Tourismuswelt

Trafen sich am Gate 42 des Flughafens Zürich mit weiteren Diskussionsteilnehmern zum SRF Club: Swiss-CEO Thomas Klühr (links) und André Lüthi, CEO Globetrotter Group. Bild: Screenshot SRF

«Airlines müssen das Geld jetzt treuhänderisch verwalten!»

Im gestrigen «SRF Club» mit Thomas Klühr, Stephan Widrig, André Lüthi und weiteren Gästen wurde über die auf den Kopf gestellte Reisewelt gesprochen. Wir fassen die inhaltlichen Highlights zusammen.

Die Reisewelt steht praktisch still, die Fragezeichen um die weltweiten Reiseströme sind gross. Entsprechend gut gewählt war der Austragungsort der gestrigen SRF-Diskussionsrunde «Club»: im leeren Dock E des Flughafens Zürich, wo zu Normalzeiten die Jets Richtung Asien, Afrika, Süd- und Nordamerika abheben.

Falls Sie den SRF Club vom 21. Juli 2020 nicht gesehen haben oder diesen nicht anschauen möchten, fassen wir hier einige Highlights zusammen:

So leer das Dock E ist, so reichhaltig waren die Fragen von Club-Moderatorin Barbara Lüthi in die illustre Runde. Angesichts der nur 75 Minuten dauernden Sendung war die Themenvielfalt aber allzu gross, weniger wäre mehr gewesen. Dass die erste Schweizer Linienpilotin Regula Eichenberger auch noch gefragt wurde, wie es damals war als erste Frau im Cockpit zu sitzen, war zwar belustigend – Moritz Suter verlangte von ihr, im Jupe zu fliegen –, zur brisanten Corona-Diskussion trug dies wenig bei.

Auch die Diskussionsteilnahme von Musiker Endo Anaconda hätte man sich schenken können, so gut seine beiden vorgetragenen Lieder waren. Als Diskussionsteilnehmer irritierte er mehr mit seiner ausufernden, sich in Rage steigernden Art – mit den Last-Minute-Angeboten komme die Corona-Ebola-Beulenpest zu uns... Ein wortgewaltiger Tsunami ist er zweifellos, aber die Diskussion litt da zwischendurch.

«Im nächsten Jahr erwarten wir noch eine Umsatzeinbusse von 30 bis 40 Prozent.»

Gute Noten holte sich Thomas Klühr ab. Sogar vom Chefökonomen des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, Daniel Lampart, erhielt der Swiss-CEO ein Lob, weil den Wenigverdienern der Kurzarbeitslohn auf 100 Prozent aufgerundet wird – oder zumindest worden ist in den Anfangsmonaten der Krise. Mit seiner sachlichen, bedachten Art und einer neuerlichen Entschuldigung wegen den verzögerten Rückzahlungen konnte er beim Publikum zweifellos punkten und für Verständnis sorgen. Nachdem die Swiss in den Monaten März und April täglich über drei Millionen Franken verbrannte, liege dieser Betrag heute deutlich unter einer Million, erwähnte er. Und der Hub Zürich werde es in der bisherigen Form auch in Zukunft geben, nicht morgen oder übermorgen, aber bis in zwei, drei Jahren.

André Lüthi bezifferte das Ausmass der Corona-Krise bei der Globetrotter Group. 85'000 Umbuchungen und Annullationen musste Globetrotter jüngst vornehmen, er rechnet in diesem Jahr mit einem Umsatzeinbruch von 75 Prozent, im nächsten Jahr noch von 30 bis 40 Prozent. Und in Richtung Thomas Klühr sagte Lüthi im Namen der Schweizer Reisebüros: «Es kann nicht mehr sein, dass die Airlines von Kundenvorauszahlungen leben. Das Geld muss künftig treuhänderisch verwaltet werden!»

Linienpilotin Regula Eichenberger, die schon drei Groundings mitgemacht hat, verdeutlichte die Personalkrise: «Bei früheren Groundings konnten sich die Piloten bei anderen Airlines einen Job suchen. Doch heute können sie sich nirgends auf der Welt bewerben.» Bei jungen Piloten sei derzeit Panik und Existenzangst auszumachen.

Unisono sagten Flughafen-Chef Stephan Widrig, Thomas Klühr und André Lüthi, dass es in dieser Zeit darum gehe, für Mitarbeiter greifbar und spürbar zu sein, nicht nur im Sendemodus zu sein, sondern auch zuzuhören, es brauche Ehrlichkeit.

Nach dem Lob an die Swiss verteilte Daniel Lampart eine Schelte Richtung eines Zürcher Fünfsterne-Hotels, das einen 64-Jährigen auf die Strasse gestellt hat, ohne Hilfe zu leisten, obwohl das Hotel selber finanziell mehr als gut gebettet sei.

«Ein Marschhalt kann durchaus auch einmal gut sein.»

Bei der Frage, wie wir nach Corona reisen werden, hielt Thomas Klühr fest, dass sich etwas ändern wird, aber dass die Menschen nach wie vor reisen wollen, Freunde, Familie und Geschäftspartner treffen möchten. Videokonferenzen liessen das Reisen nicht ersetzen.

Umweltnaturwissenschaftlerin Greta Stieger, Projektleiterin «Zug statt Flug» vom Verein Umverkehr, gab Gegensteuer: «Wir müssen die Mobilität neu denken. Die virtuelle Mobilität ermöglicht uns die Verkehrsströme zu reduzieren und die Pendlerspitzen zu brechen. Herr Klühr, sind Sie sich des Ausmasses der Klimakatastrophe bewusst?». Weiter sagte Stieger, dass Reisen nicht mit Fliegen gleichzusetzen sei, man könne auch tolle Gegenden und Leute ohne Flug kennenlernen. Und sie erwähnte ihre neuliche, zweitägige Zugreise nach Schottland und wie gut diese langsame Art des Reisens war, wie früher bei einem Backpacker-Trip nach Südamerika. «Fliegen hat zu recht einen schlechten Ruf, Fliegen ist die klimaschädigendste Form des Reisens», sagte sie weiter.

Dann geriet die Umweltwissenschaftlerin mit Klühr und Lüthi in den Clinch wegen der Flugticketabgabe. Sie unterstrich das Verursacherprinzip, Lüthi forderte die Gelder für die Enwicklung neuer Treibstoffe einzusetzen und Klühr beklagte die Wettbewerbsverzerrung.

Während Stephan Widrig 74 Minuten lang eher zurückhaltend war, setzte er dann aber zu einem fulminanten Schlusswort an – bei Barbara Lüthis Frage, ob Corona denn auch eine Chance sein könne: «Sicher, es hilft wieder einzujustieren. Wir lernen virtuelle Instrumente zu verwenden. Wir lernen aber auch, dass nichts über den persönlichen Austausch geht und lernen wieder, was ist wirklich wichtig und was nicht. Wir lernen auch, dass die Welt zusammengehört. Und da kann ein Marschhalt durchaus auch einmal gut sein. Nun müssen wir schauen, dass aus diesem Marschhalt nicht eine Havarie entsteht, bei der die ganze Welt in eine wirtschaftliche Krise gerät, um eben nicht am Schluss plötzlich eine Welt zu haben mit mehr Armut und eine Welt, die nicht mehr so fit ist – das wäre das Ziel.»

Klar, dieser SRF Club hat sich wohl etwas zu viel zugemutet, wohl auch den einen oder anderen Gast zu viel. Die Themenbrisanz und Bandbreite der Reisewelt während der Coronakrise ist derzeit immens. Einige gute Inputs und Aussagen gab die Runde aber allemal her.

(GWA)