Tourismuswelt

Mit einem Schwimmring geht man nicht unter: Wer agil ist, bereitet sich jetzt auf die Zeit danach vor. Bild: Lee Seonghak

Kommentar Wie weiter?

Jean-Claude Raemy

Wir steuern aktuell auf den totalen Reise-Stillstand zu. Auch wenn es paradox klingt: Jetzt muss man agieren.

Die Reisebranche ist sich ja so einiges an Krisen gewohnt. Jährlich wiederkehrende Naturkatastrophen wie Hurricanes und Vulkanausbrüche, politische Unruhen und Terroranschläge, zuletzt sogar Overtourism und Klimadebatten. Aber was aktuell gerade passiert, hat es in dieser Form noch nie gegeben. Nach unserem eigenen aktuellsten Stand sind derzeit nahezu 60 Länder für Schweizer sowie teils auch für Bürger vieler anderer Länder eine «No-go-Zone», und der Flugverkehr, die Lebensader der globalen Mobilität, wird gerade massiv heruntergefahren. Bahnen und Busse sind ebenfalls am herunterfahren und ein Lockdown unterschiedlicher Art und Ausprägung zwingt derzeit Millionen Menschen, zuhause zu bleiben.

Wir hatten am 7. Februar geschrieben, dass uns das Coronavirus noch lange beschäftigen würde. Damals war dies noch ein «Asien-Problem», dem in Europa mit Skepsis begegnet wurde. Inzwischen, wenige Wochen später, erleben wir den Zusammenbruch der Reisebranche im Live-Modus.

Die Nerven liegen blank. Freunde und Partner der Reiseindustrie schauen ungläubig auf die Nachrichten und auf die Umbuchungs- oder Annullierungsaufträge, ringen um Überblick über die verworrene Lage und müssen gleichzeitig darüber nachdenken, wie sie eine längere Periode ohne nennenswertes Einkommen aus Neubuchungen überbrücken können. 9/11 war dagegen ein Klacks!

Gefährlich: Die Ruhe nach Sturm

Und das Schlimmste steht erst noch bevor: Die gespenstische Ruhe. Aktuell sind wir Medien damit konfrontiert, bei all den Angebots-Streichungen und Grenzschliessungen noch mitzukommen. Veranstalter und Reisebüros müssen noch Kunden beruhigen und eben Umbuchungen/Annullierungen vornehmen. Airlines fahren ihr Routennetz herunter.

Doch in Kürze wird es keine Anfragen mehr geben, kaum noch E-Mail-Verkehr und Telefone, keine Anrufe mehr ausser solchen, die mit Dienstleistern und Angestellten geführt werden müssen hinsichtlich der näheren Zukunft. Keine Nachfrage, keine Angebote. Die Feststellung, dass Reisen leider ein nicht lebensnotwendiger Luxus ist, welcher in Zeiten maximaler Krise sehr weit nach hinten fällt in der Prioritätsliste. WC-Papier hat nun offenbar höchste Priorität... Bei unsereins aus der Reisebranche, wie auch allgemein, macht sich derweil langsam aber sicher Job-Unsicherheit breit.

Trotzdem haben auch jetzt noch viele den Ernst der Lage, zumindest in gesundheitlicher Hinsicht, nicht begriffen – dabei ist die möglichst rasche Eindämmung des Virus die einzige Chance, bald auch wieder die Wirtschaft hochfahren zu können. Der komplette «Reset» per temporärem Shutdown scheint wirklich die einzige Lösung zu sein, ob verordnet oder nicht.

Aussergewöhnliches unternehmen statt abwarten

Der Dominoeffekt der Reise-Stillegung ist voll in Gang. Doch wir müssen uns inzwischen auch fragen, wie es weitergeht nach diesem Desaster. Stillstand ist auch in Zeiten der verordneten Stillstands Gift.

Es wäre wichtig, wenn sich die wesentlichen Akteure aus der Politik rasch über allfällige Hilfspakete äussern. Dann sollte es bei Seiten der Verbände und Versicherer möglichst regelmässig Weisungen und Hifestellungen hinsichtlich «Best Practices» in dieser schwierigen Zeit geben. Es geht darum, gerade auch den vielen KMU in der Reisebranche unter die Arme zu greifen. Eine geeinte Message an die Konsumenten wäre jetzt auch wünschenswert. Der Informationsbedarf ist auf allen Seiten immens und je länger man sich in Grauzonen bewegt, desto schlimmer sind die Konsequenzen. Was für den Virus gilt, gilt auch für die Wirtschaft als Ganzes.

Was könnte man tun? Nachfolgend einfach ein paar Gedanken als Checklist. Die Ausarbeitung obliegt allen Firmen und Personen selber.

  • Guter und möglichst günstiger Rat dazu, wie ein Kleinunternehmen in einer solchen Härtephase überleben kann, ist wichtig. Verbände und Interessengruppen müssen sich hier zusammentun, ein reger (organisierter) Austausch über alle verfügbaren Kanäle stattfinden. Es werden nicht alle Jobs gerettet, aber es geht nun darum, das «Ökosystem Reisebranche» möglichst weitgehend zu erhalten.
  • Es gibt einen «Beschäftigungs-Gap» - entweder im Sinne von «nichts zu tun» oder «kein Job mehr». Das gibt Zeit für Weiterbildungen und Umschulungen. Zeit für Volunteering, für das Durchführen von zukunftsgerichteten Kleinprojekten, die man jetzt anbietet oder annimmt. Zeit für gegenseitige Hilfe. Vielleicht wäre es jetzt an der Zeit auch für grosse Anbieter, kostenlose (Online-)Schulungen anzubieten. Man muss bereit sein für die Zeit, wenn es wieder losgeht.
  • Die Konsolidierung kann auch anders als mit Konkursen erfolgen. Sollte man jetzt über Fusionen oder weitgehende Kooperationen nachdenken? Natürlich. Ebenso müsste man jetzt ausformulieren, weshalb ein Investment ins eigene Geschäft eine Opportunity für die Zukunt sein kann. Die Selbstvermarktung beginnt jetzt.
  • Natürlich ist Lobbying auf höchster Ebene gefragt. Es reicht aber nicht, hierbei nach dem «starken Mann» zu velangen oder die Verantwortung einfach dem Verband zu übertragen. Gebt den jeweiligen Interessen-Verbänden die Tools und Mittel, um erfolgreiches Lobbying zu betreiben. Lobbyiert auch im Kleinen, auf lokaler Ebene.

Keiner weiss, wann sich die Dinge wieder zum Besseren wenden. Wir hoffen natürlich, dass ab April sich die Welt wieder zu drehen beginnt. Es könnte aber auch noch Monate des Stillstands geben. Einfach abwarten, bis es wieder losgeht, reicht auf jeden Fall nicht. Denn die Welt wird am Ende dieser Krise eine weitgehend andere sein, gerade im Bereich von Mobilität und Reisen. Deshalb ist die Totzeit zu nutzen. Um aus dieser Krise, sofern man sie übersteht, gestärkt hervorzugehen.