Tourismuswelt

Da war die Welt noch in Ordnung für die Weltenbummler: v.l. Rajiv aus Indien, Marc aus Australien, Kao aus Vietnam und Jörg Biester aus Deutschland auf einer Wanderung durch den Sagarmatha-Nationalpark in Nepal. Alle Bilder: Jörg Biester

«Ich hatte keine Angst, dass ich jetzt lange hier feststecken werde»

Jörg Biester reiste am 7. März 2020 nach Nepal und plante eigentlich, das Land bis Ende April zu erkunden. Als plötzlich der Lockdown ausgerufen wurde, musste er seine geplante Reise abbrechen. Uns erzählt er von seinen Erlebnissen als Gestrandeter.

Unzählige Reisende und Feriengäste sind in den letzten Wochen im Ausland gestrandet. Was ist das wohl für ein Gefühl, wenn plötzlich alle Flüge ins Heimatland gestrichen sind und wie gehen andere Länder mit dem Lockdown um? Was geht noch, und was nicht? Genau das wollte Travelnews von Jörg Biester wissen. Der deutsche Staatsbürger befand sich gerade im Niemandsland in Nepal auf einer Wanderung, als das Land dicht machte. Als Travelnews ihn am 3. April kontaktierte, befand sich Jörg Biester einen Tag vor seiner Heimreise noch in Kathmandu. Im Interview schildert er, wie er die Situation erlebt.

Herr Biester, wo befinden Sie sich gerade?

Jörg Biester: Ich bin immer noch in Kathmandu und habe soeben die Nachricht von der Botschaft bekommen, dass ich morgen am 4. April, an meinem Geburtstag, einen Flug zurück nach Deutschland bekomme.

Wie haben Ihre Reisepläne unabhängig der Krise ausgesehen?

Ich bin am 7. März nach Nepal geflogen. Das Virus war zu diesem Zeitpunkt bereits in der Welt unterwegs, aber damals dachte ich noch, dass man das wahrscheinlich kontrollieren kann und es eher auf China beschränkt ist. Es gab ja nur in Italien und Deutschland vereinzelte Fälle. In Nepal war das Virus damals noch nicht. Deshalb dachte ich, dass ich dann in Nepal selber meine Ferien so durchziehen kann wie ich sie geplant hatte. Aber im Endeffekt war das dann so nicht der Fall. Erst war ich eine halbe Woche in Kathmandu und dann bin ich im Sagarmatha-Nationalpark für den Mount-Everest-Base-Camp-Hike wandern gewesen. Ich habe am 11. März gestartet und am 24. März wurde im ganzen Land der Lockdown ausgerufen. Da ging dann gar nichts mehr. Schon ab dem 14. März haben sie keine Ausländer mehr ins Land gelassen, weil keine Visa-on-Arrival mehr ausgestellt wurden. Deswegen hat man schon gemerkt, dass weniger Touristen im Land unterwegs sind logischerweise.

Bis zum Lockdown ging es auf der Wanderung eigentlich ganz gut, aber als der Lockdown ausgerufen wurde, wurde auch das Militär hochgezogen zu den Dörfern und auf die Wanderwege und es wurden Checkpoints errichtet. Wir wurden irgendwann nicht mehr durchgelassen, sodass wir zurück zum Ausgangsflughafen wandern mussten, wo wir dann am 27. März angekommen sind. Eigentlich plante ich, die Wanderung fertig zu machen und anschliessend mit einem weiteren Hike zu verbinden, sodass ich Ende April wieder zurück in Kathmandu gewesen wäre. Mein Rückflug war für Ende April geplant. Aber jetzt musste ich durch den Lockdown alle meine Pläne über den Haufen werfen.

«Ich denke nicht, dass hier ab Mitte April wieder ganz normal Touristen im Land sind.»

Was war es für ein Gefühl, als plötzlich die Mehrheit der Flüge gecancelt wurde und Sie wussten, dass Sie nun feststecken?

Das Gefühl, dass nun alle Flüge gecancelt sind und ich jetzt feststecke, kam in Wellen. Erst war das Problem, dass ich während der Wanderung nicht mehr weiter gekommen bin an den Militärcheckpoints und deshalb zurück an den Ausgangspunkt der Wanderung an den Flughafen Lukla zurückwandern musste. In diesem Moment wusste ich, dass ich die Wanderung, die ich geplant hatte nicht durchziehen kann – was natürlich doof ist. Dann war es so, dass die Botschaften einem Flüge von Lukla organisiert hatten, um zurück nach Kathmandu zu kommen, was bei mir auch nicht geplant war, weil ich eigentlich mit einem Jeep zurückfahren wollte – das ging aber nicht, weil alle Busse und Jeeps stillstanden. Deshalb konnte man sich nur auf die Botschaft beziehen und hoffen, dass diese Flüge chartern. Dafür musste ich dann im Nachhinein extra bezahlen.

