Tourismuswelt

«Es wird einige Zeit verstreichen, bis sich die Menschen wieder getrauen ins Kino oder an Konzerte zu gehen, ähnlich wird es sich bei Reisen in fremde Länder verhalten», sagt Psychiater Julius Kurmann. Bild: Adobe Stock

«Die Menschen bleiben vorerst vorsichtig und warten ab»

Gregor Waser

Welche Auswirkungen hat die mehrwöchige Isolation auf das künftige Reiseverhalten? Travelnews hat bei Psychiater Dr. med. Julius Kurmann nachgefragt.

Was geht in den Köpfen der Menschen in diesen Wochen des Stillstandes ab? Was könnte der aktuelle Lockdown für das Freizeit- und Reiseverhalten bedeuten? Travelnews klopfte hierzu bei Dr. med. Julius Kurmann an, er ist Psychiater und Vorstandsmitglied der Schweizerischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie. Er hat uns mit der Bemerkung geantwortet, er sei kein Tourismus-Spezialist und könne bei der Beantwortung der Fragen nur Vermutungen anstellen.

Dr. med. Julius Kurmann, Chefarzt Stationäre Dienste Luzerner Psychiatrie.

Herr Kurmann, wie verfolgen Sie den aktuellen Stillstand in der Schweiz. Welche psychologischen Auswirkungen orten Sie bei der zuhause festsitzenden Bevölkerung?

Dr. med. Julius Kurmann: Wir müssen unterscheiden zwischen gesunden Menschen und Menschen mit einer psychischen Erkrankung. Bei den gesunden Menschen stelle ich fest, dass viele, je länger der Lockdown geht, desto ungeduldiger werden, sich nach Normalität sehnen. Viele fühlen sich auch eher gelähmt, passiv, und leiden unter der Einschränkung ihrer Freiheit. Bei den Menschen mit psychischen Erkrankungen erlebe ich, dass viele aufgrund der Strukturen, die nun nicht mehr angeboten werden (wie beispielsweise Tageszentren, Treffpunkte, Möglichkeit, in geschützten Werkstätten zu arbeiten usw.) sich zunehmend verloren fühlen und ein erneutes Aufflackern der psychiatrischen Symptome droht. Dann gibt es noch die Gruppe der gefährdeten Menschen, die nun vermehrt zu Suchtmitteln greifen oder ein Suchtverhalten (z.B. mit Gamen usw.) entwickeln oder die unter diesen Umständen zu Aggressionen und Gewaltausübungen (häusliche Gewalt) neigen.

Welche Auswirkungen könnte Ihrer Meinung nach diese mehrwöchige Isolation auf das künftige Freizeit- und Reiseverhalten haben?

Ich glaube, dass wir zwischen Freizeitverhalten und Reiseverhalten unterscheiden müssen. Ich denke, dass viele Menschen wieder aktiver die Freizeit gestalten und einiges mit Freunden und/oder Familie unternehmen. Ich bin mir aber unsicher, ob viele Menschen schon wieder Reisen in andere Länder unternehmen werden. Ich glaube eher, dass die Menschen vorerst vorsichtig bleiben und abwarten werden. Es kommt auch darauf an, wie restriktive die Einreisebestimmungen der einzelnen Länder sind und wie sich die Bestimmungen entwickeln. Je höher die Hürden sind, desto weniger werden die Menschen in andere Länder reisen.

«Nachvollziehbare und verständliche Neuerungen werden von den Menschen akzeptiert»

Die Reisebranche macht sich Mut damit, davon auszugehen, dass sich in der Bevölkerung ein grosses Nachholbedürfnis aufstaut und in der zweiten Jahreshälfte viele verpasste Reisen nachgeholt werden. Was sagen Sie dazu?

Ich verstehe, dass die Reisebranche sich Mut zuspricht, ich glaube auch, dass ein Nachholbedürfnis besteht, aber ich denke nicht, dass sich die Menschen so schnell wieder darauf einlassen werden. Es wird einige Zeit verstreichen, bis die Menschen sich wieder getrauen, ins Kino oder an Konzerte zu gehen, ähnlich wird es sich bei Reisen in fremde Länder verhalten. Insbesondere mit dem Flugzeug oder auf Kreuzfahrtschiffen, also überall dort, wo viele Menschen auf engem Raum sind.

Schöne Reiseerlebnisse basieren oft auch auf tollen Begegnungen und Gesprächen mit fremden Menschen. Müssen wir befürchten, dass weltweit Skepsis und Argwohn zwischen Menschen zunehmen?

Ich glaube nicht, Skepsis und Argwohn werden nicht zunehmen – aber eine präventive höhere Distanziertheit. Erst eine mögliche Impfung und positive Erlebnisse mit anderen Menschen werden wieder einen angstfreien Umgang untereinander ermöglichen.

Welche weiteren Szenarien können Sie sich für die Ferienindustrie vorstellen? Speisesäle mit grosser Distanz von Tisch zu Tisch, neue Abstandsregeln in Flugzeugkabinen und Swimmingpools?

Diese Frage sollte vermutlich eher ein Tourismusexperte beantworten. Ich denke, dass nachvollziehbare und verständliche Neuerungen von den Menschen akzeptiert werden, absurde und wenig logische Neuerungen, die von den Menschen als Schikanen erlebt werden, werden aber weniger gut toleriert.