Tourismuswelt

Früher sammelte man Stempel im Pass- künftig muss man wohl Impfungen im Gesundheitspass sammeln, um reisen zu dürfen. Bild: ConvertKit

Fürs Reisen braucht es künftig wohl einen Gesundheitspass

Der herkömmliche Reisepass wird vorerst nicht mehr reichen. Die EU verhandelt über einen allgemeingültigen Gesundheitspass, welcher die Wiederaufnahme der Reisetätigkeit beschleunigen soll.

Im Positionspapier des Schweizer Visa-Startups Viselio hinsichtlich dem Reisen «post Corona», welches bei Travelnews vorgestellt wurde, wird festgehalten, dass Gesundheit ein wesentliches Reisekriterium der näheren Zukunft sein wird und dass zahlreiche Länder bereits daran sind, Kriterien für «Immunitäts-Pässe» zu erarbeiten. Wie diese aussehen sollen, ist höchst umstritten und von Land zu Land verschieden. Umstritten deshalb, weil es Argumente gibt, wonach von einer Coronavirus-Infektion Genesene durchaus wieder angesteckt werden können, und ob der Nachweis von Antikörpern angesichts der Mutationen des Virus überhaupt genügend Schutz bietet.

Das ändert nichts daran, dass an einer Form getüftelt wird, wie man «gesunde Menschen», wie auch immer definiert, nicht länger am reisen hindern will. Die beste Lösung wäre natürlich eine allgemeingültige Lösung. Das haben inzwischen auch die EU-Minister erkannt. Im Rahmen einer Videokonferenz wurden letzte Wochen Massnahmen diskutiert, mit denen Reisende geschützt und gleichzeitig der europaweite Tourismus wieder hochgefahren werden können - was inbesondere für Mittelmeerziele wie Italien, Griechenland, Spanien oder Kroatien extrem wichtig ist. Diskutiert wurde auch ein Impf-Zertifikat mit dem vorläufigen Titel «COVID-19 Passport». Darin soll künftig der Gesundheitszustand des Dokumentinhabers festgehalten sein, und damit verbunden eine Regelung, welche für die ganze EU inklusive Schengenraum (also auch der Schweiz) gültig sein soll. Sprich: Wer laut diesem Pass als gesund gilt, soll frei reisen dürfen. Die Einführung wäre allerdings auch an Bedingungen von Seiten der Tourismusziele geknüpft, etwa hinsichtlich den Regelungen zu Social Distancing bei Sehenswürdigkeiten oder auch hinsichtlich einem Tracking der Reisenden, für den Fall von neuen Infektionsausbrüchen.

Ohne einheitliche Regelung kein Reisevertrauen

Weitere Details liegen aktuell noch nicht vor, ausser dass nächste Woche eine neue Diskussionsrunde zu diesem Thema stattfindet. Probleme bei der Ausarbeitung sind etwa unterschiedliche Regelungen der EU-Länder hinsichtlich der Reiseeinschränkungen - zuletzt etwa Deutschland mit seinm bis Mitte Juni gültigen Touristenbann - oder auch Bedenken hinsichtlich Datenschutz (wegen dem Tracking). Dies führt dazu, dass dieser «Gesundheits-Pass» nicht allzu schnell vorliegen wird, obwohl der Zeitfaktor für die europäische Tourismusbranche ganz entscheidend ist.

Während die EU-Minister einig sind, dass es diesen grundsätzlich braucht, basteln die einzelnen europäischen Länder unilateral an eigenen Lösungen weiter, welche die zu erwartenden EU-Bestimmungen ergänzen sollen, oder vielleicht auch schon in vorauseilendem Gehorsam diese vorwegnehmen, obwohl ja noch unklar ist, wie es genau aussehen wird. Klar, dass darin wieder riesiges Verwirrungspotenzial drin steckt.

Beispiel: Italien, so etwas wie Ground Zero der Pandemie in Europa, bastelt an einem eigenen Gesundheits-Pass, welcher in Kraft treten soll, wenn Phase 2 der Lockerungen der am 9. März eingeführten behördlichen Bestimmungen eintritt. Die gebeutelte italienische Wirtschaft pocht auf Lockerungen per 18. Mai. Mitten drin: Der Tourismus, der 15 Prozent des italienischen Bruttoinlandprodukts ausmacht. Sardinien, vom Tourismus stark abhängig, von der Pandemie aber praktisch gar nicht betroffen, will gar ein eigenes Gesundheits-Papier von Reisenden verlangen, um die Infektionsraten weiterhin tief zu halten, bei einer gleichzeitigen Öffnung der Insel für den Tourismus. Andere Inseln wie Capri und Ischia sollen ähnliche Massnahmen prüfen.

Klar: Auf Inseln lässt sich die Einreise besser kontrollieren, so dass dies aus deren Sicht Sinn macht. Was aber, wenn die geforderten Dokumente unterschiedlich sind? Ausserdem ist die EU nur das eine: Die U.S. Travel Association wird heute Abend (Schweizer Zeit) über Guidelines informieren, welche sie gemeinsam mit Gesundheitsexperten ausgearbeitet hat, um das Reisen wieder auf breiter Basis zu ermöglichen, unter Einhaltung der Gesundheitsvorgaben. Auch in den USA wird über Gesundheitspässe nachgedacht. Die Anforderungen könnten aber anders sein als in Europa. In Asien werden zum Teil bereits Gesundheitszertifikate bei der Einreise verlangt, welche in der Praxis zumindest aus Sicht der Leisure-Reisenden gleichbedeutend sind mit «den Stress tu ich mir nicht an».

Und dann gibt es ja noch die Zertifikate auf Anbieterseite: Spanien beispielsweise arbeitet an einem Zertifikat für Hotels, welches diesen attestiert, «COVID-frei» zu sein. Nur: Wie lange hätte ein solches Zertifikat Gültigkeit?

Wir hatten bereits davor gewarnt, dass es angesichts der vielen unilateralen, in aller Hast erstellten Bestimmungen zu einem - unter dem Strich nicht förderlichen - Reisechaos kommen könnte. Ein für die EU gültiger Gesundheitspass wäre zumindest aus Sicht des Tourismus gut, zumindest für Reisen innerhalb Europas. Allerdings kann es wie gezeigt auf nationaler oder gar regionaler Ebene spezielle Bestimmungen geben. Braucht es dann auch unterschiedliche Dokumente für interkontinentales Reisen, wird es ganz schwierig. Druck von Seiten des Tourismus gegenüber den Behörden ist richtig und wichtig, aber man wird teilweise das Gefühl nicht los, dass die Bestimmungs-Aktionitis in alle Richtungen das Reisevertrauen vorerst mal eher schädigen könnte, als dieses nachhaltig zu stärken.

(JCR)