Mein Flug für den 23. April mit Etihad wurde gecancelt. Ich habe noch einen weiteren Flug mit Transit in China für den selben Tag gebucht, dieser wurde aber noch nicht annulliert, weil niemand vorhersehen kann, wie die Situation weitergeht. Die nationalen Flüge hier in Nepal sind bis Mitte April blockiert – der Flughafen ist also quasi geschlossen, ausser für Flüge, die von Botschaften gechartert sind. Diese Blockade können die Behörden ganz einfach verlängern, denn ich denke nicht, dass hier ab Mitte April wieder ganz normal Touristen im Land sind. Deshalb habe ich mich entschieden, den organisierten Flug von der Botschaft am 4. April wahrzunehmen. Dies ist dann bereits der dritte Flug, den ich noch zusätzlich bezahlen muss. Deshalb hoffe ich, dass der ursprünglich geplante Flug Ende April noch abgesagt wird, so dass ich eventuell das Geld zurückerhalte.

Als mir bewusst wurde, dass ich feststecke, habe ich keine Panik bekommen, es war eher eine Enttäuschung, dass ich die Reise nicht so durchziehen konnte, wie ich es geplant hatte. Aber so ist halt die Situation auf der ganzen Welt und da kann man nichts ändern. Ich hatte keine Angst, dass ich jetzt lange hier feststecken werde, weil Deutschland ja ein sehr starkes Land ist und sich die Botschaft bemüht. Deswegen wusste ich auch, dass es eine Lösung geben wird, hier rauszukommen. Ich habe keinen Job zuhause, der auf mich wartet und auch keine Frau und Kinder, deswegen sehe ich das relaxt. Ausserdem habe ich jahrelange Erfahrung im Backpacking, deswegen ist bei mir auch keine Panik ausgebrochen. Bei anderen Leuten war das sehr viel schlimmer. Als das Gerücht herumging, dass das Land in einen Lockdown gesetzt wird, traf dies viele Wanderer, die sofort umgedreht sind, um zurück an den Flughafen zu gehen, weil die einen Job und Familie zuhause haben und deren Heimatländer auch die Grenzen dicht machen wollten. Die haben dann so schnell wie möglich den Hike abgebrochen und sind zurückgeflogen, solange es noch ging.

Die Strassen in Kathmandu sind leergefegt.

Wie erleben Sie den Lockdown in Kathmandu?

Ja, der Lockdown in Kathmandu ist halt ein bisschen langweilig, logischerweise. Als ich hier angekommen bin nach der Wanderung am 28. März, war ich ein bisschen schockiert, weil einfach gar nichts mehr geöffnet hatte. Ich dachte mir, Scheisse, wie soll ich jetzt Essen bekommen? Aber das hat sich alles schnell wieder eingegroovt. Ich habe ziemlich schnell gemerkt, wie die Regeln hier sind. Morgens sind ganz vereinzelt Shops für ungefähr zwei Stunden geöffnet, wo man sich Snacks oder was zu Essen kaufen kann, dasselbe noch einmal am Abend. Da sieht man auch ein paar Menschen auf den Strassen – ansonsten ist die Stadt tot. Es ist sehr komisch, weil Kathmandu eigentlich eine sehr lebhafte Stadt mit viel Verkehr und vielen Läden ist.

Die Polizisten haben die grösseren Kreuzungen blockiert, halten die Fahrzeugführer an und schicken sie zurück. Auch das Militär ist teilweise präsent. Zudem sind auf den Strassen Autos unterwegs, die über Lautsprecher Anweisungen zum Verhalten mit dem Virus ausrufen. Auf den Strassen stehen grosse Wassertanks, wo man sich die Hände waschen kann. An drei Stellen werden um 11 Uhr gratis Essensbeutel verteilt – darin hat es Kekse, Instant Noodels und eine Flasche Wasser. Ein chinesisches Restaurant bereitet am Mittag und am Abend kostenlose Gerichte zu, die man sich Take-Away abholen kann. Ein Restaurant hat sogar 24 Stunden nur für Touristen geöffnet. Man wird hier also nicht komplett allein gelassen und hat verschiedene Optionen.

Es gibt Unterkünfte, die ihre Gäste aufgrund der Ausgangssperre «einsperren» und nicht wollen, dass die Reisenden nach draussen gehen. Aber die meisten Unterkünfte sowie auch mein Hostel lassen die Leute raus. Aber man kommt ohnehin nicht weit, weil die Polizei einen darauf hinweist, dass eine Ausgangssperre da ist.

Wie ist die Stimmung unter den Einheimischen?

Ich mag das Land sehr gerne, weil die Leute hier super freundlich sind. Seitdem der Lockdown herrscht, hat man schon gemerkt, dass die Leute vorsichtiger wurden und die Ausländer teilweise als potenzielle Virusträger ansehen und dann kann es sein, dass auch mal kein «Hallo» zurückkommt. Aber im Grossen und Ganzen ist alles okay. Die Locals hier befolgen die Regeln sehr stark, deshalb sind ja auch die Strassen wie leergefegt. Ich glaube das Ding ist auch, dass wenn der Virus hier ausbrechen sollte, Nepal ein Land ist, wo man nicht sein möchte, weil das Gesundheitssystem nicht sehr gut ist. Nepal ist ein sehr armes Land und deshalb sind sich die Einheimischen auch bewusst, dass sie alles dafür tun sollten, dass das Virus eingedämmt bleibt und nicht ausbricht. Hier ist es nun mal nicht so, dass man dann einfach ins Krankenhaus kann und ein Intensivbett bekommt. Der Lockdown wurde bereits bis zum 8. April verlängert aber wer weiss, wie es danach weitergeht…

«Die nepalische Regierung hat eine kostenlose Unterkunft zur Verfügung gestellt und auch das Frühstück, Mittagessen und Abendessen gab es umsonst»

Gibt es Probleme?

