Tourismuswelt

Wann werden wir wieder bedenkenlos interkontinentale Ferien machen können – wie hier in den Strassen von Bangkok? Bild: Adobe Stock

«Es wird zu einer Angebotsbereinigung kommen»

Nadia Imbaumgarten

Die Tourismusindustrie steht vor einschneidenden Veränderungen. Im Experten-Interview zeichnet Dr. Monika Bandi mögliche Szenarien auf. Sie geht von höheren Flugpreisen und deutlich weniger Fernreisen im Jahr 2025 aus.

Im besten Fall könne die Tourismusindustrie die Corona-Krise im Sommer 2021 hinter sich lassen, prognostizierte vergangene Woche Prof. Dr. Christian Laesser von der Universität St. Gallen. Diese Woche im Experten-Interview: Dr. Monika Bandi Tanner, Leiterin der Forschungsstelle Tourismus an der Universtität Bern. Sie beantwortet unsere Fragen rund um anstehende Veränderungen, nachhaltigen Tourismus und die kommende Angebotsgestaltung.

Frau Dr. Bandi, in den letzten Jahren wurde das Reisen oft mit Overtourism, Respektlosigkeit gegenüber Mensch, Kultur und Tier und schnellem Tourismus in Verbindung gebracht. Wird sich das Verhalten des Konsumenten hinsichtlich Reisen und Ferien verändern?

Dr. Monika Bandi: Ich kann mir vorstellen, dass es eine Chance für ein geschärfteres Bewusstsein der Reisenden sein kann. Bis heute sind die negativen Auswirkungen auf den Tourismus oft auf den Anbieter zurückgefallen. Der Konsument hat oft nicht viel davon mitbekommen, wenn ein Anbieter beispielsweise aufgrund von Klimawandel, Permafrost und Extremereignissen sein Angebot anpassen musste oder gar nicht anbieten konnte. Der Anbieter hat bislang oft abgefedert und geschaut, dass das Ferienglück des Konsumenten gelingen kann. Nun merken die Reisenden durch die Krise plötzlich, dass Reisen und unterwegs sein mühsam sein kann, risikoreich und aufwändig ist. Und genau hier sehe ich eine Veränderung durch die Krise, indem es gegenüber den Konsumenten eine direktere Rückkoppelung gibt. Dass man als Reisender merkt, dass das Reisen eine Wechselwirkung hat und nicht nur unbeschwert und einfach ist. Hier habe ich den Eindruck, dass der Reisende ein geschärfteres Bewusstsein entwickeln kann.

Dr. Monika Bandi Tanner.

Wie kann hier der Reiseanbieter handeln?

Wenn man als Reiseanbieter Probleme und aber auch Lösungen bemerkt, ist ein darauf aufmerksam machen wohl angebracht. Als Reiseanbieter wird man wohl ein kluger Umgang, wie man auf die Bedenken der Konsumenten reagiert, entwickeln müssen. Die Menschen benötigen wohl in der Zukunft wieder etwas Motivation für das Reisen und vor allem auch eine gewisse Sicherheit. Denn an der Lust zu Reisen fehlt es bei den meisten wohl kaum. Zudem wird diese Lust, je länger die Einschränkungen andauern, mehr und mehr kommen. Ganz klar, es ist abhängig wie wie sich die Pandemie entwickelt und das Reisen so stark negativ betrifft.

Werden wir wieder zu alten Gewohnheiten, wie günstigem Fliegen und schnellem Reisen zurückfallen?

Es kommt etwas darauf an, welche Anbieter-Systeme dann noch verfügbar sind. Ich denke, wenn beispielsweise Airlines wie Easyjet weiterhin einen Flug für 40 Franken nach Barcelona möglich machen, dann wird nicht mehr viel dagegensprechen, dass ein Konsument wieder diesen Weg wählen wird. Je länger die Pandemie jedoch anhält, umso eher kommt es dazu, dass die Anbieter ihre Kosten und Angebote verändern müssen. Plötzlich gibt es vielleicht weniger und teurere Angebote. Dann kostet Barcelona einfach wieder 300 Franken und ist allenfalls nur zweimal pro Woche verfügbar. Aber in der Tat wird wohl ein grosser Teil der Konsumenten wieder zurück zu «Status quo» gehen, wenn es möglich ist.

Von nachhaltigem Tourismus kann bei einem Flug für 40 Franken nach Barcelona nicht die Rede sein. Doch haben sich einige Konsumenten in den letzten Jahren auch sehr bewusst gegen solche Angebote gestellt und wählen mit Absicht den teureren Flug oder alternative Möglichkeiten, um nach Barcelona zu kommen. Ist dies nur ein vorübergehender Trend oder wird nachhaltiger Tourismus Zukunft haben?

