Tourismuswelt

Sunday Press Das Coronavirus schadet der Wirtschaft und verändert unser Leben

Jean-Claude Raemy

Swiss und weitere Airlines müssen immer mehr Kapazität herunterfahren, weil sich viele Menschen aktuell vor dem Fliegen fürchten. – Hotels und Eventveranstalter leiden sehr stark. Nun wird der Ruf nach staatlicher Unterstützung laut. Experten sehen dies, mit Ausnahmen, als falsche Massnahme. – Schnäppchenpreise grassieren jetzt.

«Furchtlose können dank Coronavirus billig in die Ferien»

Solche Stories ärgern viele Reisebranchen-Mitarbeitende: In der «SonntagsZeitung» ist ein Artikel den nun grassierenden Billigangeboten gewidmet. Analysiert wird anhand einer Stichprobensuche auf der Onlinebuchungsplattform Booking.com: Eine Woche im Fünfsternhotel Hilton etwa kostet im März um die 1200 Franken. Das zahlt man normalerweise für dieselbe Zeit in Drei- wenn nicht sogar Zweisternhotels. Ähnlich sieht es auch bei der Suche nach Hotelpreisen für Rom, Mailand und andere italienische Ziele aus. Teils kann man eine Woche im Luxushotel für weit unter tausend Franken buchen. Sofern man sich denn der Gefahr aussetzen will, in ein Corona-Krisengebiet zu reisen. Und wenn man im Zweifel nach der Rückkehr aufgrund der neuen Regelungen vieler Unternehmen kein Problem damit hat, zwei Wochen von zu Hause aus zu arbeiten.

Doch nicht nur in Italien leidet die Tourismusbranche unter dem Coronavirus. Hotelplan Suisse etwa beobachtet, dass Ferien derzeit allgemein zurückhaltend gebucht werden. Auch Fernziele in Südostasien, die sonst bei Touristinnen sehr beliebt sind, seien weniger gefragt, so Sprecherin Bianca Gaehweiler. Daher seien die Flug- und Hotelpreise für Südostasien «tendenziell tiefer».

Eine Swiss-Sprecherin sagt, vor allem nach Südostasien und Italien habe die Fluggesellschaft einen Buchungsrückgang verzeichnet. Aber auch auf anderen Strecken sei eine Zurückhaltung bei Buchungen und Reisen spürbar. Das habe «allgemein zu sinkenden Preisen geführt». Ganz so drastisch falle das bei Swiss allerdings noch nicht aus, wie Probebuchungen für Flüge nach Italien hergeben, wo man nach Rom für Flüge in zwei Wochen pro Strecke am Wochenende «immer noch über 200 Franken» zahle.

Auf Fernstrecken jedoch gibt es derzeit einige Schnäppchen zu holen. Singapore Airlines etwa wirbt mit Sonderpreisen für Flüge an asiatische Ziele, so geht es etwa für unter 500 Franken in Economy Class retour nach Vietnam, Thailand oder Malaysia. In China versuchen Fluglinien, ihre Flieger zu füllen, indem sie im Extremfall Tickets für den Preis eines Kaffees anbieten. Ein rund dreistündiger Flug von Shanghai nach Chongqing etwa kostet bei der Billig-Airline Spring Air umgerechnet um die 4.50 Franken.

Lufthansa-Gruppe im Sturmtief

Bei der Generalversammlung des Lobbyverbands Airlines for Europe (A4E) in Brüssel zeigten sich die Airline-Bosse gelassen und liessen wissen, dass Nachfrage-Einbrüche zum normalen Risiko des Fluggeschäfts gehörten. Dies stand laut «NZZ am Sonntag» im Kontrast zu den Anlegern, welche schon seit Ende 2018 den Airlines den Rücken gekehrt haben, weil steigende Kerosinpreise bei gleichzeitigen Überkapazitäten die Margen zusammenschmolzen. Jetzt hat die Angst vor dem Virus Investoren und Passagiere gleichzeitig in die Flucht geschlagen. Zunächst strich die Lufthansa Group Flüge nach China, dann Italien, dann Israel, nun ist die Rede von 50 Prozent des Angebotes; 14 A380 werden temporär parkiert. Das sind drastische Massnahmen, die den Quasi-Stillstand der Welt belegen.

