt nicht automatisch auf die Liste, wenn es die Grenze von 60 Fällen auf 100'000 Bewohner innerhalb von 14 Tagen überschreitet. Die Überschreitung muss vertieft analysiert werden. Bezüglich Frankreich laufen die Analysen und Diskussionen weiterhin über dessen spezielle Situation - auch darüber, ob einzelne Regionen auf die Quarantäneliste aufgenommen werden sollten.»

Und wie lange muss man sich in einem Land aufhalten, damit man in Quarantäne muss? Dabei gilt: Wer sich unter 24 Stunden in einem Risikoland befindet, muss nicht in Quarantäne. Damit sind Bedenken hinsichtlich Transits wohl beantwortet.