Nachhaltigen Tourismus gibt es nicht. Es gibt nachhaltige Entwicklungen im Tourismus. Es kann gut sein, dass viele Konsumenten in alte Muster zurückfallen und den günstigeren Flug buchen werden. Reisen hat zwei Erklärungsaspekte: Die einen reisen, weil sie vor dem Alltag flüchten wollen, eine Auszeit geniessen wollen und einen Tapetenwechsel brauchen. Die andere Erklärung ist: Man reist, weil man entdecken will. Andere Kulturen, andere Menschen, andere Landschaften. Eintauchen in andere Welten. Und hier wird, je länger die Pandemie andauert, der Wille weg zu gehen und dieses Unbekannte zu erleben, grösser. Wenn das Verlangen dann so gross ist, nehmen wir auch gewisse Konsequenzen auf uns. Wir planen unsere Ferien länger und gehen vielleicht weniger oft weg, aber dafür bewusster.

«Die Sicherheitsvorkehrungen werden sich in der Kostenstruktur widerspiegeln.»

Im Tourismus wird sich in den kommenden Jahren viel verändern. Wie wird sich die Angebotsgestaltung bis 2025 verändern?

Wir dürfen es nicht unterschätzen, viele Betriebe werden nicht so lange durchhalten können. Beim Outgoing beispielsweise haben wir keine Substitutionsmöglichkeiten. Bei Grossstädten kann man noch sagen, man kann statt den Geschäftstouristen, reisemotivierte Touristen in die Städte locken. Ich gehe davon aus, dass sich uns in den kommenden paar Monaten einschneidende Veränderungen zeigen. Es wird zu einer gewissen Angebotsbereinigung kommen. Nehmen wir die Airlines als Beispiel: Hier haben wir jetzt schon gesehen, dass sich was ändert: Nachtzüge werden wieder vermehrt angeboten. Die Reisebranche wartet nicht ab, was als nächstes passieren könnte und handelt erst dann. Es wird schon jetzt davon ausgegangen, dass wir mit dieser Krise eine längere Zeit konfrontiert sein werden. So wird eine Angebotsbereinigung stattfinden, aber auch Weiterentwicklung, denn das Ferienbedürfnis wird es bei Wohlstand auch in Zukunft geben.

Wo werden wir im 2025 Ferien machen?

Vielleicht wird es wieder mehr ein europäisches Phänomen sein oder zumindest ein kontinentales Phänomen in der Welt. Die Fernreisen werden etwas abflauten, nicht das es keine Fernreisen mehr geben wird, sondern dass wir eher näher reisen. Möglicherweise auch etwas ruhiger. Denn je weiter weg man geht, desto mehr Aufwand muss bei den Vorbereitungen betrieben werden. Ich hatte den Eindruck, in den letzten Jahren war einfach alles möglich hinsichtlich Reisen. Auch für jedes Budget war das Verreisen möglich – es schien grenzenlos zu sein. Es ist jedoch reine Vermutung wenn ich sagen würde, wie die Angebotsgestaltung im Jahr 2025 aussehen wird. Entscheidend ist, wie sich die Pandemie entwickelt, gesundheitlich gesehen. Darauf aufgebaut steht uns die Politik die Rahmenbedingungen ab, und erst dann kommen die Bedürfnisse der die Wirtschaft und des Tourismus.

Sie haben das Budget angesprochen - wird das Reisen mehr und mehr nur etwas für gut verdienende Personen?

Ja. Dadurch, dass es teurer, aufwändiger und risikoreicher wird, wird es sicher dazu führen, dass nicht mehr allen alle Optionen zur Verfügung stehen werden. Die ganzen Sicherheitsvorkehrungen und Bestimmungen werden sich in der Kostenstruktur der Anbieter widerspiegeln. Wenn an einem Flughafen nicht mehr 1000 Flieger am Tag landen, sondern nur noch 500 Flieger, so muss die Infrastruktur trotzdem vollumfänglich bezahlt werden und diese werden in den Ticketpreisen beglichen. Gewisse Angebote werden ihren Preis erhalten. Zudem dürfen wir nicht vergessen, dass sich eine solche Krise auch immer in der Einkommenssituation widerspiegeln wird und der der Tourismus als Wohlstandsphänomen dann noch nachgelagert die Auswirkungen davon spüren wird.