Der Konzern gibt am 19. März 2020 seine Jahreszahlen 2019 bekannt. Dann wird sich zeigen, welche Löcher die Corona-Panik ins Finanzergebnis 2020 reissen könnte. Im Moment ist die Aktie mit einem lächerlich tiefen Kurs/Gewinn-Verhältnis bewertet. Eine Dividendenauszahlug dürfte ausfallen.

Spezielle Stimmung im Flugzeug

Stundenlang mit vielen Leuten auf engstem Raum zusammengepfercht zu sein – in Zeiten des Coronavirus für viele eine Horrorvorstellung. Der «SonntagsBlick» hat bei einer langjährigen Flugbegleiterin der Swiss nachgefragt, die sagt: «Die Stimmung im Flugzeug ist schon sehr speziell. Man ertappt sich, dass man anders reagiert, wenn Passagiere husten oder jemand italienisch spricht.» Immerhin seien die Flugzeuge nur halb voll, und einzelne Passagiere tragen Schutzmasken. Besondere Hygienevorschriften gibt es nicht – für das Personal gelten nach wie vor einfach die des Bundes. Die nicht namentlich genannte Swiss-Mitarbeiterin sei froh darüber, dass sie in den nächsten Wochen nicht für Flüge eingeteilt ist.

Das Coronavirus trifft die Luftfahrtbranche hart. Der Branchenverband IATA erwartet wegen der Corona-Krise einen Umsatzverlust von bis zu 113 Milliarden Dollar.

Hotels beenden Saison

Laut der «SonntagsZeitung» wollen in der Schweiz wegen der Coronavirus-Krise erste Hotels die Saison abbrechen.

Heute Sonntag hätte beispielsweise der Engadiner Skimarathon stattfinden sollen, fiel jedoch dem Verbot des Bundes zum Opfer. Für die Beherbergungsbetriebe im Engadin eine Katastrophe. Zwischen 20 und 80 Prozent weniger Umsatz würden die Hotels im März erzielen, sagt Christoph Schlatter, Präsident des Hoteliervereins St. Moritz. Nun beenden Hotels teilweise die Saison vorzeitig. Immerhin war laut Schlatter bis zu Corona eine hervorragende Wintersaison verzeichnet worden, was das unschöne Saisonende abfedert.

Auch im Berner Oberland, in Grindelwald oder in Gstaad etwa, haben Hotels beschlossen, den regulären Betrieb nur bis Ende März weiterzuführen. Danach würden sie geschlossen, falls es zu wenige Kundinnen habe. Manche haben die Wintersaison per sofort beendet. Andere Gasthäuser würden wegen der ausbleibenden asiatischen Gruppenreisenden ihr Angebot einschränken.

Im Wallis ist man zurückhaltender. Es sei für Hotels schwierig, die Saison vorzeitig zu beenden, etwa aus Rücksicht auf die vorhandenen Oster-Reservationen: Viele Annullationsbestimmungen sehen nämlich keine Annullationsmöglichkeit von Seiten der Hoteliers vor. Trotzdem sei es möglich, dass auch im Wallis einzelne Hotels, die für das Ende der Saison kaum mehr Buchungen haben, einige Tage früher schliessen.

Kein Unterstützungsgeld vom Bund?

Die Coronavirus-Krise führt auch zum Ruf nach Unterstützung der Behörden. In Hongkong erhält jeder erwachsene Einwohner umgerechnet 1210 Franken, die US-Notenbank hat die Zinsen ausserterminlich gesenkt, es gibt Konjunkturprogramme von Singapur bis Südkorea und einen Wirtschafts-Stützkredit von 7,5 Milliarden Euro in Italien. In der Schweiz gibt es zurzeit nichts dergleiches, obwohl Bund und Kantone derzeit im Geld schwimmen: Am Donnerstag vermeldete die Finanzverwaltung, dass der Schweizer Staat in den Jahren 2018 bis 2020 wohl einen Überschuss von rund 25 Milliarden Franken erzielen werde. Dazu schüttet die Nationalbankfür 2019 mehr als 4 Milliarden Franken an Bund und Kantone aus.

