Tourismuswelt

Die meisten Reisenden bringen sich selber in Gefahr. Exogene Gefahren kann man ohnehin nicht kontrollieren. Bild: Cristofer Jeschke

Kommentar Hört auf mit Eurem Sicherheitswahn

Jean-Claude Raemy

Reisen birgt Risiken. Wer damit nicht leben kann, sollte vielleicht tatsächlich zuhause bleiben. Aber bitte achtet nicht auf irgendwelche «Risiko-Karten».

Diese Woche machte sie in den Medien wieder die Runde : Die Rede ist von der «Travel Risk Map». Diese wird vom amerikanischen Sicherheitsdienstleister «International SOS» jährlich herausgegeben und ist primär an Geschäftsreisende gerichtet – denn Unternehmen sichern bei International SOS ihre Mitarbeitenden ab, indem diese für in Not geratene Firmenmitarbeitende ein Tracking und auch Evakuierungen anbietet. Und mit der «Travel Risk Map» will man für die eigenen Mitarbeitenden vorbeugen, also wissen, wo es auf der Welt für diese gefährlich werden könnte.

Doch eigentlich ist es doch nichts als ein Marketing-Instrument. Klar, sieht alles gut aus, die interaktive Karte misst die Sicherheit in den Ländern anhand der Hauptkriterien «Allgemeine Sicherheit» (Terrorgefahr, politische Unruhen, Rassismus), «Verkehrssicherheit» (Anzahl Unfalltote pro 100‘000 Einwohner) und «Gesundheitliche Risiken» (Anzahl Krankenhäuser, Medizin-Standards, Epidemien). Die Kriterien sind sauber definiert und nachvollziehbar. Und natürlich wird da erhärtet, was manch einer sowieso schon im vornherein wusste: Fahren ist in weiten Teilen Afrikas sowie auf Santo Domingo oder in Thailand lebensgefährlich, die medizinische Versorgung ist in allen nicht-englischsprachigen Ländern und ausserhalb Europas schlecht, und wenn man sich die Karte der relativen Sicherheit ansieht, bleibt man am liebsten zuhause. Als «unbedenklich» werden gerade mal die Schweiz, Norwegen, Finnland, Island und Grönland eingestuft.

Und jetzt? Überschlagen sich die Interpretationen, Schreckensmeldungen und Hinweise darauf, wo es «gefährlich» ist. Nun, ich habe Autofahrten in Thailand überlebt, meine Mutter hat eine Malaria-Erkrankung in Burkina Faso sauber behandelt bekommen, und meines Wissens gibt es auch «touristische Todesfälle» in der Schweiz und in Norwegen. Klar, das Risiko mag an anderen Orten höher sein als bei uns und niemand begibt sich gerne in Risikozonen. Aber ist es wirklich sinnvoll, nur zuhause zu bleiben? Und ist es zulässig, wenn gewisse Medien anhand dieser Karte nun quasi Reise-Empfehlungen bzw. -Ermahnungen an Ferienhungrige weitergeben?

Totale. Sicherheit. Gibt. Es. Nicht.

Zum einen, das weiss jeder, gibt es die absolute Sicherheit nicht. Auch in Frankreich oder Deutschland («niedrige Gefahrenstufe») können Sie in einen Terroranschlag geraten oder von einem Raser umgemäht werden. Ja, auch in der Schweiz! Wir kennen Leute, welche kürzlich in Honduras waren und davongekommen sind; eine Freundin war kürzlich mehrere Wochen in Afghanistan. Man muss wie immer vorsichtig sein, sich an Empfehlungen und Gesetze der Einheimischen halten, doch der sichere Tod ist eine solche Reise bei Weitem nicht. Was aktuell in Bolivien, Chile oder Hong Kong passiert, ist auf der Karte sowieso nicht berücksichtigt, weil diese die sich täglich ändernde Aktualität nicht einfangen kann. Im Übrigen haben wir auch Bekannte in diesen genannten Ländern, und diese sind zwar auch besorgt über die Lage, aber nicht direkt am eigenen Leben bedroht.

Was ich sagen will: Solche Karten bringen nichts. Sie verstärken vorhandene Vorurteile oder bringen Menschen dazu, Reisen allgemein als höchst risikobehaftet zu sehen. Gewiss, wer sich aus dem Haus wagt, riskiert überall etwas, das bringt Reisen, ob es nur Pendeln zur Arbeit oder Reisen ans andere Ende der Welt ist, einfach mit sich. Aber, und da wiederhole ich mich: Wer zuhause bleibt und die Welt nicht sieht, trägt keinen Deut dazu bei, diese zu verbessern, Verständigung zu ermöglichen, Einkommen für Einheimische zu generieren, seinen eigenen Horizont zu erweitern. Geht raus, seht was, riskiert was! Ich hatte einige der einprägsamsten Reiseerlebnisse genau dann, als irgendwas schief ging, ich in unvorhergesehene Situationen kam. Glück gehabt? Vielleicht. Aber auch am Erlebnis gewachsen.

Am besten fasst es ohnehin Martin Bauer, Regional Security Manager bei International SOS, gegenüber dem Spiegel zusammen: «2019 ist die Welt nicht unsicherer und nicht sicherer geworden.» Na also.