Tourismuswelt

Unterwegs zu sein in der Gruppe hat auch seine Vorteile. Bild: Fotolia

Ein Lob der Herde

Sarah Berndt

Gruppenreisen geniessen einen zweifelhaften Ruf. Doch mit etwas Vorbereitung finden sich auch eingefleischte Individualisten zurecht. 

Reisen mit Gleichgesinnten im Bus, Sightseeing mit vielen andern in gehorsamer Gefolgschaft eines Guides: Gruppenreisen sind stets etwas für die anderen – für die biederen Nachbarn, die ängstlichen Grosseltern oder die einsame ältere Dame aus der Buchhaltung. Selber ist man ja weltgewandt und eigenständig und jeglichem Herdentrieb abhold.

Falsch: Gruppenreisen sind deutlich besser als ihr Ruf. Dazu ein paar sachdienliche Hinweise.

Die Horde

Teil einer Gruppe von Schweizern zu sein, die einem Bus entsteigt und alles niedertrampelt? Ja, das ist tatsächlich manchmal peinlich. Allerdings zeigt sich: Nicht alle Mitglieder der Horde sind Trampeltiere. Es gibt durchaus interessante Mitreisende, schliesslich ist es nicht jedermanns oder jederfraus Sache, mit dem Car durch den Kaukasus oder ans Baltische Meer zu fahren. Spannende Ziele ziehen spannende Menschen an.

Ausserdem: Gruppenreisende benehmen sich zivilisierter als Rucksacktouristen, da sie betreut werden – sie pflegen sich an die Regeln vor Ort zu halten, bedecken nackte Schultern in der Kirche, benutzen die Toiletten und nehmen den Abfall wieder mit. Eigentlich schon fast sanfter Tourismus.

Die Paare

Ja, zu zweit sind einige in der Gruppe, klar. Aber es gibt auch viele Alleinreisende, Frauen und Männer. Irgendjemand Interessantes findet sich immer. Und wenn nicht, spielt es auch keine Rolle: Zumindest die Reiseführerin oder der Reiseführer wird sich einem annehmen. Und am zweiten Tag zeigt sich, dass die ältere Ärztin mit einem unschlagbaren Humor gesegnet ist oder der stille Herr, der immer ganz hinten sitzt, ein überraschendes Wissen über Architektur und die Geschichte der Griechen hat. Man könnte sich zur These verleiten lassen: Gruppenreisen sind die ideale Form, um alleine zu reisen, ohne alleine zu sein.

Die Motzer

Es gibt Leute, die auf Reisen gehen, um sich selber zu bestätigen: Zu Hause ist sowieso alles besser. Bei jedem Essen finden sie einen Grund, warum sie es nicht mögen. Fleisch eignet sich dafür hervorragend: zu zäh, zu stark gewürzt, zu wenig gewürzt, zu durchgebraten. Und natürlich, auch das Servicepersonal ist vor Motzern nicht sicher: «Das Essen ist ja nur lauwarm – bei uns ginge so etwas direkt zurück in die Küche.» Oder: «Dieses Lächeln – das setzen sie nur auf, damit sie Trinkgeld bekommen.» Zugegeben: Motzer sind eine Plage, die starker Nerven bedarf. Vor allem, wenn sie sich über umgerechnet 50 Rappen Trinkgeld den Kopf zerbrechen.

Da gibt es nur eine Strategie: selber ordentlich Trinkgeld geben, Augen zu und durch. Manchmal hilft auch ein psychologischer Trick: die Freude, sich selber auf die Reise einzulassen und ihr so viel als möglich abzugewinnen. Und schon stellt sich Mitleid mit den Motzern ein.

Die lokalen Guides

«Ach, die wollen einem nur etwas verkaufen.» Ja, so kann man es sehen. Allerdings: Der lokale Guide ist die Verbindung zum Reiseland. Er kennt die örtlichen Gegebenheiten, macht kulturelle Übersetzungen und spricht im Idealfall Deutsch. Hat man bei einem guten Veranstalter gebucht, lässt sich davon ausgehen, dass die Touren und Besichtigungen von sehr kompetentem Personal begleitet werden. Ob touristische Hotspots, Kindererziehung oder die nächsten Wahlen: Der lokale Guide dient als bequeme Quelle, viel über das Land zu erfahren.

Verplante Ferien

Tatsächlich sind Ferien in Form von Gruppenreisen durchorganisiert. Und es ist wunderbar! Jeden Tag sagt jemand, wann man wo zu sein hat und was man mitnehmen muss. Man braucht nur noch rechtzeitig am Treffpunkt zu sein und kann sich ganz auf die Reise konzentrieren: Aufnehmen. Schauen. Staunen.

(dieser Artikel erschien zuerst im Tages-Anzeiger)