Aber in der Schweiz zweifeln viele daran, dass man den Gang der Konjunktur beeinflussen kann, wie die «NZZ am Sonntag» festhält. Weil klassische Impulsprogramme nicht schnell genug greifen. Und weil die Unterstützung von Unternehmen mit Steuergeldern laut Economiesuisse jene unterstützt, die «sportlich budgetiert» und solche, die seriös planen und vielleicht sogar eine Epidemieversicherung abgeschlossen haben, leer ausgehen.

Die Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF) glaubt, es sei am sinnvollsten, wenn man Unternehmen erlaube, die Zahlung von Mehrwertsteuern und Sozialprämien aufzuschieben. Das würde einen Liquiditätspuffer schaffen. Steuererleichterungen hingegen würden nichts bringen, da das Geld wohl in Bereiche investiert würde, die ohnehin schon gut laufen: Hamsterkäufe und Gesundheitsdienste.

Die Schweiz könne sich auf ihre sogenannten «automatischen Stabilisatoren» verlassen – also auf ihre grosszügig ausgestaltete Arbeitslosenversicherung und insbesondere auf das erprobte Instrument der Kurzarbeit.

Gastrobranche fordert Notrecht

Wie sich die Lage wegen dem Coronavirus für manche Unternehmen zuspitzt, zeigten die Branchen Gastronomie und Hotellerie besonders dramatisch, analysiert der «SonntagsBlick». Casimir Platzer, Präsident des Arbeitgeberverbandes Gastrosuisse, will vom Bund sofort Entscheide etwa hinsichtlich einer späteren Bezahlung von Mehrwertsteuer oder Sozialabgaben. Die Landesregierung habe mit Artikel 185 der Bundesverfassung die Möglichkeit, zur Wahrung der inneren Ordnung und Sicherheit befristete Verordnungen zu erlassen. Damit plädiert Platzer faktisch dafür, dass der Bundesrat auf Notrecht zurückgreift. Angesichts der grossen Zahl bedrohter Arbeitsplätze und des Zeitdrucks wäre die Anwendung aus der Sicht von Gastrosuisse angezeigt.

Auch Unternehmen aus dem Events- und Messebereich klagen.  Das bundesrätliche Verbot von Veranstaltungen mit über 1000 Besuchern legt das öffentliche Leben lahm. Tausende Firmen sind betroffen, Millionenverluste garantiert. 80 Prozent der geplanten Veranstaltungen in der Schweiz wurden abgesagt, so eine Schätzung des Schweizerischen Verbands technischer Bühnenund Veranstaltungsberufe (SVTB). Betroffen sind unzählige KMU. Zehn Firmen mussten bereits Mitarbeiter entlassen. «Wenn die Krise anhält, gehen viele von ihnen bankrott», sagt Eugen Brunner (47), Präsident des Branchenverbands Expo Event. Die 157 Mitglieder des Verbands haben bereits 150 Millionen Franken Verlust erlitten. Brunner fordert eine Beteiligung der Branche am runden Tisch des Bundesrats. Selbstverständlich habe die Gesundheit Priorität: «Aber es steht eine ganze Branche vor dem Abgrund. Wir brauchen Unterstützung.»

Am Donnerstag traf sich SVP-Bundesrat Guy Parmelin mit Vertretern der Kantone und der Sozialpartner. Nebst der Stundung von Rechnungen gewisser Leistungsbezüge wurde auch über Bürgschaften diskutiert.

Sieht so unsere Zukunft aus?

Die «NZZ am Sonntag» argumentiert in einer interessanten Analyse, dass die aktuelle Coronavirus-Krise als Übung für unser künftiges Dasein angesehen werden kann. Sie stellt diesbezüglich vier Tendenzen fest, wie das Virus unser Leben verändert – und dies nicht nur zum Schlechteren.

Zum einen wird das Sozialverhalten verändert. Man übt, Abstand zu halten, Hände zu waschen, in Armbeugen zu husten. Auf Rolltreppen wird weniger gerempelt. Beim Ein- und Aussteigen in Züge und Busse lässt man sich den Vortritt. Und der Händedruck verschwindet: Über die Hände breiten sich Keime rasant aus. Es hat also sein Gutes, sich beim Grüssen nicht zu berühren. Fazit:Die auferlegte Distanz macht uns fitter für eine Welt mit mehr Menschen im urbanen Raum.

