Tourismuswelt

In der Herbstsession des Parlaments (im Bild der Ständeratssaal) geht es um für viele Reisefirmen überlebenswichtige Themen. Bild: Parlament.ch

Darüber wird in Bern konkret debattiert

Jean-Claude Raemy

Die Reisebranche blickt gebannt nach Bern, wo die heute beginnende Herbstsession des Parlaments nochmals Hoffnung auf finanzielle Unterstützung in der dunkelsten Stunde der Krise aufleben lässt. Wir zeigen auf, worum es geht - und äussern uns per beigefügtem Kommentar zu den Erfolgsaussichten.

Die Herbstsession des Parlaments geht heute Montag (7. September) los. In den kommenden Tagen werden Angelegenheiten behandelt, welche wesentlich für die gebeutelte Tourismusindustrie (sowohl Outgoing als auch Incoming) sind. Dabei ist übrigens nicht die Rede davon, schon vor der Pandemie «wacklige» Firmen am Leben zu erhalten, sondern die Überlebensfähigkeit von Betrieben, welche vor der Krise profitabel waren, zu sichern.

In der letzten Woche wurden bereits einige Weichen gestellt. Zum einen wurde klar, dass die Tourismusindustrie definitiv zu jenen «Härtefällen» gehört, welche durch die pandemiebedingten Einschränkungen des öffentlichen Lebens in besonderem Masse betroffen ist. Das ebnet den Weg, um im Rahmen des Covid19-Gesetzes überhaupt branchenspezifische Sonderhilfe erhalten zu können. In diesem Zusammenhang wurde bekannt, dass diese Woche von Hannes Germann (Ständerrat SVP/SH) und Philipp Bregy (Nationalrat CVP/VS) im Parlament noch zwei Kommissions-Motionen eingereicht werden, die im Kontext mit dem Bundesgesetz über die gesetzlichen Grundlagen für Verordnungen des Bundesrates zur Bewältigung der Covid19 Epidemie stehen. Diese werden unseres Wissens in diesen Stunden ausgearbeitet.

Wichtig zu wissen hinsichtlich der Besprechung des Covid19-Gesetzes im Parlament: Mit dem Gesetzesentwurf beantragt der Bundesrat dem Parlament, die gesetzlichen Grundlagen zu schaffen, damit das bisherige Massnahmenpaket im Zusammenhang mit der Covid19-Pandemie fortgeführt werden kann. Der Bundesrat musste dies tun, damit die Verordnungen, die er direkt auf Artikel 185 Absatz 3 der Bundesverfassung abgestützt hatte, nach sechs Monaten nicht automatisch ausser Kraft treten. Das Gesetz betrifft die Gesundheitsversorgung, den Arbeitnehmerschutz, den Ausländer- und Asylbereich, die Entschädigung des Erwerbsausfalls und die Arbeitslosenversicherung. Dagegen regt sich allerdings auch schon Widerstand.

Bereits im Vorfeld eingereicht wurden überdies zwei Motionen der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-N) im Zusammenhang mit der Kurzarbeitsentschädigung. Die SGK-N fordert die Weiterführung der Kurzarbeitsentschädigung; darüber wird am morgigen Dienstag (8. September) im Nationalrat debattiert. Das Gleiche fordert Ständerätin Marina Carobbio Guscetti im Ständerat; darüber wird gemäss aktuellem Sessionsprogramm des Ständerats am Mittwoch, 9. September debattiert. Carobbio Guscetti argumentiert, dass die Situation auf dem Arbeitsmarkt nach wie vor sehr angespannt sei und weitere Massnahmen ergriffen werden müssen, um die Arbeitsplätze zu sichern und Massenentlassungen zu verhindern. Der Bundesrat folgt dieser Argumentation nicht und beantragt die Ablehnung der Motionen.

Dann gibt es noch die «Motion Ettlin», welche auf die Verlängerung der befristeten Entbindung von der Pflicht zur Überschuldungsanzeige bis 31. Dezember 2021 abzielt. Ohne diese Möglichkeit werden viele touristische Betriebe mit einer in der Tourismusbranche typischerweise tiefen Eigenkapitalquote in die Überschuldungsfalle geraten. Insbesondere der Schweizer Tourismus-Verband (STV) hat sich stark für diese, aber auch für die anderen genannten Motionen sowie für die Weiterführung des Covid19-Gesetzes engagiert.

