Tourismuswelt

Ist diese Landschaft «atemberaubend»? Vielleicht. Man könnte auch sagen «öde». Auf jeden Fall «gefiltert». Warum muss bei Reisen eigentlich immer alles geschönt sein? Bild: Frantzou Fleurine

Einwurf «Reisesprache» sollte lieber ehrlich statt atemberaubend sein

Jean-Claude Raemy

Reisen besteht aus vielen wunderbaren Momenten, aber auch aus ungewollten und manchmal ärgerlichen Erlebnissen. Sowohl Reisewerbung als auch Reiseberichterstattung sollten beide Aspekte berücksichtigen - damit Reisen nicht vollständig zum Konsumgut verkommt.

Vor nicht allzu langer Zeit publizierte Carlson Wagonlit Travel eine Pressemitteilung, in welcher «Travelese» - die Sprache der Reisebranche – thematisiert wurde. In unserer Industrie schlagen sich TMCs in den GDS mit PNRs herum, OTAs verhandeln mit DMCs, Hotels informieren über ADR und ARR für ihre DBL mit HB, Agenten müssen die Mahlzeitenwünsche ihrer Kunden als AVML und GFML im System eingeben. Es gibt zahllose weitere Beispiele.

Wenn Sie jetzt nichts verstanden haben: Kein Problem. Das wird sie nicht vom Reisen abhalten; Profis aus der Reisebranche müssen damit klarkommen. Oder Sie sind super-hip und schreiben in den SMS an ihre Kollegen auch «Ich fliege gerade von AMS nach SFO», was noch verständlich ist, aber wenn Sie schreiben «Ich fliege gerade von LGW nach EZE» wirkt das schon weniger cool, da kaum noch verständlich.

Wie äussern wir uns überhaupt, wenn wir über Reisen sprechen? Gibt es so etwas wie ein «Travelese», also eine «Reisesprache», auch im B2C-Sinn? Gibt es. Man liest Reisekataloge und Reiseführer durch, schaut sich auf Facebook und Instagram um oder schaut Reisesendungen am Fernseher und stellt fest: Diese Reisesprache ist furchtbar eintönig.

Nieder mit den ewigen Superlativen!

«Ferienparadies», «Geheimtipp», «Juwel»; «atemberaubend», «unvergleichlich», «traumhaft», «unvergesslich», «perfekt», «spektakulär» oder bestenfalls «kontrastreich» - all diese letztlich nichtssagenden Attribute werden für völlig unterschiedliche Orte und Erlebnisse missbraucht. Sie sind das Mantra, mit welchem uns Reisen schmackhaft gemacht werden soll. Sanfte Worte, die etwas heraufbeschwören, das vielleicht einem Bild, nicht aber einem reellen Erlebnis entspricht. Pathos und Plattitüden, wohin man sieht. Und das Schlimmste ist: Selbst in sozialen Medien, deren Inhalte nicht einem PR-Whitewashing unterliegen sollten, wird jeweils nur das Wunderbare und Positive hervorgehoben.

Ungeschönte, ehrliche und vielleicht auch mal kontroverse Reise-Erlebnisse? Gibt es natürlich. Aber die sind dann eben zu ehrlich, oder zu lang. Lieber das gefilterte Instagram-Bild mit den nichtssagenden Hashtags ansehen. Die sorgfältige Ausdrucksweise, die literarische Disziplin, sie alle scheinen im Reisekontext irgendwie verloren zu gehen. Die Kataloginhalte, die Ortsbeschreibungen, die Reiseprogramme: Sie sind von der Werbung kaum noch zu unterscheiden.

Was fehlt, ist der Mut zur Subjektivität: Reisen ist nicht einfach Konsum. Die Welt, die wir bereisen, ist sowohl kompliziert und zum Verzweifeln als auch teils völlig unerwartet himmlisch, und jeder erlebt sie auf seine Weise. Man darf keine falschen Hoffnungen wecken: Zuhause sitzen ist immer sicherer und einfacher, als sich den Entbehrungen einer Reise hinzugeben. Und überhaupt, welche Bedürfnisse soll eine Reise denn befriedigen? Fragen sich das die Reisenden überhaupt noch? Geht es nur darum, den «atemberaubenden Sonnenuntergang» in sozialen Medien zu dokumentieren? Oder will man sich auch mit dem wahren Leben vor Ort auseinandersetzen? Die Sprache, mit welcher wir über das Reisen schreiben und sprechen, sollte wieder näher an die Realität. Das könnte vielleicht den einen oder anderen abschrecken, der aber vermutlich sowieso am besten auf bestimmte Reisen verzichten würde. Es könnte aber auch solche anlocken, denen das Gebaren der heutigen Trallalala-jederzeit-überall-hin-ohne-nachzudenken-Tourismusindustrie längst zuwider ist. «Meh Dräck», gewissermassen.

Es gibt Hoffnung: Auf Instagram wenden sich immer mehr davon ab, gefilterte Bilder mit Worthülsen zu publizieren, sondern wollen die Welt wieder zeigen, wie sie ist, schön und schlimm zugleich. Wenn man die Dinge beim Namen nennt, ist das nicht zwingend respektlos, sondern kann eben Verständnis fördern und damit zu Lösungen beitragen. Es fängt bei der Sprache an.