Tourismuswelt
Der SRV will die Branche in Sachen Nachhaltigkeit aufrütteln
Jean-Claude RaemyBesser hätte das Timing für den nach der ersten Durchführung 2016 nun am gestrigen 29. August 2019 zum zweiten Mal ausgetragenen «SRV-Nachhaltigkeitstag» gar nicht sein können. Tags zuvor hatte der Bundesrat entschieden, dass die Schweiz bis 2050 klimaneutral werden soll, die so genannte «Netto-Null 2050» - sprich, ab 2050 soll die Schweiz unter dem Strich nicht mehr Treibhausgase ausstossen, als natürliche und technische Speicher aufnehmen können.
Damit verschärft die Schweiz ihre Klimaziele deutlich. Und um diese zu erreichen, ist selbstverständlich auch die Schweizer Tourismusbranche - natürlich gemeinsam mit der globalen Reise- und Transportbranche - massiv gefordert. Wie es SRV-Präsident Max E. Katz in seiner Eröffnungsrede vor 70 Teilnehmern aus der Reisebranche, viele davon Entscheidungsträger, festhielt, haben Themen wie Klimawandel, Plastikmüll oder Overtourism der Reisebranche viel Gegenwind beschert. Hat es sich die Tourismuswirtschaft zu lange gemütlich gemacht und auf Nachhaltigkeit vorwiegend als PR-Instrument gesetzt? Der SRV geht mit gutem Beispiel voran und hatte bereits im Juli ein Positionspapier «Flugverkehr und Klimawandel» publiziert, und nun eben den Nachhaltigkeitstag auf die Beine gestellt, wo wiederum mit gutem Beispiel vorangegangen wurde: So erhielt beispielsweise jeder Teilnehmer eine Nikin-Trinkflasche - um Plastikbecher für die Verpflegung zu verhindern und weil beim Kauf jeder Flasche ein Baum gepflanzt wird.
Unter dem Motto «Fakten liefern und aufrütteln» folgte dann ein engagiertes Referat von ETH-Klimaforscher Prof. Dr. Reto Knutti. Dieser hielt eingangs zwei wissenschaftliche Erkenntnisse fest, an denen es keine Zweifel gebe: Einerseits sei die Klimawärmung eindeutig, und andererseits sei der menschliche Einfluss darauf klar. Sprich: Es hat schon früher Erderwärmungen gegeben, doch die Geschwindigkeit und Stärke, mit welcher die Anteile Methan und CO2 auf der Erde in den letzten 100 Jahren gewachsen seien, könne nicht ausschliesslich natürliche Ursachen haben. Ein anschauliches Beispiel sind Gletscher: Wird nichts unternommen, könnten in der Schweiz bis Ende 21. Jahrhundert Gletscher vollständig verschwunden sein. «Das wäre schlecht für den Wintertourismus, aber da es im Hochsommer in den Bergen angenehm wäre, während in den Tälern 40 Grad und mehr ist, könnte der Sommertourismus profitieren», scherzte Knutti - der sagte, dass die Forschung lediglich Szenarien aufzeigt, die Umsetzung der Klimaziele jedoch bei den einzelnen Branchen wie auch bei den Privatpersonen liegt. Die Szenarien und gewisse Vorschläge lassen sich übrigens in der wissenschaftlichen Publikation «Brennpunkt Klima Schweiz» nachlesen.
Ignorieren, anpassen oder verhindern?
Und nun gebe es drei Optionen: Ignorieren, anpassen oder verhindern. Für Knutti ist natürlich klar, dass Ersteres keine Option ist. Ebenso ist es klar, dass die Anpassung möglichst schnell erfolgen muss: Je länger gewartet wird, desto schwieriger wird es, die nötigen Klimaziele zu erreichen, also eben die «Netto-Null 2050».
Ein Kernziel, das umgesetzt werden muss und die Tourismusbranche stark tangiert, laut Knutti: «Wir müssen schnell weg von den fossilen Brennstoffen.» Das Reduzieren des Flugverkehrs und eine konsequente Kompensation desselben sei eigentlich unausweichlich. Aktuell bewege sich die Schweiz allerdings in eine komplett andere Richtung: Allein der Flughafen Zürich hat in den letzten zehn Jahren 50 Prozent mehr Passagiere verzeichnet und jeder Passagier habe im Durchschnitt 57 Prozent mehr Flugkilometer pro Jahr zurückgelegt. Obwohl Fliegen global rund 2-3 Prozent des CO2-Ausstosses ausmache, liege dieser Wert in der Schweiz bei 18-24 Prozent, und liegt damit etwa auf gleicher Höhe wie der Gebäudeausstoss (wegen Ölheizungen etc.).