Die Umwelt geht nicht vergessen

Angesichts der Dringlichkeit vieler Geschäfte, die den (touristischen) Arbeitsmarkt betreffen, geht fast unter, dass es zahlreiche Geschäfte im Umweltbereich gibt, welche ebenfalls von Interesse für die Tourismusbranche sind. So wird bereits heute Nachmittag (7. September) im Ständerat über die Totalrevision des CO2-Gesetzes debattiert. Dies vor dem Hintergrund, dass die Schweiz ihre Treibhausgasemissionen bis 2030 gegenüber 1990 halbieren muss.

Der Bundesrat hatte dem Parlament ein Portfolio an Massnahmen vorgeschlagen, welches nach der Differenzbereinigung in der Umweltkommission des Ständerates nun bereit für die zweite Beratung im Ständerat ist. Unter anderem geht es dabei um Massnahmen, mit welchen auch der fluggebundene CO2-Verbrauch reduziert werden soll. Dabei will die Kommission nicht nur eine Abgabe für Linien- und Charterflüge, sondern auch für Privat- und Geschäftsflüge. Diskutiert werden auch die Motionen «Klimaschutz endlich auch im Flugverkehr» sowie «Angabe der CO2-Emissionen beim Kauf eines Flugtickets».


KOMMENTAR: Was darf man erwarten?

Realistisch betrachtet wird es noch dauern mit der Hilfe - wer meinte, schon im Verlauf der Session finanzielle Sofortunterstützung zu erhalten, dürfte sich täuschen. Es geht nämlich um einen enorm komplexen Prozess. Das Covid19-Gesetz muss erst einmal per Parlamentsbeschluss fortgeführt werden können; wenn dies Tatsache ist - dafür stehen die Chancen eigentlich gut - müssen justizielle, verfahrensrechtliche, gesellschaftsrechtliche und insolvenzrechtliche Massnahmen umgesetzt werden. Sprich, dann müssen - allenfalls branchenspezifisch - Lösungen erarbeitet werden. Dabei sind komplexe Fragen zu behandeln: Wie sieht der Strukturerhalt konkret aus? Welche Firmen sollen überhaupt unterstützt werden (wie eingangs erwähnt sollen ja primär zuvor gesunde Firmen und nicht giesskannenartig alle Firmen Hilfe erhalten), und wie sollen sie konkret unterstützt werden? Die Umsetzung und anschliessende gesetzliche Verankerung wird nochmals Zeit beanspruchen.

Zeit, welche zahlreiche Firmen im Tourismus möglicherweise nicht haben. Es ist aber auch Zeit, welche ein sauberer demokratischer Prozess benötigt, wobei mit dem Covid19-Gesetz eigentlich der Bundesrat ermächtigt wird, also schon etwas am basisdemokratischen Prozess gefeilt wird.

Klar, die Zeit drängt. Und allein mit (rückwirkenden) EO-Auszahlungen ist der Karren noch nicht aus dem Dreck gezogen, unter anderem, weil die unmittelbaren Zukunftsprognosen weiterhin schlecht sind. Da gibt es eher einen Ansatz, um die Politik zur Verantwortung zu ziehen als bei der Ausarbeitung von Hilfeleistungen: Die de-facto-Reiseverbote mittels der unsäglichen «Risikoländer-Quarantäneregelung» müssen bald aufhören. Das würde der Branche wohl am meisten helfen.

Vorerst aber dürfte es weiterhin eine Kluft zwischen den Erwartungen vor allem der KMU und der Schnelligkeit und dem Umfang der Hilfsleistungen geben. Resignieren ist sicher nicht angebracht und der Einsatz vieler Akteure, um für Aufmerksamkeit in Bern zu sorgen, ist löblich. Trotzdem dürfte die Hilfe für viele betroffene Unternehmen zu spät kommen. Vom Konsolidierungsprozess profitieren werden vor allem Grossunternehmen, welche dank einer starken Konzernmutter finanziell über die Runden kommen - die Rede ist natürlich primär von Hotelplan/Migros, DER Touristik Suisse/Rewe und TUI Suisse/TUI AG. Das mag diesen Firmen gegönnt sein, doch ist natürlich ein vielseitiger Markt mit zahlreichen dynamischen KMUs eigentlich viel wünschenswerter. Ob es diesen Ende 2021 noch geben wird, haben die Politiker nun zumindest teilweise in der Hand.