Zum andern wird man grüner, weil – das wird die Mobilitätsbranche nicht gerne hören – es Reiseeinschränkungen gibt. Die Coronavirus-Krise zwingt uns, etwa beim Pendeln, den physischen Verkehr einzuschränken und den virtuellen auszuprobieren. Man hört von halbleeren Zügen und soll nun auch den öffentlichen Verkehr während der Stosszeiten meiden. Die SBB haben noch keine Zahlen für eine «belastbare Bilanz». Anders die Swiss, die bereits über 1600 Flüge storniert hat und die Kapazität in den nächsten Wochen um bis zu 50 Prozent reduzieren will. Geht man von durchschnittlich 102‘410 Flügen pro Monat aus, könnten in vier Wochen 51205 Flüge betroffen sein. Der Branchenverband Iata schätzt den Schaden der Industrie für das laufende Jahr auf bis zu 113 Milliarden Dollar. Immerhin: Der Verlust der Fluggesellschaften kann ein Gewinn für die Umwelt sein. In China sanken die CO2-Emissionen infolge des wirtschaftlichen Zusammenbruchs um 25 Prozent.

Darüber hinaus wird effizientere Arbeit gefördert – bei Grossunternehmen wie Credit Suisse und UBS werden Mitarbeitende von Abteilungen in zwei Gruppen geteilt, die alternierend arbeiten (um das Infektionsrisiko ganzer Abteilungen zu mindern). Geschäftsreisen werden nur in ausserordentlichen Fällen bewilligt. Willkommen in der neuen Arbeitswelt. Dabei kommen im Grunde gar keine neuen Modelle und Technologien zum Einsatz. Trotzdem ist flexibles Arbeiten immer noch wenig verbreitet. Bis Corona kam und Hunderttausende quasi von heute auf morgen dazu gezwungen werden. Ins Home-Office zum Beispiel.

Zu guter Letzt wird der Konsum lokaler. Das Coronavirus verändert, wie wir Güter und Dienstleistungen konsumieren. Grossevents werden statt live durchgeführt neu online übertragen. Kinos verkaufen reduziert Karten, doch weil Filmstarts verschoben werden (James Bond!) werden die Streamingdienste weiter gestärkt. Die grossen Uhrenmessen und der Autosalon fallen aus: Marken wie ­Bulgari oder Breitling führen Ende April stattdessen kleine Events in Genfer Boutiquen und Hotels mit wenig Leuten durch. Autokonzerne stellen ihre neuen Modelle per Webpräsentationen vor. Da Kongresse ausfallen und Touristen fehlen, bleiben wohl viele Schweizer Hotelbetten bis Ende Juni kalt (siehe Beitrag oben). Coop und Migros erzielen derweil Rekordumsätze, insbesondere mit Hauslieferdiensten. Nicht nur, weil man sich für eine Quarantäne eindeckt. Derweil federn Industriefirmen Lieferengpässe ab, was sie auf eine mögliche Degloba­lisierung vorbereitet.

Vermischtes

  • In der Reisebeilage des «SonntagsBlick» geht es um folgende Themen: Wyoming (USA), Peru, Chile, Grandhotels, Reiseführer, Waldhaus Flims, dazu gibt es zahlreiche Kurzmeldungen und viel Werbung (z.B. von Hotelplan, AIDA und Excellence/Reisebüro Mittelthurgau). Und einen grossen Bericht über die koreanische Hauptstadt Seoul. Echt? Der Produzent der Beilage (Fabian Zürcher vom Ringier Brand Studio) räumt im Editorial auf Seite 3 gleich selber ein, dass ein Trip nach Seoul aktuell kaum empfehlenswert ist, wegen den Corona-Krankheitsfällen. Sein Tipp deshalb fürs Reisen: «Lieber besser statt immer mehr».

  • Im Reiseteil der «SonntagsZeitung» gibt es Artikel über eine Reise im Ballon über Dubais Wüste, über Lugano sowie über «Ziele, wo das Virus weit entfernt ist» - als Beispiele hierfür halten Baffin Island (Kanada), San Pedro de Atacama (Chile), Anambas Island (Indonesien), Spitzbergen (Norwegen) und die Insel Palagruža (Kroatien) hin.

  • Im Magazin der «NZZ am Sonntag», welches Primär dem heutigen Weltfrauentag gewidmet ist, findet man nur wenig Touristisches - einen Bericht über die deutsche Stadt Wuppertal sowie über Wanderferien.