Knutti gab in der Fragerunde ein paar Tipps und Meinungen ab - es brauche kleinere Autos, mehr synthetische Treibstoffe (an biologische Treibstoffe glaubt der Forscher nicht, zumal diese zu Lasten der Nahrungsmittelproduktion gehen), keine Ölheizungen mehr. Und natürlich sei eine «Insellösung Schweiz» undenkbar - aber selbst wenn in China aktuell 172 Flughäfen in Bau sind, so sei dies doch kein Argument, um nichts zu unternehmen. «Die Schweiz ist in Umweltangelegenheiten bei Weitem nicht so vorbildlich, wie manche meinen», so das vernichtende Urteil Knuttis, dabei müsste die Schweiz angesichts ihrer Rahmenbedingungen (wirtschaftliche Stärke, gute Bildung, Sicherheit etc.) eigentlich eine Vorreiterrolle in Umweltfragen einnehmen. Aber es gebe hierzulande eine kognitive Dissonanz, sprich, aus Fakten folgen nicht immer Handlungen. Doch genau damit muss sich nun auch die Reisebranche vermehrt auseinandersetzen.
Praxistipps für den Verkauf nachhaltiger Reisen
Genau dies war dann der Kern der weiteren Inhalte des Tages. Zunächst folgte ein Referat von Nina Sahdeva (Fairunterwegs.org), welche die 17 Punkte bzw. Nachhaltigkeitsziele der «Agenda 2030» in Erinnerung rief und dabei der Frage nachging, wie der Tourismus zu diesen Zielen beitragen kann. Die 17 Ziele sowie Beispiele dafür, wie die «Trendwende im Tourismus» erreicht werden kann, lassen sich im Toolkit «Fit für die Agenda 2030» nachlesen.
Danach wurde im Turnus an drei Workshops teilgenommen. Silvia Frey (früher bei Oceancare, jetzt Leiterin von Kyma Sea Conservation & Research) referierte darüber, was die Plastikverschmutzung in den Meeren verursache und inwiefern jeder persönlich und der Tourismus als Ganzes dazu beitragen kann, diese Plastikverschmutzung zu reduzieren. Bei Cornelia Rutishauser (MyClimate) ging es darum zu erfahren, wie man klimafreundlich reisen kann - wie das System mit Emissionen und dadurch unterstützten Klimaschutzprojekten funktioniert.
Bei Saskia Sanchez (The Travelling Mind) schliesslich ging es um die Frage, wie man am Reisebüroschalter nachhaltiges Reisen «schmackhaft machen» kann - dabei wurde zunächst mal der Frage nachgegangen, was «nachhaltiges Reisen» genau heisse, und schnell wurde klar, dass jeder etwas anderes darunter versteht. Der Ansatz von Sanchez lautet in etwa, dass man Reisearten positiv anpreisen soll, welche weniger umweltschädlich sind. Für sie ist nachhaltiges Reisen nämlich «Luxus»: Man sollte sich mehr Zeit nehmen pro Reise, dafür weniger oft reisen, und dabei sich sauber auf die Reisen vorbereiten und möglichst umweltfreundlich anreisen. Vor allem aber liegt Luxus bei vielen Reisenden doch darin, dass man geniessen kann: Intakte Natur, kulturelle Vielfalt, authentische Begegnungen. Dafür braucht es Zeit und natürlich auch entsprechende Angebote. Kunden lassen sich heute gerne während den Ferien in Klimaschutzprojekte einbinden, etwa Riff-Säuberungsaktionen auf den Malediven. Doch sie brauchen dazu entsprechende Informationen. Für die Auswahl der Anreise-Transportmittel braucht es allenfalls Beratung - es gibt übrigens auch Klassifizierungen der Effizienzklassen von Fluggesellschaften. Darüber hinaus möchten Reisende gerne in Hotels oder Ferienwohnungen hausen, welche nachhaltig operieren und auf lokale Materialien oder architektonische Akzente setzen. Auch hier muss man Infos liefern - und in diesem Zusammenhang hatte Nicolas Zubler (Travelport) eine spannende Information zu verkünden - siehe dazu diesen separaten Artikel.
So viele spannende Tipps - da war es etwas schade, dass trotz der hohen Teilnehmerzahl von 80 Personen unter dem Strich vor allem Reiseveranstalter dabei waren, aber relativ wenige Schaltermitarbeitende. Genau dort muss nämlich auch noch vermehrt ein «Umwelthebel» angesetzt werden. Es ist zu hoffen, dass der SRV bald wieder eine derart informative Plattform auf die Beine stellt und sich dann noch vermehrt Reisebüro-Mitarbeitende die Zeit nehmen, um sich für die Zukunft des Tourismus zu rüsten.