Ich selber hatte nicht mit Problemen zu kämpfen. Es gab aber andere Ausländer, die wegen dem Lockdown ausserhalb von Kathmandu gestrandet waren und für die es ohne fahrende Busse schwierig war, zurückzukommen. Aber das Nepal Tourism Board und die Botschaften der jeweiligen Länder bemühen sich schon, diese Leute mit organisierten Bussen schnellstmöglich nach Kathmandu zurückzuholen, weil hier der einzige internationale Flughafen des Landes ist. Bis zum 3. April galten diesbezüglich Sonderregelungen. Ich war glücklicherweise nur einen Tag in Lukla gestrandet und dann hat die Botschaft den Flug nach Kathmandu organisiert. Die nepalesische Regierung hat eine kostenlose Unterkunft zur Verfügung gestellt und auch das Frühstück, Mittagessen und Abendessen gab es umsonst, was super war.

Wie beurteilen Sie die Zusammenarbeit mit den lokalen Behörden und der deutschen Botschaft?

Wie die Zusammenarbeit funktioniert kann ich nicht beurteilen, aber ich merke, dass sich die deutsche Botschaft bemüht. Die gestrandeten Leute hier sind untereinander mit Whatsapp-Gruppen organisiert. «Stranded in Nepal» heisst die übergeordnete Gruppe und dann gibt es Untergruppen, welche auf die verschiedenen Länder aufgeteilt sind – ich bin beispielsweise in einer deutschprachigen Gruppe, wo auch Schweizer, Österreicher sowie andere Deutsche vertreten sind. Da tauschen wir untereinander Informationen über Essensmöglichkeiten oder Flugpläne aus. Die deutsche Botschaft informiert ebenfalls über diese Whatsapp-Gruppen oder über Facebook. Wir Deutschen mussten uns zudem über eine Seite registrieren und angeben, wo wir uns im Ausland befinden. Anschliessend erhielt ich E-Mails mit Anweisungen, was nun zu tun ist. Zudem gibt es eine neue Website, wo das gesamte Rückholprogramm ersichtlich ist.

Die deutsche Botschaft erhält viel Lob von allen Seiten, weil wir zum Beispiel das Flugticket nicht im Voraus bezahlen müssen und sich der Preis dafür auf ein normales Economy-Class-Ticket beläuft. Den genauen Preis wissen wir noch nicht, das wird dann nach der Heimkehr in Rechnung gestellt. Andere Länder – beispielsweise die Australier – mussten das Ticket im Voraus bezahlen, damit sie überhaupt fliegen durften. Dieses kostete sie zum Teil umgerechnet etwa 2000 Euro. Die haben sich sehr darüber aufgeregt. Mit diesem Hintergrund denke ich, dass ich froh sein kann, deutscher Staatsbürger zu sein.

Ordnung sieht anders aus. Die gestrandeten Reisenden vor ihrer Heimreise am Flughafen Kathmandu.

Hat alles geklappt mit der Heimreise am 4. April?

Ja, die Reise war semi-chaotisch. Wir erhielten vor dem Flug per Email eine Einladung zu diesem Flug am 4. April und erfuhren, dass andere Leute auf einer sogenannten Nachrücker-Liste sind und auch zum Flughafen kommen sollten, weil man ja nie genau sagen kann, wer jetzt wirklich auftaucht von den Leuten, die man eingeplant hat. So wurde sichergestellt, dass die Plätze voll sind.

Wir mussten uns um 6 Uhr morgens an einem abgemachten Treffpunkt versammeln, von dem wir dann mit Shuttlebussen zum Flughafen gebracht wurden. Es war viel los, weil ein weiterer Flug für Franzosen zurück nach Paris ging und die Österreicher nach Prag geflogen wurden, wo sie dann mit dem Bus weiter nach Wien gebracht wurden. Am Flughafen waren Tische aufgebaut, wo der Papierkram erledigt werden musste. Anschliessend ging um 11.30 Uhr der Flug mit Qatar Airways über Doha. Dort wurden wir mit Bussen abgeholt und direkt zum nächsten Flugzeug gebracht. Schliesslich sind wir um 21.30 Uhr etwa in Frankfurt gelandet – dort war natürlich auch fast alles geschlossen, was Essensmöglichkeiten angeht. Ich habe dort die Nacht verbracht, bis ich um 5.30 Uhr am nächsten Morgen den Zug nach Hause nehmen konnte.

(NWI)