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Die Vertreter der künftigen Unternehmenskultur können ihre neue Selbstverständlichkeit nur leben, wenn sie sich gegen viele bisherigen Selbstverständlichkeiten wenden. Bild: Adobestock

Wer sind hier eigentlich die Kultivierten?

Felix Frei

Psychologe Felix Frei schreibt heute über die internen Widersprüche, in die ein Unternehmen gerät, wenn es seine Kultur verändern will.

Wer von jemandem sagt, er sei kultiviert, der spricht ihm zweifelsohne ein Kompliment aus. Da jedoch der Grundsatz «andere Länder, andere Sitten» gilt, müssen wir davon ausgehen, dass nicht überall dasselbe als kultiviert gilt. Was in einem Land als kultiviert gilt, eckt in einem anderen vielleicht an.

Bei Unternehmen ist das recht ähnlich. Wer in einem Start-up-Unternehmen kultiviert wurde, hats in einer Verwaltung vielleicht schwer. Anders als bei Ländern ist nun aber, dass Unternehmen in viel kürzeren Zeiträumen und sehr viel gezielter darauf aus sind, ihre Kultur zu verändern. Zu Recht wird etwa eine kundenorientiertere Unternehmenskultur gefordert. Oder eine, die offener für Wandel und Innovation ist. Oder eine, die sich aktiv auf die Welt der Digitalisierung ausrichtet.

Eine Unternehmenskultur ist die Summe aller Selbstverständlichkeiten. Das, was jeder ohne zu fragen und ohne speziell gestossen werden zu müssen, ganz selbstverständlich tut, das macht die Kultur aus. Die Kultivierten in einem Unternehmen sind also die, die diese Selbstverständlichkeiten am konsequentesten praktizieren – sie leben die Kultur.

Gegen die bisherigen Selbstverständlichkeiten

Wenn nun ein Unternehmen seine Kultur verändern will (oder vielleicht muss), dann gerät es in interne Widersprüche. Die Vertreter der künftigen Kultur können ihre neue Selbstverständlichkeit nur leben, wenn sie sich gegen viele bisherigen Selbstverständlichkeiten wenden. Aus der Sicht der Vertreter der bisherigen Kultur ist das aber verpönt – unkultiviert, sozusagen! Umgekehrt haben die Avantgardisten (wie im richtigen Leben) für die Vertreter der alten Kultur meist nichts als Verachtung übrig.

Was denn also soll kultiviert – als Kompliment – heissen? Wer sind hier eigentlich die Kultivierten?

Die Weltoffenen!

Weltoffen zu sein, heisst nicht, alles gleich gut zu finden. Weltoffene haben Respekt für ihre eigene Geschichte. Aber sie begreifen sie als Geschichte, also als etwas Gewachsenes – das keineswegs immer so war. Daraus leiten sie ab, dass es ganz natürlich ist, dass die Geschichte weitergeht. Warum auch sollte sie ausgerechnet heute stehen bleiben? Und sie sind neugierig darauf, was die Zukunft bringen mag. Gleichzeitig sind sie sehr darauf erpicht, eine Rolle dabei zu spielen, wenn sich diese Zukunft im eigenen Unternehmen konkret ausgestaltet. Sie wissen, dass Kultur das Produkt von Kultivierungen ist. Dass man kultivieren muss, was gedeihen soll: nicht anders als im häuslichen Garten.

Kultiviert ist, wer kultiviert. Nur wenn Sie das selbst wollen und sich fachlich fit genug halten, um es auch zu können, sind Sie dabei. Inhaltliche Kompetenz und Gestaltungswille sind die Voraussetzungen auf Ihrer Seite. Aber Sie müssen sich auch einbringen dürfen. Dies ist die Voraussetzung seitens des Unternehmens.

Warten Sie aber nicht auf eine Lizenz. Gehen Sie davon aus, dass Sie dürfen. Sollte es sich herausstellen, dass man Sie an der Zukunft nicht mitkultivieren lassen will, muss man Ihnen das schon sagen.