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Den Raubtieren ganz nah: Das Okavango Delta wartet mit einer enormen Tiervielfalt auf. Bilder: Fotolia, GW, &beyond

Löwen treiben sich hinter der Lodge herum

Ein Aufenthalt im Okavango-Delta ist ein permanentes Naturschauspiel.

Eine leichte Brise weht durch das Safarizelt, auf dem Dach huscht ein Gecko vorbei. Nur sanftes Blätterrauschen und das Zirpen der Grillen sind zu hören. Doch plötzlich durchdringt ein heftiges Bellen die Ruhe. Die Siesta endet abrupt. Durchs dünne Netz des Zeltfensters ist in einiger Distanz ein Pavian auszumachen, er sitzt auf einem Ast und bellt erneut. Die Natur im Okavango-Delta erwacht am späten Nachmittag.

Die zehn luxuriösen Safarizelte der Nxabega Lodge liegen rund 40 Meter voneinander entfernt, dazwischen das elegante Hauptgebäude. Um 16 Uhr wird auf der Terrasse Kaffee und Kuchen serviert, ein Dutzend Touristen macht sich auf den Sofas breit. Lockerer Smalltalk zwischen Briten, Amerikanern, Franzosen und Schweizern – einige schrauben an ihren Kameras herum. «Woher stammen Sie?» «Sind Sie das erste Mal in Afrika?» «In nur einer Woche habe ich 5000 Bilder geschossen.» «Aus der Schweiz, really? Ein wunderbares Land.» Und eine Britin, ziemlich besorgt: «Haben Sie gehört, zwischen Küche und Angestelltenhaus wurden vier Löwen gesehen.»

Die Guides und Tracker gesellen sich dazu. Einer weiss: Die Löwen haben sich Richtung Flugpiste wegbewegt. Drei Land-Rovers stehen bereit, und die Fahrt durch die Wildnis geht los. Auf der Motorhaube vorne links sitzt Spurensucher Swallow, am Steuer ist Guide Kebonyemodisa Mosepele, den alle KB nennen.

Muskelbepackte Katzen

Wir holpern in Richtung der 400 Meter langen Flugpiste, auf der wir tags zuvor eine wacklige Landung mit einer Cessna hingelegt haben. Weil am Ende der Regenzeit das Gras hoch ist, suchen viele Tiere die freie Sicht rund um die Flugpiste auf, um ihre Feinde besser im Auge zu haben. Mitten auf der Piste stehen drei Warzenschweine und einige Impala-Antilopen. Da können die Löwen nicht weit sein. Swallow macht sie unter einem Mopane-Baum aus, sie liegen relaxed im Halbschatten. KB hat den Land Rover bis an 20 Meter herangefahren. Drei Sprünge und sie wären im Jeep.

Gespannt und gefesselt verharrt der Blick auf den muskelbepackten Katzen, die Kameras klicken im Stakkato. «Bitte nicht aufstehen», flüstert KB. An die Umrisse des ungefährlichen Land Rovers haben sich die Tiere gewöhnt. Gejagt und gewildert wird im Okavango-Delta nur noch in wenigen Gebieten. Das Löwenmännchen wälzt sich im Büffeldung – zur Geruchstarnung, wie wir erfahren. Nach 20 Minuten fahren wir langsam weiter – von den Löwen ignoriert.

Im Hochland von Angola entspringt der Okavango, fliesst 1600 Kilometer später in die Kalahari-Wüste und bildet in Botswana dieses einzigartige Binnendelta, das halb so gross ist wie die Schweiz. Die träge Wasserlandschaft wird von Schilfsümpfen, Inseln und Termitenhügeln geprägt. Die Tiervielfalt ist enorm.

KB kennt jedes Tier, jede Pflanze

Anderntags fahren wir frühmorgens in der Dämmerung durch diesen mosaikartigen Lebensraum. Erst rumpeln wir über Holzstege, dann durch ein hüfthohes Schilfwasser, vorbei an Würgefeigen und halten nach Sonnenaufgang zum Kaffee unter einem Affenbrotbaum. KB, unser wandelndes Naturlexikon, der jedes Tier und jede Pflanze zu kennen scheint, hebt den Schädel einer Giraffe hoch. Einer der Amerikaner will es ihm mit dem Beinknochen gleichtun. Er ist zu schwer. Seine Gattin ist heute nicht dabei, nach drei mehrstündigen Schüttelfahrten blieb sie für einmal in der Lodge. Ein unglücklicher Entscheid, denn auf der Weiterfahrt erleben wir ein seltenes Naturschauspiel.

Mit blossem Auge erspäht KB aus einer Distanz von mehr als 300 Metern einen Leoparden auf einem Ast. Wir halten. Mit dem Feldstecher ist er bereits gut auszumachen. Weiter durchs Gestrüpp, aus 80 Metern schiessen wir die ersten Fotos mit dem 300er-Objektiv. Doch wir fahren noch näher ran bis auf 25 Meter. Der grosse Leopard mit prächtigem Fell – ein Weibchen, wie KB haucht – hebt kurz den Kopf und schlummert unbeeindruckt weiter.

Eine Viertelstunde später streckt sich die imposante Raubkatze, gähnt und tappt den Stamm hinunter. Gleichzeitig schiesst dreissig Meter entfernt ein zweiter Leopard, den wir bisher nicht bemerkt haben, einen Leberwurstbaum hoch. Jetzt sehen wir auch, wieso: Oben in der Astgabel hängt eingeklemmt ein Impala-Männchen, zur Hälfte bereits gefressen. Der Leopard beugt sich über die Beute, fletscht die Zähne und zerrt ein blutiges Stück raus.

Wir funken mit den anderen Jeeps, einer ist in der Nähe, stösst nach einigen Minuten hinzu. Mittlerweile wissen wir: Für den Leoparden ist die Astgabel ein sicherer Verwahrungsort. Weder Löwen noch Hyänen von unten noch Geier von oben können ihm den Schmaus streitig machen.

Zurück in der Lodge übertreffen sich die Schilderungen der Safaritouristen. Auch die Guides und Tracker sind in aufgedrehter Stimmung. Sie albern rum und wollen mir einige Wortfetzen ihrer Sprache Setswana beibringen – ich soll ihre Kollegin Masego überraschen. Nach einer Stunde haben sie mich so weit, krümmen sich bei meinen Versuchen vor Lachen. «Dumela maa, locai?», Guten Morgen, wie gehts? Masego kanns nicht fassen und fragt dasselbe zurück. Ich antworte ihr: «Ke itumetse thata, ke a leboga», ich bin sehr glücklich, danke.

(GWA)